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Mozarteum - ein Querschnitt

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Der volle Titel der Salzburger Musikakademie lauet: Akademie für Musik und darstellende Kunst Mozarteum. Damit ist der Kreis über das rein Musikalische hinaus ausgedehnt; die darstellenden Künste, nicht nur Oper, sondern Schauspiel und Ballett, gehören mit in den Bereich der Akademie, die damit schon vom Programm her einen festen Bezug zu den musischen Künsten insgesamt erhält; denn auch Bühnenbild, Maske und Kostüm fallen unter die Unterrichtsfächer wie auch Rhythmik, Gymnastik und alle musischen Bildungsfächer überhaupt.

Dies aber ist nur die äußere Abgrenzung; wichtiger ist das innere Bild. Hier nun zeigt sich ein entscheidender Unterschied zu den Universitäten und den anderen Hochschulen. Die Musikakademie hat zwar unbestrittenen Hochschulrang; man wird in absehbarer Zeit sogar akademische Grade verleihen, wahrscheinlich so etwas wie den alten, in England noch gebräuchlichen magister artium. Aber es gibt einen Punkt, der eine Musikakademie vom Grunde her von der Universität unterscheidet. In einer Musikakademie wird man nur nach bestandener Aufnahmeprüfung aufgenommen. Nur die Talentierten, ja heutzutage eigentlich nur noch die Hochtalentierten, werden zum Studium zugelassen und erhalten nun eine genau festgelegte und geregelte Berufsausbildung. Es gibt sogar die Möglichkeit, diejenigen, die im Verlauf des Studiums nicht entsprechen, nach einer Semester- oder Zwischenprüfung wieder auszuscheiden.

Die „andere“ Bildung verschaffen

Also, so möchte man vielleicht schließen, ist eine Musikakademie doch mehr eine höhere Berufsschule, eine Fachschule? Sie verlangt ja für die eigentliche Konzert- oder Opernausbildung nicht einmal die Matura einer Mittelschule (nach neuestem Sprachgebrauch die Matura einer höheren Schule). In der Tat, kommt jemand zur Prüfung mit einer hervorragenden, vielversprechenden Stimme, mit einer schon reif entwickelten Klavier- oder Geigentechnik, mit einer hervorragenden Eignung für ein Blasinstrument, so wird er in jeder Musikhochschule der Welt mit Freuden aufgenommen und bis zur höchsten Reife ausgebildet, ohne daß die etwa mangelnde Schulbildung ein Hindernis zur Aufnahme wäre. Bekanntlich hatten weder Haydn, Mozart, Beethoven noch haben Hindemith oder Strawinskij Matura. Aber der Schluß, daß demnach die Bildung des Musikers (man sträubt sich das schlecht gewählte und vielfach mißbrauchte Wort „Allgemeinbildung“ zu verwenden) unwichtig oder nur sekundär sei, ist falsch.

Jedermann weiß, welche Bildung die oben genannten Komponisten gehabt haben und haben, nämlich eine höhere und tiefere als unsere normale Schulbildung sich träumen läßt. Diese

„andere“ Bildung allen Studenten, die keine Matura haben, doch noch zu verschaffen, ist ein Hauptanliegen der Musikakademie. Welcher Musiker könnte heute noch im Beruf existieren, der nicht in den anderen Künsten auch erfahren sei, der nicht das alte und das moderne Drama kennt, eben als Kampffeld zwischen Wort und Ton, der nicht im Zeitalter der elektronischen Musik, in der Epoche von Radio und Fernsehen, Grundkenntnisse in Physik, Mathematik habe! Der entscheidende Zentralpunkt heißt selbst im Feld der normalen Ausbildung für Konzert und Oper: Künste und Wissenschaften sind nicht nur Teile einer Gesamtbildung und Gesamtkultur, sondern durchdringen sich und ergänzen sich auch während der Ausbildung, selbst wenn diese nur ein Spezialfach betrifft. So hat die Salzburger Akademie sogenannte musische Bildungsfächer vorgeschrieben, die von allen denen pflichtgemäß besucht werden müssen, die nicht die Matura nachweisen können.

Musisches Gymnasium im kleinen

Irgendwie ist unsere Musikakademie zugleich ein musisches Gymnasium im kleinen. Denn das ist nun das große zweite Problem einer Musikakademie. In die Musikakademie kommen nicht erst die Zwanzigjährigen, sondern schon die hochbegabten Jugendlichen, selbst Kinder. Ein musikalisches Talent äußert sich ganz früh, und wird es nicht in diesem Frühstadium gebildet, so verkümmert es. Ein Geiger, der nicht im Alter von sieben bis acht Jahren beginnt, kann nie mehr ein Künstler in seinem Beruf werden. Einzig die menschliche Stimme und das Blasinstrument können später mit der Ausbildung zur Kunst beginnen. Aber auch in diesen Fällen muß die gesamte elementare und die technische Ausbildung (diese bis zu einer mittleren Reife) in der Zeit vor der Pubertät erfolgen.

Die Zeiten, da man einen Schlosser, Maurer oder einen Fiaker mit der phänomenalen Tenorstimme entdeckte, ihm ein paar Opernpartien einbleute und er dann die Starlaufbahn siegesbewußt antrat, sind vorüber. Eine moderne Oper läßt sich ohne echtes musikalisches Grundstudium und ohne tiefes Wissen von der Musik als Kunst nicht studieren.

Da unsere öffentlichen Schulen nicht mehr die breite, den späteren Ansprüchen genügende Vorfeld der elementaren Musikerziehung sein können, so muß die Musikakademie nolens vo-lens die Hochbegabten in den Unterklassen bei sich aufnehmen und elementare Musikerziehung betreiben. Am Mozarteum im Salzburg geschieht das durch das Orff-Schulwerk, ein rhythmischmusikalisches Bildungselement, das sich in vielen Staaten der Welt Eingang verschafft hat. Unter der Leitung von Carl O r f f ist in Salzburg das Orff-Institut gegründet worden, das auch wissenschaftlichen Arbeiten dient. Auch an dieser Stelle zeigt sich wieder die selbstverständliche Verbindung von Musik und Wissenschaft.

Außer den Künstlern bildet eine Musikakademie auch die künftigen Musikerzieher an Schulen, Konservatorien, Volksmusikschulen, die Musiklehrer in Stadt und Land. Hier tritt zum künstlerischen und wissenschaftlichen Kreis noch der pädagogische. In Salzburg erwartet die Musikakademie mit Spannung die Wiedererrichtung der Universität, damit dort das wissenschaftliche Beifach studiert werden kann, aber noch viel mehr als das, damit der Ausgleich und der Gleichklang zwischen Künsten und Wissenschaften in einer musischen Stadt wie Salzburg in Zukunft besteht.

Eine verwirrende Vielfalt

Man braucht nur noch einige der Abteilungen der Musikakademie aufzuzählen, um eine fast gefährliche Vielschichtigkeit der Erziehung und Bildung anzudeuten: Dirigentenklasse, Opernschule, Schauspielseminar, Seminar für Musikerziehung, Komposition, Regie, elektro-akusti-sche Abteilung und dann das Gros, das Hauptfeld der Pianisten, Sänger, Streicher, Bläser e tutti quanti. All das muß sich in sich selbst entwickeln und doch für Bildung und Kultur eine Einheit darstellen. Man denke dazu an die schon von der Psychologie her völlig verschiedenen Gebiete der Kinder-, Jugendlichen- und Hochschulstudenten-Erziehung, und man hat die heute so oft verwirrende Vielfalt von Erziehungsaufgaben. Und letztlich überlege man die Verflochtenheit der modernen Weltmusik, die von uns internationale Musikakademien fordert, die natürlich die Aufgabe, die Begabten des eigenen Landes so zu bilden, daß sie im internationalen Forum konkurrenzfähig bleiben, nicht vergessen darf.

Der musikalische Beruf selbst ist in wichtigen Teilen einem Strukturwandel unterworfen; es hülfe nichts, auf dem Standpunkt einer nationalen Heimatschule stehen zu bleiben. In dieser maßlosen Entwicklung die jungen Musiker mit Maß und Ruhe erfolgversprechend zu bilden, dazu bedarf es der Arbeit der Besten und Fähigsten. Den großen Künstler zur Zeit aus der Vereinzelung seines Kunstfaches herauszulocken und ihn in die Verantwortung des Pädagogen hineinzustellen, ist eine Aufgabe, welche die Verantwortlichen heute mehr denn je erfüllen muß. Die musikalische Jugend braucht nicht nur ferne Vorbilder in Oper und Konzert, sondern Erzieher und Gestalter, pädagogische Künstler-Persönlichkeiten in den eigenen Schulstuben und Werkstätten der Musikakademien selbst.

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