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Intelligenter durch Musik

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Musik für Kinder - was ist das überhaupt? Sind das Kinderlieder oder „leichte“ Stücke von Mozart und Haydn? Sind das direkt den Kleinen zugedachte Werke wie Sergej Prokofieffs phantasievolles Musik-Märchen „Peter und der Wolf1, wie die Klavierstücke für Kinder von Bela Bartök? Oder vielleicht „Kinderschlager“ wie die so beliebten Schlumpf-, die Heidi-, Wickie- oder Biene-Maj a-Melodien ?

Ulrike Jungmair, Professor an der Hochschule Mozarteum für Musik und Darstellende Kunst in Salzburg (Sonderabteilung Orff-Institut für Elementare Musik- und Bewegungserziehung), die sich in ihren Lehrveranstaltungen laufend mit dieser Frage beschäftigt, läßt grundsätzlich alles gelten. Aber sie meint: Musik für Kinder ist sicher einmal das, was die Kinder anspricht, was sie gerne hören, singen, auf Instrumenten nachspielen.

Doch zur Musik für Kinder gehört nicht nur das „Rezipieren“ und „Reproduzieren“, auf das sich die Musikwelt der Erwachsenen fast ausschließlich beschränkt, sondern unbedingt auch das „Produzieren“, das schöpferische Selbermachen von Musik.

Wie aber können Kinder, die erst ein paar Liedchen kennen; von Noten keine Ahnung haben und auch kein Musikinstrument lernen, selber Musik „produzieren“?

Unsere Gesprächspartnerin bildet seit Jahren Studenten in der von dem Komponisten und Erneuerer der Musikpädagogik Carl Orff entwickelten Methode einer Elementaren (das heißt: ursprünglichen) Musikerziehung aus. Dementsprechend fallt auch ihre Antwort auf unsere Frage aus: Wie das möglich ist, zeigt das Orff-Schulwerk!

Schon kleine Kinder mit durchschnittlicher Musikbegabung und ohne jede musikalische Vorbildung können sich etwa zu einer Geschichte, die ihnen erzählt wird, eine musikalische Untermalung ausdenken, zu einem Gedicht die passende Melodie erfinden oder Stimmungen, Bewegungsabläufe oder Naturerscheinungen in Musik umsetzen.

Als Instrument dient ihnen dabei zuallererst der eigene Körper: die

Füße, die auf den Boden klopfen, die Hände, mit denen sie klätschen, und ihre Stimme. Dazu kommen einfache Trommeln, Rasseln, Schellen, Klangstäbe und Glockenspiele. Instrumente also, die man auch ohne jahrelanges Üben zum Klingen bringen kann.

Das heißt nun aber keineswegs, daß Carl Orff mit seinem Schulwerk und dem von ihm zusammengestellten Instrumentarium ein allgemeingültiges Rezept gegeben hat: So und nicht anders muß Musik für Kinder, Musik von Kindern aussehen! Allein die Tatsache, daß Musikerziehung nach der Orff-Methode heute in allen Kontinenten - in Mexiko wie in Japan, in Spanien wie in Indien - betrieben wird, beweist das Gegenteil.

Denn in jedem Land muß immer erst ein eigener Weg für das schöpferische Musizieren mit Kindern gesucht werden.

Warum ist diese Art von Musik für Kinder heute in aller Welt so gefragt? Was bringt diese Erziehung zum schöpferischen Musikmachen eigentlich?

Dazu erklärt Prof. Jungmair: „Was eine umfassende Musikerziehung im Sinne der Orff-Methode leisten kann, hat in jüngster Zeit ein großangelegter Versuch in Bayern gezeigt. Hier wurde vor zehn Jahren damit begonnen, an normalen Grundschulen mit Durchschnittsschülern - keineswegs alsq ausgewählten Musiktalenten - Modellklassen mit erweitertem Musikunterricht zu führen. Ein Großteil der Lehrer, die in den bisher über 100 Versuchsklassen unterrichten, hat eine Ausbildung am Salzburger Orff-Institut oder zumindest Orff- Fortbildungskurse absolviert.“

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchung des Experiments, die von Prof. Hermann Han- derer und seinen Mitarbeitern (Universität Regensburg, Erziehungswissenschaftlicher Fachbereich) durchgeführt wurde, sprechen für sich: Die Kinder in den Musikmodellklassen erwiesen sich im Durchschnitt nicht nur als signifikant musikalischer, sondern auch konzentrationsfahiger, intelligenter, kreativer, körperlich besser in Form als gleichaltrige „Normalschüler“.

Die Konsequenz, die man in Bay-

ern aus dem Versuch gezogen hat: Das Fach Musik- und Bewegungserziehung wurde an allen Grundschulen eingeführt und die Zahl der wöchentlichen Musikstunden damit verdoppelt.

Wie ist nun die Situation im Musikland Österreich, das mit dem Salzburger Institut überdies die zentrale Ausbildungsstätte für Musikpädagogen im Sinne des Orff-Schulwerks besitzt?

Ein Grundbestand an Orff-Instru- menten gehört zwar heute schon zur Normaleinrichtung der meisten österreichischen Kindergärten und Volksschulen, und Grundelemente des Orffschen Konzeptes einer Elementaren Musikerziehung haben bereits Eingang in die Lehrerausbildung gefunden. Beides in der Praxis zu nützen, fällt jedoch schon deshalb schwer, weil pro Schulstufe nur eine Wochenstunde Musik zur Verfügung steht.

Daß die ganze Problematik aber auch bei uns aktuell ist, zeigt sich schon darin, daß in Salzburg gegenwärtig ein eigener Schulversuch dazu läuft. An drei Volksschulen wird seit 1976/77 pro Schulstufe jeweils eine Klasse mit erweitertem Musikunterricht (drei Wochenstunden, davon eine in Kleingruppen) geführt. Laut Versuchsprogramm wird in diesen Stunden gesungen, gespielt, getanzt, auf Instrumenten musiziert, Musik gehört, Notenlesen und -schreiben geübt.

Es stellt sich nun die Frage, ob es in Österreich überhaupt genügend Lehrer mit entsprechender Ausbildung gibt, die - falls man sich auch hier für mehr Musik für Volksschulkinder entschließt - zur Verfügung stehen. Prof. Hermann Regner, der Leiter des Orff-Instituts, nennt dazu Zahlen: Seit 1974 haben fast 600 Österreicher, darunter viele Lehrer, an den Sommerkursen des Instituts teilgenommen. Fast 50 österreichische Hörer haben bisher einen ein-, zwei- oder vierjährigen Ausbildungsgang für Elementare Musik- und Bewegungserziehung absolviert. Fast alle sind heute in pädagogischen Berufen tätig. Auch andere Institutionen wie die Pädagogischen Institute des Bundes führen bereits Orff-Kurse durch.

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