6838544-1975_29_10.jpg
Digital In Arbeit

Moritaten und Mysterien

19451960198020002020

Einen Mythiker, der einen zukunftsweisenden Beitrag zum Theater der Gegenwart geleistet hat, einen Komponisten, dessen Oeuvre für jeden großen Regisseur eine Herausforderung bedeutet: so bewundern ihn die einen. „Für die Entwicklung der Moderne hat er rein gar nichts geleistet... Diese Musik kann man ignorieren“, ärgern sich die anderen, bekämpfen ihn und sein Schaffen: eine Polemik, die rund um das Werk des Münchner Komponisten Carl Orff (geboren 1895) nun seit Jahrzehnten tobt und im Grunde noch immer zu keinem Ende gelangt ist.

19451960198020002020

Einen Mythiker, der einen zukunftsweisenden Beitrag zum Theater der Gegenwart geleistet hat, einen Komponisten, dessen Oeuvre für jeden großen Regisseur eine Herausforderung bedeutet: so bewundern ihn die einen. „Für die Entwicklung der Moderne hat er rein gar nichts geleistet... Diese Musik kann man ignorieren“, ärgern sich die anderen, bekämpfen ihn und sein Schaffen: eine Polemik, die rund um das Werk des Münchner Komponisten Carl Orff (geboren 1895) nun seit Jahrzehnten tobt und im Grunde noch immer zu keinem Ende gelangt ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Nun feierte Orff seinen „Achtziger“ (10. Juli). Eine Serie szenischer Orff-Huldigungen i in der BRD, in Nürnberg, Regensburg, eine Ehrenmitgliedschaft der Universität Regensburg, die Ehrenbürgerseihaft der Stadt München... Und die Münchner Opernfestspiele wurden

Orff zu Ehren. mit dessen „Antigonae“ eröffnet.

In Österreich, speziell in Wien hat man auf Carl Orff völlig vergessen, obwohl eigentlich die meisten seiner 'Bühnenwerke in den fünfziger und sechziger Jalhren hier Heimatrecht hatten: Zum Beispiel in der Staatsund Volksopfer „Carmina burana“, „Catulli Carmina“, „Trionfi“, Agnes Bernauer“, „Der Mond“, Die Kluge'... Konzertant lernte man in Wien seine Antigonae“ kennen, die vorher in Salzburg uraufgeführt worden war, in einem Gastspiel seinen „Prometheus“.,. Und bei den Salzburger Festspielen 1973 brachte Orff-Kenner Herbert von Karajan, der schon »1953 an der Mailänder Scala „Trionfi di Afrodite“ uraufgeführt hatte, noch die Uraufführung des neuen „Spiels vom Ende der Zeiten“ heraus, jenes resümierenden Werks, in dem Orff all seine jahrzehntelang aufgestauten Ideen verpackte: den Festspielgedanken, wie er ihn durch Wieland Wagner in Bayreuth kennengelernt hatte, die Tradition mittelalterlicher Mysterien, orientalische und antik-mediterrane Symbolik, die Erlösungsidee, wie er sie in biblischen und frühmittelalterlichen Texten kennenlernte ...

Musik ist für den Komponisten, den Pädagogen Carl Orff, immer auch „Erziehungsproblem“ gewesen, eine Frage gymnastisch-tänzerischer Lockerung und Gestaltung . Das zeigte er bereits 1915 bis 1917 als Kapellmeister und Komponist der Münchner Kammerspiele, die damals zu den modernsten deutschen Schauspieltheatern gehörten; dann als Kapellmeister in Darmstadt und Mannheim. Nicht von ungefähr begann er 1913 mit einem Öpernversüch nach elnerri selbstadaptierten japanischen Libretto. Debussy, Strauss, Pfitzner sind als erste Einflüsse feststellbar.

26jährig geriet Orff in den Einflußkreis Heinrich Kaminskis, der sich vor allem für eine Wiederbelebung der alten Polyphonie einsetzte, Barockmusik förderte, sich mit dem Concerto grosso beschäftigte. Monteverdis „Orfeo“ wurde neuherausgegeben, der Tanz spielte dabei eine entscheidende Rolle. Hier lernte Orff die Bedeutung des Tanzes verstehen, engagierte sich für Mary Wigman und Rudolf von Labans Experimente. 1924 gründete er gemeinsam mit der Tänzerin Dorothee Günther in München eine Schule für Musik, Tanz und Gymnastik, was ihn schließlich zu einer Beschäftigung mit orientalischer und afrikanischer Musik anregte. Hier lernte Orff vor allem auch jene Schlagwerkorchester kennen, die später seinen Werken das unverkennbare Kolorit gehen sollten.

1930 bis 1935 erarbietete er sein berühmtes Schulwerk, das im Kind schöpferische Kräfte mobilisieren soll. In Hinkunft ist Orffs Musik eigentlich nicht mehr isoliert zu betrachten, sondern „aus der Absicht zu verstehen, mit Hilfe der Musik Sprache und Bewegung zu einer Einheit zu binden, die im altgriechischen Drama vorhanden war“. Das sind aber die Wurzeln des Orff-Musiktheaters schlechthin: Rhythmus und Tanz, archaische Vorbilder, Volksliedhaftes, die bewußt primitive Form. Nur so versteht man auch Orffs Breiten-, ja Massenerfolg, den ihm im Grundde die Mehrzahl aller Komponistenkollegen geneidet hat. Von den 1935 geschriebenen „Carmina burana“ an, die 1937 in Frankfurt herauskamen, hatte Orff seinen Weg, seine Methode gefunden; über sie ist er, vom wachsenden Horizont der Stoffe abgesehen, nie hinausgekommen.

Das letzte Drittel seines Schaffens ist markiert von der griechischen Tragödie: Antigonae, Oedipus, Prometheus. Der große Bogen ist gespannt. Von den Moritaten der mittelalterlichen Bilderbogenstücke, etwa der „Agnes Bernauer“, führt er das Theater etappenweise zurück. Zu kultischen Vorstellungen , zur Erlösungsidee... Die Drehung des Fortunarades, die mit großem Schwung in der Vagantenpoesie der „Carmina burana“ einsetzt, vollendet sich in „De temporum fine comoedia“, in deren sitoyllinischen Geschichten, in deren Anachoreten-weissagungen und in der Erlösung Luzifers. In Texten, die, aufs Einfachste reduziert, tiefste Wirkung ausstrahlen ... Wie Orff selbst das immer empfunden hat: „Je wesentlicher, vereinfachter die Aussage, desto unmittelbarer und stärker ist die Wirkung.“

Dieses kam allerdings bei der Münchner „Antigonae“-Festauf-führung zu Orffs „Achtziger“, also der Eröffnungsvorstellung des Münchner Opernfestivals, nur . bedingt 2UF;iGel$un#(.Staatsoperninen-dant Günther Rennert inszenierte das Werk Wolfgang Sawallisch dirigierte. Die Kritiken waren geteilter Meinung.

„AZ“-Kritiker Helmut Lesch vermerkte etwa: „Der Regisseur inszenierte überraschend konsequenzlos, auf schwankendem Boden: Hier oratoriensteifes Kultspiel, Mysterium, dort realistische Mörderstory. Das heißt, Szenen wie aus einem griechischen Sandalentheater (Chor) wechseln mit tief beeindruckenden Seelenexplosionen der fabelhaft genauen Colette Lorand in der Titelrolle. In der Richtung einer Lösung dieses überzeitlichen Dramas fanden aber nur halbherzige Schritte statt.“

„tz“-Kritiker Karl-Robert Danler berichtet hingegen von „einer eindrucksvollen Geschlossenheit im Szenischen und Musikalischen“ und einer „exemplarischen Besetzung“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung