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Amadeus in Utopia

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Auch für einen Amadeus von heute wären ein verständnisvolles Umfeld, musikalische Eltern und ein interessierter Markt Voraussetzung.

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Auch für einen Amadeus von heute wären ein verständnisvolles Umfeld, musikalische Eltern und ein interessierter Markt Voraussetzung.

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In Amadeus' Musikschule, irgendwo im europäischen Osterreich, gibt es Konzertsäle und Proberäume, eine Phonothek und Instrumente zum Ausprobieren

Mozarts wird's immer geben”, hat ein niederösterreichischer Bürgermeister - eigentlich zur Rechtfertigung seines spärlichen finanziellen Beitrags für die Musikschule des Ortes - gesagt und: „Wir brauchen keinen Gulda”, hat er als Argument für die schleppende Verbesserung der Anstellungsbedingungen für Instrumentallehrer vorgebracht.

Mozarts gibt's immer weniger, klagen die Vertreter der Spitzenorchester Österreichs. Hätte Amadeus heute noch eine Chance - ein „Wunderkind”, das, wie es damals untrennbar verbunden war, die Praxis von virtuosem und kompositorischem Know-how beherrschte?

Wunderkinder sind weniger Wunder, als die für das Musikleben Verantwortlichen es wünschen. Selten stammen sie aus nicht-musikalischen Familien und meist geben ihre Väter Karrieren auf, um sich ganz dem Talent des Sohnes zu widmen. Vater Menuhin gab für Sohn Yehudi eine Universitätskarriere auf, Vater Leopold für Sohn Amadeus das Komponieren. Amadeus sollte - damals wie heute - von Hausmusik umgeben sein und Instrumente in greifbarer Nähe haben.

„Musikschüler, die daheim die Geige ihres Großvaters finden, lernen sie dann auch spielen”, sagt die Tullner Musikschulleiterin Elisabeth Deutsch und bezieht sich auf die Tradition, daß Klein-Amadeus befreundete Dilettanten braucht, denen er zuschauen und zuhören kann. Nur 13 Prozent der Östereicher üben Musik aktiv aus. Wenn er aus einer dieser Familien kommt, ist seine Chance gut, einer der 120.000 Musikschüler zu werden.

In Utopia - wenige Jahre in der Zukunft also - wird Klein Amadeus in ein blühendes Musikland Österreich hineingeboren: Eine Vielzahl von Musikwelten umgibt ihn, zwischen denen er sich sicher hin und her bewegt. Da sind die klassischen Orchester, die längst eigene Nachwuchsakademien gegründet haben, die Opern- und Konzertchöse, die schon ihre spezielle musikalische Früherziehung betreiben, Spezialistenensembles für Alte und Neue Musik, Handwerksschulen für besondere Klangstile.

Entsprechend den Zahlen der Musikschüler von einigen Jahren zuvor bestehen die Orchester aus 70 Prozent Frauen, reine Männerorchester und Ensembles mit je 20 Prozent Frauen- und Ausländeranteil gehören der belächelten Vergangenheit an.

Amadeus hat keine Probleme, vor seinen Freunden wegen seines Klavier- und Violin-Studiums an Image zu verlieren. Wenn die andern in die Discos gehen, übt Amadeus. Dafür trifft er sich nachmittags mit musizierenden Freunden.

In Amadeus' Musikschule, irgendwo im europäischen Österreich, gibt es Konzertsäle und Proberäume, eine Phonothek und ein Instrumentarium zum Ausleihen und Ausprobieren. „Die Musikschulen müssen auf die Wohnsituation der Kinder Bücksicht nehmen”, sagt die Direktorin und stellt ihre Proberäume zur Verfügung.

Amadeus weiß zu unterscheiden: Musiken, die der traditionellen Vermittlung durch einen Lehrer und durch Noten bedürfen und solche — populäre, Jazz - die durch Zuhören erlernt werden. So wie einst sein großer Namensvetter im 18. Jahrhundert, findet er Musik, die viele mögen, nicht schlechter als Musik, die wenigen gefällt.

Was im Jahr 1994 mit einem Stand bei der Musikmesse Ried begonnen hat — die Anbindung der Musikschulen an den Markt -, hat sich nun zu sinnvollen wirtschaftlichen Kreisläufen entwickelt, die letztlich der Musik zugute kommen.

Wenn Amadeus die Verkaufszahlen seiner mit Musiklehrern und

Mitschülern produzierten CDs registriert, weiß er, wo er den Geschmack seiner Abnehmer trifft. Mit den Einnahmen aus den CDs können die Schüler und Schülerinnen zusätzliche Musikinstrumente, Geräte und andere Notwendigkeiten anschaffen. Das Betteln bei den Elternvereinen hat aufgehört.

Zwar besteht an Amadeus' Schule ein recht reichhaltiger Instrumentenfundus, den die Schüler ausleihen und probieren können, aber zusätzliche Gelder aus CD-Verkauf, aus privatem Sponsoring, Verträgen mit Verlagen und Tonträgerproduzenten bringen Einnahmen, von denen die Musikschulen noch vor einigen Jahren nur träumen konnten.

Die Musikverlage haben die Musikschüler als wesentliche Musikkonsumenten, die zum Unterschied von ihren nichtmusizierenden Kollegen auch die Hauptabnehmer von Notenmaterial und Instrumenten sind, erkannt und schließen spezielle Sponsorenverträge ab.

Nur mehr vom Hörensagen weiß Amadeus, daß vor 1977 der Großteil der Unterrichtenden an österreichischen Musikschulen ohne Ausbildung war. Dabei hatte Preußen schon 1925 die Instrumentallehrerausbildung in einem Ministererlaß „zum Schutz vor dem Überhandnehmen musikalischen Pfuschertums” geregelt. Amadeus im 18. Jahrhundert hörte Musik an allen Orten: in den Kirchen, die er fast täglich besuchte, bei Tanzfesten, die selbstverständlich auch für Kinder waren, bei Konzerten und Hausmusik.

„Ein musikalisches Klima im Ort”, wünscht sich die Tullner Musikschuldirektorin Elisabeth Deutsch anno 1994, „in dem nicht nur Musikschulen, sondern auch Theater, Tanz und Kunstschulen für Kinder bestehen. Die instrumentale Ausbildung sollte mit den Musikgruppen im Ort und dem Musikunterricht an den Schulen koordiniert werden.”

Ihrer Initiative niederösterreichischer Musikschullehrer, unterstützt vom Unterrichtsministerium, ist die Verbesserung der vertraglichen Einstufung und der finanziellen Absicherung der Musikschulen durch Gemeinde und Land zu verdanken. Die Landespolitiker haben gehandelt und erkannt: Musikschüler sind nicht nur Konsumenten im Musikmarkt, sondern auch Wähler, gegenwärtige und zukünftige.

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