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Orff und sein Theatrum Mundi

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Antigonae-Oedipus-Prometheus: ähnlich den „Trionfl“ hat auch hier Carl Orff eine Trilogie vollendet, die — wenn auch völlig anders geartet — nur Waignens „Ring“ vergleichbar ist. Orff hat keine Rekonstruktion antiker Tragödien vorgenommen, es sind Neuschöpfungen, dem Logos der Menschheitsgeschichte entsprungen, denn Prometheus, der an den Fels geschmiedete Titan, wird zu einem Mittelsmann zwischen den Göttern und Menschen. Noch herrscht der allgewaltige Zeus, sein Zorn stößt nicht nur „Prometheus“ in unermeßliche Qualen, er treibt auch „Io Inachis“ in Leid und Wahnsinn. Aber auch hier steht eine „Götterdämmerung“ ante portas und ungewollt, aber von seherischer Kraft durchdrungen, führt uns Aischyüos über den Gefesselten hin zum Gekreuzigten. Die Trilogie des Aischylos ist nicht überliefert, es ist uns nur der „Gefesselte Prometheus“ erhalten, aber durch die Einbeziehung dieses Werkes in die Orffsche Trilogie hat sich auch damit sinn- bildhaft ein Kreis geschlossen. Während sich Orff in „Antigonae“ und „Oedipus“ an die Übertragungen Hölderlins gehalten hat, sah er sich im „Prometheus“ dazu veranlaßt, den altgriechischen Text zu verwenden, um eine restlose Geschlossenheit im Bereich der klanglich-akustischen Wahrnehmbarkeit zu erzielen. Das Ergebnis ist ein mystischer All- Rhythmus, eine panhumane Über

höhung des Orffscben Theatrum Mundi.

Schon aus sprachlichen Gründen würde man zunächst eine Realisation dieses Werkes kaum für möglich halten, aber Genialisches hat immer schon Interpreten angezogen und wie es eben einen ersten „Evangelisten“ in Bachs Matthäuspassion und eine erste „Isolde“ in Wagners „Tristan“ gab, so gibt es heute Sänger-Darsteller, die sich von so außengewöhnlichen Schwierigkeiten provoziert fühlen und sich ihnen stellen wollen. In der Münchner Prometheus-Erstaufführung im Nationaltheater waren es in erster Linie Colette Lorand (Io), William Murray (Prometheus), Kieth Engen (Okeanas), Fritz Uhl (Hermes), Harns Günter Nöcker (Hephaistos), Karl Christian Kohn (Kratos) und Wilfried Lattemann (Bia), die mit beispielhafter Hingabe ihre Rollen meisterten. Aber auch den „Chorführerinnen“ und dem „Chorus Oceanidum“ gebührt besonderes Lob, wenngleich es noch einiger weniger Proben bedurft hätte, um letzte Präzision zu erlangen. Auch Michael Gielen als Dirigent einer iilustren „Battaria“, zusammengesetzt aus Instrumenten aller Kontinente, konnte den Graben nicht überspringen, der sich zwischen handwerklicher Sachlichkeit und kongenialer, interpretatorischer Inspiration auftut. Gielen war ein sicherer Steuermann in den mystischen Klangfluten, aber kein

Beschwörer kultischer Elemente (Jochum und Kubelik sind hier die Vorbilder. War es wirklich nicht möglich, zur Münchner Erstaufführung eines der wesentlichsten, schöpferischen Werke unserer Zeit, einen dieser Dirigenten zu gewinnen?).

Was jedoch musikalisch nicht er- schönfor.J gelungen ist, erfüllte sich restlos im Szenischen. Regisseur August Everding hat allps auf Aktion abgestimmt. Steil ansteigende, riesenhafte Treppen, von dem faszinierenden Prager Bühnenbildner Josef Svoboda gewaltig aufgetürmt und effektvoll ausgeleuchtet, führen zum Fels, an dem „Prometheus“ angeschmiedet hängt. „Orkea- nos“ erscheint, von Jan Skalicky zu einem monströsen Phantasiegebilde verdichtet, auf der Höhe, seitlich zu „Prometheus“. Alles hat auch nach außen hin die Größe des visionären Geschehens. Everding setzt alles ein, was diese Ausmaße artikuliert, darunter auch filmische Mittel, die „Prometheus“ auch optisch ins Übermenschliche erhöhen und über Lautsprecher werden einige Chöre elek- troakustisch verstärkt. Es mag Einwände gegen die Fflmprojektionen geben, aber sie sind nur die Konsequenz der von August Everding geschaffenen, souverän zu Ende gedachten Konzeption. Staatsintendant Dr. Günther Rennert, der während der Münchner Opernfestspiele 1968 eine Hiobsbotschaft nach der anderen verkraften mußte, durfte aufatmen an diesem denkwürdigen Abend, der ein echtes Festspiel war. Alle Mitwirkenden wurden stürmisch gefeiert, als jedoch Carl Orff auf die Bühne kam, brach das Publikum in lautstarkem Jubel aus.

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