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Rattenfänger und Scharlatane

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Im Gesamtschaffen des 77jährigen Meisters Carl Orff stehen die „Astutuli“ (= die Witzigen) zwischen dem gewaltigen Block der „Anti-gonae“ nach Sophokles und Hölderlin und dem „Trionfo di Afro-dite“, dem abschließenden Concerto scenico des Trittico teatrale: „Trionfi“. In den Jahren zwischen 1947 und 1949 geschrieben, bezeichnete Orff diese „Astutuli“ als eine bayrische Komödie und schon hieraus ergibt sich der Zusammenhang mit dem zwischen 1944 und 1946 entstandenen bayrischen Stück „Die Bernauerin“.

Carl Orff wollte nach dem tragischen Agnes-Bernauer-Stoff ein Satyrspiel schreiben und fand eine Vorlage in dem mittelalterlichen Wundertheater des Miguel de Cervantes Saavedra und nicht etwa — wie häufig vermutet — aus Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Wenn Orff einmal äußerte: „Die Story begibt sich vor undenklicher Zeit“, so ist das bereits der große Trick, der den geborenen Komödianten ausmacht, denn gleichzeitig ist dieser Stoff sehr aktuell aufzufassen: mit den Astutuli-Rufen des Gaglers werden die Zuschauer in den Theaterraum gelockt, sie tun damit nichts anders als die Mitspieler auf der Bühne, die gleichfalls der „seltsamen Kumedie“ des Gaglers beiwohnen wollen, und schon ist der Kreis geschlossen, der Bühne und Zuschauerraum umschließt, der alle einbezieht in die bayrische Komödie von den Schlaumeiern und Gewitzigten, die sich in höchstem Maße auszeichnen durch Eitelkeit, Dummheit und Prahlerei, und sogleich spürt man wie das gemeint ist, denkt an die Entstehungsjahre, die es nahe gelegt haben, dem Volk den Spiegel vorzuhalten, ihm den Vorwurf zu machen: es braucht ja nur einer kommen, so ein Rattenfänger, ein Scharlatan, der verspricht und verspricht und nichts hält, sondern alle nur ausnimmt, bestiehlt und belügt und an der Nase herumführt!

Da sitzen sie also auf der Bretterbühne: Der Burgermeister Zagelstecher, die dumm-dreisten Dorfschönheiten Fundula, Hortula und Velli-cula mit ihren Sponsierern, auch drei vom hochweisen Rat, zween Burger, der Wächter Hornstößl und viel Volk ist mit von der Partie, denn es wird der Gagler erwartet, der Gaukler, der Träume zu erwek-ken versteht und Phantasiegebilde aufrichtet! Der Gagler zitiert den Onuphri herbei, denn zunächst muß man dem Volk bekanntlich einmal Angst einjagen, dann läßt es sich kneten. Nach dem Onuphri kommt das Erdmandl an die Reihe, der Goggolori, das Hutzelmännchen aus der Hurinuß. Jetzt gehört dem Verführer das ganze Volk, endgültig ist es in die Falle gegangen und ehe sie zuschnappt, gibt es noch die sättigenden Erbaulichkeiten des Schlaraffenlandes und für das unsichtbare kokanische Gewand wirft alles seine Kleider fort. Ausgezogen bis aufs Hemd sehen sie der Zukunft entgegen, der .künftigen Zeit', wie sie ihnen vorgegaukelt wurde. Die beiden Landstreicher — mit Hans Stadtmüller und Karl Renar trefflich besetzt — klären die Siebengescheiten auf: Der Gagler ist weg und die Kleider dazu. Das Erwachen macht bösartig, nicht ihrer eigenen Dummheit geben die Geprellten Schuld, sondern dem Publikum, das zugesehen und darüber gelacht hat. So kommt es zu einer echten Publikumsbeschimpfung, wie sie Herrn Handke nicht einmal im Traum einfallen würde! Am Ende folgt noch ein Auftritt des Gaglers in Gestalt des Goldmachers, von dem hervorragenden Bühnen- und Kostümbildner Christian Schieckel zu einer grotesken Figur zwischen Vogelscheuche und Vagabundenlook ausstaffiert. Und noch einmal fallen die Gewitzigten auf den Schmäh mit den Hosenknöpfen herein, aus denen der Goldmacher Groschen, aus den Groschen Taler und aus den Talern Golddukaten machen könne, und stolz verkündet der Burgermeister: „Item, item, item: So sag ich an, ich Jörg Zagelstecher. Auf morgen bringt jedermann all seine Taler an, soe die er hat.“

Gustau Rudolf Sellner führte Regie, er sieht auf pralles Theater, auf lärmendes Spektakulum, die Entkleidungsszene erreicht Siedegrade der Turbulenz. Aber Sellner hat auch das Gespür für die Poesie und für das Hintergründige der Figuren. Dabei konnte er aus dem Vollen schöpfen, denn die Gemeinschaftsproduktionen von Staatsoper und Kammerspielen gaben ihm die Basis, auf der sich ebenso rhythmisch-perfekt, wie komödiantisch arbeiten läßt. Sellner hat auf der engen Bretterbühne, die in den Theaterraum vorgebaut ist und sich in keinem Augenblick an der Innenarchitektur des Cuvillies-Theaters stößt, das Orffsche Welttheater in ein bayrisches Szenarium gezwungen, von Aristophanes über Shakespeare bis zu Karl Valentin sind sie allesamt unter weißblauem Himmel gegenwärtig. Die entsprechenden Typen waren vollzählig zur Stelle: Romuald Pekny ist ein großkotziger Gagler, nicht ganz so böse wie Rudolf Vogel in der Uraufführung von 1953, aber ein Mephisto von Nestroys Gnaden, faszinierend in der Deklamation. In jeder Weise ein Schwerpunkt der Gewitzten ist Custl Bayrhammer als Zagelstecher, einer der ganz Großen aus dem Reservoire altbayrischer Volksschauspielerei.

Hervorragend war die Leistung von Kapellmeister Matthias Kuntzsch, der mit einigen Instru-mentalisten (in erster Linie Schlagwerker) und dem Sonderchor der Bayrischen Staatsoper (Einstudierung: Josef Beischer) die elementaren Rhythmen nur so in den Theaterraum schleuderte. Wie sich Kuntzsch in diese Aufgabe hineingelebt hat, verdient höchste Beachtung!

Vor den „Astutuli“ machte sich Carl Orff selbst Konkurrenz, indem er persönlich aus der „Bernauerin“ rezitierte. Es ist ihm wie immer gelungen, sein Publikum in den Bann zu schlagen. Uber der Faszination der Begegnung mit Orff darf aber nicht vergessen werden, daß man in München „Die Bernauerin“ nicht vorlesen lassen sollte, sondern man muß sie endlich wieder inszenieren in „derer Minkerna Stadt“!

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