Wo bleiben die kleinen Genies?

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Rund 190.000 Kinder und Jugendliche besuchen eine Musikschule. Wie gut funktioniert im „Musikland“ Österreich die Förderung des Nachwuchses?

Schon würde man am liebsten zum Tanzen anfangen – als Schüler einer zweiten Klasse der Volksschule II im niederösterreichischen Tulln afrikanische Rhythmen am Xylophon erzeugen. Eine Musikpädagogin trommelt dazu und dann wird gesungen. Die Übung ist Teil des Faches „Elementare Musik- und Bewegungserziehung“.

Einige Klassenräume oberhalb ertönt die Tuba. Die Kinder der dritten Klasse sitzen um einen Musiker und lauschen gespannt den tiefen Tönen des Blechblasinstruments. Die Schülerinnen und Schüler werden seit Beginn des Schuljahres mit verschiedenen Blasinstrumenten bekannt gemacht. Danach dürfen sie eine Wunschliste schreiben und jene Instrumente wählen, die sie am liebsten spielen würden. Am Ende des Ringens um die liebsten Instrumente wird die Klasse ein Blasorchester bilden und zwei Schuljahre lang eine Wochenstunde das Instrumentieren im Orchester üben. Das gleiche Programm gibt es auch für Streichinstrumente.

Schon am Ende des ersten Schuljahres könnten die Kinder Lieder spielen, sagt Andreas Simbeni, Musikpädagoge der Bläserklasse und Leiter der Musikschule Sieghartskirchen in Niederösterreich. „Ein Drittel der Schüler ist sehr gut, ein weiteres Drittel geht mit den Guten mit und ein Drittel schwimmt mit“, erklärt er. Zwei Drittel der Schüler würden also das Orchester tragen. Bei manchen wird das Interesse und Talent für Musik geweckt. Auf alle Fälle sei es für alle Kinder ein positiver Erfolg mit einem Instrument und alle würden einen Auftritt auf der Bühne erleben, so Simbeni. „Wir erreichen damit Kinder, die wir sonst durch die Musikschulen nicht erreichen würden“, sagt Volksschuldirektorin Ludmilla Brunner.

Die Volksschule Tulln II (eine von drei Volksschulen der Stadt) hat als Profil den Musikschwerpunkt gewählt. Vor zehn Jahren begann unter der Führung von Direktorin Brunner der Aufbau des Profils – nicht immer ein einfacher Weg: Als es etwa darum ging, Instrumente für die Schule zu beschaffen, suchte Brunner nach Sponsoren in der lokalen Wirtschaft – mit Erfolg. Das Projekt Streicherklasse bedurfte laut Brunner größerer Überzeugungsarbeit als die Bläser. Es habe Skepsis von Seiten der Schulbehörden gegeben, dass die Schüler tatsächlich in zwei Jahren das Fideln lernen könnten. Doch sie taten es und tun es immer wieder trotz der begrenzten Unterrichtszeit (eine Wochenstunde). Aber mehr Stunden gebe es zurzeit nicht vom Land, so Brunner.

Die Volksschule kooperiert für diese Projekte mit der Musikschule Tulln – eine Zusammenarbeit, die auch weiter Schule machen soll, wie Michaela Hahn, Geschäftsführerin des Musikschulmanagements (Musikkultur Niederösterreich), bestätigt. Der Hintergrund ist auch ein sozialer: Es sollen Familien angesprochen werden, die man sonst nicht erreichen würde. Dass hier die Idee der venezolanischen Jugendorchester mitschwingt (siehe Artikel rechts), wird aber von Experten eher verneint. Gerhard Gutschik, Leiter des Musikschulwerkes Burgenland und derzeit Vorsitzender der Österreichischen Musikschulwerke: „Bei uns gibt es auch andere Möglichkeiten, sich in der Gesellschaft zu etablieren. Was man sich aber abschauen kann, ist der Geist, der dahintersteckt. Ein bisschen wird dies auch probiert: durch die Klassenprojekte.“ Für seine Kollegin Hahn steht zurzeit ein anderes Problem im Vordergrund: „Die Kinder müssen neben den schulischen Anforderungen Zeit finden, die Musikschulen zu besuchen.“ Ein Grund, warum sich die Musikschulen stark in die Schulreform-Debatte einbringen wollen. Denn bei Plänen zu Ganztagsschulen dürfe das Musizieren nicht vergessen werden.

Zurück in die Tullner Musikschule: Rund 900 Kinder und Jugendliche werden dort in diversen Fächern unterrichtet. Das Problem der Schule: Lange Wartelisten und Raumnot, informiert der Leiter Karl Hemmelmayer. Für die beliebtesten Instrumente wie Klavier oder Gitarre können Wartezeiten bis zu drei Jahren möglich sein.

Solche Wartelisten seien eher die Ausnahme, sagt wiederum Michaela Hahn. Laut Hahn werden in Niederösterreich rund 54.000 Schülerinnen und Schüler in Musikschulen unterrichtet, davon seien maximal 3000 auf einer Warteliste. Das sei wenig im Vergleich zu anderen Bundesländern.

Wien: Zahlenmäßig das Schlusslicht

Überhaupt hat Niederösterreich nach einer Statistik der Österreichischen Musikschulwerke (2006) die meisten Musikschüler und Musikschulen, gefolgt von Oberösterreich. Wien hat im Vergleich zur Bevölkerung der Stadt die wenigsten Musikschüler hierzulande und bekannt lange Wartelisten, wenn auch nicht an jedem der 18 Standorte. Die Gründe dafür sind vielfältig, die Imagekorrektur nicht einfach: Die Wiener Musikschulen waren früher Teil der Konservatorien. Erst in den 90er Jahren wurde begonnen, in die Breite zu gehen. Das Angebot sei zuletzt um über 600 Plätze ausgebaut worden und werde durch Angebote an Volkshochschulen sowie privaten Musikschulen ergänzt, erklärt Swea Hieltscher, Leiterin der Musik- und Singschulen Wien. Insgesamt wurden im Jahr 2008/2009 laut Hieltscher 9500 Schüler unterrichtet.

330 davon besuchen die Musikschule Simmering. Die Musikschule ist zurzeit noch in der Volksschule Herderplatz im elften Bezirk am Rande eines Parks untergebracht. Musikschulleiter Michael Weber führt durch die Räume: Wo einst die Wohnung des ehemaligen Schulwartes war, sind manche der Proberäume untergebracht: kleine, lärmgedämpfte Räume, als zusätzlicher Dämpfer wurde ein Teppich an die Tür gehängt. Zudem darf ein geräumigerer Pavillon der Schule genutzt werden. Bei der gemeinsamen Nutzung von Schulräumen seien Spannungen nicht zu vermeiden, so Weber. Die Raumnot soll bald der Vergangenheit angehören. In der Nähe wird ein neues Gebäude für die Musikschule, Volkshochschule und eine Bibliothek errichtet. Ein weiterer Vorteil: Man könne auch länger in die Abendstunden hinein Unterricht anbieten. Der Nachmittag könne immer schwerer für Musikschulunterricht genutzt werden. Die Gründe: vermehrt Programm der Schulen und die volle Berufstätigkeit vieler Eltern.

Mithalten mit der internationalen Spitze?

In Simmering ist die Warteliste laut Weber gering. Das liege vielleicht an der Einwohnerstruktur des Bezirkes. Im „Arbeiterbezirk“ gebe es weniger Interesse, meint er. Migrantenfamilien zeigten Interesse, sie würden mindestens die Hälfte der Schüler ausmachen.

Die Qualität der Ausbildung schätzen hier befragte Musikpädagogen und Fachleute als gut ein. Die Rückmeldungen von Konservatorien oder Musikhochschulen seien gut, sagt etwa der Leiter der Tullner Musikschule, Karl Hemmelmayer.

Freilich, gestehen die Musikpädagogen ein, steige der Druck aufgrund ausländischer Studentinnen und Studenten, etwa aus asiatischen Ländern, die teilweise schon mit fertigem Diplom nach Wien drängen, um ihren Lebenslauf zu bereichern.

„Es gibt eine Aufwärtsentwicklung, was die Spitze der Talente betrifft“, sagt Gerhard Gutschik, Leiter des Musikschulwerkes Burgenland. Er höre aber auch von den Universitäten, man müsste noch mehr in der Basisausbildung tun. Es gehe auch um die Einstellung der Eltern. „Es gibt Länder, wo von klein auf gedrillt wird und extrem viele Ressourcen für Talentierte zur Verfügung gestellt werden“, sagt Gutschik und fügt fragend hinzu, ob man Ersteres wirklich wolle.

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