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Digital In Arbeit

Massen, Konkarrenz, Anonymität

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Massenandrang, überfüllte Hörsäle, Auslese, Sorge um den Arbeitsplatz, all das beeinträchtigt das Zusammenleben an den Universitäten.

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Massenandrang, überfüllte Hörsäle, Auslese, Sorge um den Arbeitsplatz, all das beeinträchtigt das Zusammenleben an den Universitäten.

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Die Zeit der Inskription wird an der Karl-Fran-zens-Universität und vermutlich auch an anderen Universitäten dadurch angezeigt, daß im Foyer des Hauptgebäudes Bankschalter im Jahrmarktbuden-Stil aufgebaut werden, die den Studenten Kredite und vielerlei andere wertvolle Ablenkungen vom Studium anbieten. Ob vielleicht dieser Eindruck die bleibende Beziehung zur Alma Mater darstellt?

Ich möchte jetzt in diesem Zusammenhang nicht die Diskussion über die Gehälter einiger bekannter Professoren und Ärzte aufwärmen, die kürzlich in den Medien breitgetreten wurde. Aber der Gedanke drängt sich doch auf. Es wird dem angehenden Studenten durch die beschriebenen Reklamemaßnahmen zuallererst eingebläut, daß das finanzielle Wohlergehen das wesentliche Studienziel und gleichzeitig noch die einzig entscheidende Maßnahme für das Glück einer Partnerbeziehung sei. Alles Einseitige ist abzulehnen. Kommunikation ohne Beziehung ebenso wie Beziehung ohne Kommunikation. Untersuchungen von Verhaltensforschern haben die bekannte Tatsache bestätigt, daß die persönliche Beziehung in einer Ortsgemeinschaft, die etwa durch das Grüßen bei Begegnungen zum Ausdruck kommt, von der Größe des Ortes abhängt. „Am Land" wird man als Ortsfremder in die „Kommunikation mit Beziehung" unbewußt mit einbezogen. Man grüßt, wen immer man im Dorf oder auf einsamen Wegen trifft und läßt sich auch mit Unbekannten auf einen kleinen Plausch ein.

In einer mittelgroßen Stadt wie Graz trifft man, wenn man zu Fuß durch die Straßen geht, fast immer zumindest einen oder zwei Bekannte. Hält man nach solchen Begegnungen Ausschau, stellt man unwillkürlich eine positive Beziehung zur Umgebung her.

Studentinnen und Studenten, die aus großen Städten nach Graz kommen, loben nicht nur die freundlichere Atmosphäre der Stadt, sondern auch die bessere Stimmung an unserer Universität. Dabei sind wir mit über 30.000 Studenten ohne Zweifel eine Massenuniversität, und Masse ist ohne jeden Zweifel eine Wurzel der Kommunikation ohne Beziehung.

Die Masse, genauer gesagt die Menge der Personen, an und für sich bewirkt an einer Universität den Verlust der Beziehung untereinander und den Verlust der persönlichen Beziehung zwischen Lehrern und Studenten.

Der Verlust der Beziehung untereinander wird durch Konkurrenz massiv gesteigert. In der derzeitigen Situation der Sorge um einen Arbeitsplatz fällt ferner die Hilfsbereitschaft dem Streben um das eigene Weiterkommen zum Opfer.

Eine weitere Erschwerung der Beziehung zueinander wird durch die notgedrungen mehr und mehr anonymen Lehr- und Prüfungsmethoden bewirkt. Im Medizinstudium ist es ein Segen, daß wir in Österreich nicht das zwangsweise von einer eigenen staatlichen Stelle verwaltete zentrale Prüfungsverfahren nach der „Multiple-Choice-Methode" wie in Deutschland durchführen müssen.

Da in einigen Fächern derzeit auch bei uns noch Multiple-Choice-Prüfungen durchgeführt werden, kann ich aus eigener Beobachtung das geistlose Lernen anhand von Prüfungsbeispielen als vollkommen absurd kritisieren. Wenn man in einem Fach wie Medizin sein Wissen mittels Ankreuzen erlernen und überprüfen lassen muß, dann kann man kaum erwarten, daß der ausgebildete Arzt fähig sein wird, mit Patienten im Sinne einer Kommunikation mit Beziehung in Kontakt zu treten.

Die derzeit von den zuständigen Politikern eher hilflos geführten Diskussionen um Aufnahmebegrenzung durch „Knock-Out Prüfungen" und ähnliche Maßnahmen, erschwert die Situation an den Universitäten, weil dadurch - symbolisiert durch die Bankschalter im Foyer unserer Universität- eine rein auf den wirtschaftlichen Aspekt des Lebens ausgerichtete Tendenz zur praktischen Ausbildung angezeigt wird.

Wenn man auch noch so sehr die Vorstellungen von Humboldt aus dem 19. Jahrhundert als veraltet hinstellt, sollte doch auch für den Staat die Bildung des Volkes - im Sinne einer der Humboldt'schen Ideale der Universität - im Vordergrund stehen.

Allerdings liegt der begründete Verdacht nahe, daß es nicht nur in Diktaturen, sondern auch bei uns in Österreich, der Obrigkeit lieber ist, dumme und gehorsame Bürger in einem begrenzten Fachgebiet auszubilden, um ja nicht durch breite und tiefe Bildung kluge, vielleicht aber aufmüpfige Bürger zu erziehen.

Interessanter- und bezeichnenderweise wurde die im derzeit gültigen Allgemeinen Hochschulstudiengesetz (AHStG.) enthaltene Verpflichtung zur Bildung nicht in den Entwurf zum neuen Universitätsstudiengesetz (UniStG.) aufgenommen, der allerdings von allen Universitäten in Osterreich heftigst kritisiert wurde. Es soll also tatsächlich Bildung durch Ausbildung ersetzt werden.

Im „Standard" von 30. Mai 1996 hat Wolfgang Langenbucher diesbe züglich sogar den Koalitionsparteien unterstellt, „daß sie einen gezielten Abbau der Bildung planen, indem sie die epochalen Ziele einer rückwärtsgewandten Bildungsutopie in ein Sparpaket hineinschmuggeln".

Der Autor sieht als Begründung dieses Vorhabens, daß „die seit einem Jahrhundert stetig anwachsende Bildung den großen Parteien wahlstrategisch nichts als Mißerfolge gebracht hat". Bildung ist nur durch Kommunikation mit Beziehung möglich. Dem läuft allerdings unter anderem auch die Entwicklung aller Informationsmedien zuwider. Die Konsumenten werden mit immer raffinierteren Methoden so beeinflußt, daß man fast alles, einschließlich Bevolution und Krieg, provozieren kann.

Es überrascht mich dabei die scheinheilige Verwunderung und Bestürzung über steigende Aggressivität und Kriminalität. Diese Themen stehen doch in dem ständigen Angebot der Massenmedien täglich an erster Stelle.

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