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Wenig Glück mit dem Welttheater

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Fürs europäische Welttheater sollte es eine Art Krönung und Vollendung sein: Eine Zusammenschau von Ideen, ein Verflechten von Entwicklungen, ein Resümee abendländischer Welttheatertendenzen; ein „Spiel vom Ende der Zeiten“ ... Romantische Kunstinterpretation, kulminierend in der Deutung der Kunst als Sinngebung des Lebens, bindet da Mysterienspiel, Völkstheater, antike Dramenvorstellungen, mit dem Ziel, die Besinnung auf das Humane zu wecken.

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Fürs europäische Welttheater sollte es eine Art Krönung und Vollendung sein: Eine Zusammenschau von Ideen, ein Verflechten von Entwicklungen, ein Resümee abendländischer Welttheatertendenzen; ein „Spiel vom Ende der Zeiten“ ... Romantische Kunstinterpretation, kulminierend in der Deutung der Kunst als Sinngebung des Lebens, bindet da Mysterienspiel, Völkstheater, antike Dramenvorstellungen, mit dem Ziel, die Besinnung auf das Humane zu wecken.

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Und auch CarZ Orff, dem Komponisten, Autor und Bearbeiter alter Textvorlagen, ist dieses Spiel von der „Nachtwache“ und Heimkehr Luzifers in die Gnade Gottes stilistisch und symbolisch die längst fällige Synthese: Fäden, wie er sie seit ,,6armina burana“ oder der „Klugen“ märchenhaft poetisch gesponnen hat, Volksspielelemente, wie in der „Agnes Bernauerin“ verflicht er mit seinem Sprach- und Menschenbild der Antike („Antigonae“, „Prometheus“) und kleidet sie ein in ein maniieristisches, Stile und Zeiten aufhebendes Konzept, dem außerdem religiöse Vorstellungen (christliche, antike und jüdische Zitate und Bilder) verbunden werden.

So interessant Orffs literarische Vorlage ist, so problematisch ist seine Umsetzung in Musiktheater und da wieder ,die Realisierung auf der Bühne. Denn musikalisch ist Orff noch stärker der Reduktion und der Formelhaftigkeit verfallen als etwa in seiner „Antigonae“ oder im „Prometheus“. Griechische, lateinische und deutsche Texte, unvermittelt neben- und aneinandergesetzt, wallen teils in Litaneiformen, teils stoßartig deklamiert oder skandiert gesungen, teils durch koloraturenartige Bögen aufgelöst, am Zuhörer vorbei, aber ohne daß im Unterschied etwa zu „Prometheus“ für den Zuschauer sich daraus eine dramatische Bühnenform ergäbe ... Ein Stück aus Kommentaren also; Reflexionen der der Welt fluchenden Sibyllen, der vom drohenden Schicksal in Angst und Schrecken versetzten Anachoreten, die sich in den Traum flüchteten: Dort erfahren sie vom bevorstehenden Ende der Welt, vom Aufstieg Luzifers und schließlich vom Verzeihen Gottes: Selbst dem Teufel wird göttliche Gnade zuteil. Er steht am Ende als strahlender Engel auf der Bühne, weil „aller Dinge Ende / wird sein / aller Schuld Vergessung“ (der Gno-stiker Origines, 253 n. Chr.).

Musikalisch füllt Orff drei Szenen von insgesamt 72 Minuten Dauer mit einer archaischen Klangwelt, donnernden Schlägen primitiven Schlagwerks, vorwiegend exotischen Instrumentariums wie dem ägyptischen Darabukka oder dem javanischen Angklung, zu denen Holzbläser, ein Blechchorus, acht Kontrabässe, Harfen, Klaviere, eine elektrische Orgel sowie Fernorchester, Fernchöre und Tonbänder treten.

Solisten und Gesangs-„Partien“ gibt es im „Spiel“ eigentlich nicht: alles ist Kollektiv von Personifikationen, Symbolgestalten, philosophischen Metaphern.

Die Uraufführung im Salzburger Festspielhaus, musikalisch in Köln mit dessen Rundfunksymphonieorchester und -Chor für seine Plattenproduktion einstudiert, und erst hier von Herbert von Karajan betreut, ist das Ergebnis langer Neuformungen und Überarbeitungen des Regisseurs August Everding und des Bühnenbildners Günther Schneider-Siemssen. Von Anfang an war klar, daß Orffs Werk einiger szenischer Abänderungen bedürfe, um überhaupt auf eine Riesenbühne gebracht werden zu können. Reinhard Raffalt mußte einen erklärenden deutschen Prolog dazuschreiben, für den Schluß, wo Orff als Symbol für den Zerfall aller Materie ein Streichquartett einsetzt, mußte man eine (geradezu peinliche) Projektionslösung finden; technische Apparaturen von ungeheuren Ausmaßen, Flugmaschinen, ein Riesenteleskop, eine Bühnenhebevorrichtung, riesige Bühnenwagen wurden eingebaut, um wenigstens optisch einige Attraktionen bieten zu können.

Das Ergebnis ist im ganzen dennoch unbefriedigend. Stilbrüche stören. Einem bizarr-phantasievollen Nachtbild mit Himmels- und Erdensymbolen und schwebenden Sibyllen, einer kosmischen Vision von hohem Reiz, steht eine antikisierende statische Anachoretenvision (auf gebrochenen Säulenstümpfen) mit barockem freskoartigem Projektionszirkus gegenüber. . Aber im Traumbild, der Szene der letzten Menschen und der Erscheinung des Teufels, gleitet die Szene in billigen Realismus aus. .Bergwerksarbeiter steigen auf aus den Tiefen des Mönchsberges, das Festspielhaus weitet sich zur breiten bespielten Panoramabühne, kitschige Feuersbrünste, Astralstürme und Gewitter fegen die Bühne leer, die Inszenierung rettete sich in sinnlose Projektionen brechender Augen, des Leo-nardoschen Menschen, schließlich in Strahlenmeere auf Silberfolien. Sinnloser optischer Luxus gibt sich bedeutungsschwer, wie Orffs Eingebung vollständig versagt, sich in einem Tonbandarioso und ein paar Streichquartettakten erschöpft. Und da versagt Regisseur Everding, dem trotz allem Mangel an Geschehen immerhin eine auf-

regende Sibyllszene geglückt ist, da versagt Günther Schneider-Siemssen (Kostüme: Andrzej Majewski), dessen Sibyllen- und Anachoretensze-nen immerhin von farblichen Reizen und raffiniertem Lichtspiel geprägt sind, und da muß auch Herbert von Karajan versagen, weil dieses ganze Traumbild musikalisch von solcher Armut und Einfallslosigkeit ist, daß 'es auch durch ihn nicht gerettet werden kann; durch ihn, der diese Partitur im übrigen mit aller Schärfe und rhythmischen Prägnanz realisiert. Die 18 Sänger, den Kölner Rundfunkchor, den Rias-Kammerchor und den Tolzer Knabenchor, geführt von Josef Greindl, setzt Karajan akkurat ein, ist stets auf harte Konturen bedacht.

Trotz einem interessanten Team und allem Riesenaufwand also ein Abend, der nicht allzuviel Eindruck hinterläßt. In Stuttgart und München hat man wohl gewußt, warum man dieses Werk ablehnte.

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