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Von Sophokles zu Orrt

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Schon anläßlich der Uraufführung seiner „Antigonae“ vor zwölf Jahren hat Carl O r f f erklärt, er habe keine neue „Oper" fürs Repertoire schreiben wollen, sondern er habe versucht, „ein Festspiel und kultisches Theater“ zu schaffen, indem er das Werk des Sophokles zeitgemäß interpretiert. Zugrunde liegt, dort wie hier — in ,,ö d i p u s, der Tyrano“ — die Nachdichtung Hölderlins, an der kein Wort geändert oder ausgelassen wurde.

Bereits Hölderlins Übersetzung stellt eine Interpretation des griechisohen Originaltextes dar und ist zugleich eine Sprach- schöpfung von höchster Originalität, die der Komponist Winfried Zillig als „eine einsame Insel" bezeichnet hat und durch die der deutschen Sprache, ähnlich wie durch Luthers Bibelübersetzung, neue Räume eröffnet worden sind.

Wer einmal eine szenische Aufführung des Hölderlinschen „Ödipus“ gesenen hat, der wird bemerkt haben, welche enorme Schwierigkeiten dieser Text den Schauspielern bietet. Aber auch der Zuhörer hat Mühe, den Sinn dieser hochstilisierten Verse zu erfassen. Sie schweben gewissermaßen in einem luftleeren Raum, in jenem blauen Äther, den Hölderlin so oft in seinen Dichtungen beschworen hat.

Hier nun, an diesem Punkt, setzt Orff ein. Er versucht, das Pathos zu überhöhen, indem er die einzelnen Monologe, Wechselreden und Chöre zu metrisch-rhythmischen Komplexen zusammenfaßt, wobei er die ersteren meist einstimmig (und oft auf einem einzigen Ton) psalmodierend deklamieren läßt und indem er andere Stellen akkordisch oder durch seinen reichhaltigen Schlagwerkapparat grundiert.

Der „Effekt" ist ein doppelter: Die Verse Hölderlins werden gleichsam auf die Erde zurückgeholt, wobei die Musik sie in einen bestimmten Klangraum einfängt. Anderseits — und auch darüber dürfte sich Orff im klaren gewesen sein — wird die Wortverständlichkeit weiter reduziert, so daß man auf ganze Strecken nur jene Verse versteht, die man im Gedächtnis hat. (Wobei das Verständnis einzelner Verse noch keineswegs die Erfassung auch des Sinnes garantiert…)

So wird an das Publikum dieser zwei und eine Viertelstunde dauernden Darbietung, die durch keine Atempause unterbrochen ist, ein Anspruch gestellt, dem nicht jeder gewachsen ist. (Bei der Aufführung in der Wiener Staatsoper verließen, nach der ersten Hälfte, einige Besucher den Saal, da sie sich offenbar in ihrer Erwartung, eine „Oper“ zu hören, getäuscht sahen.)

Die Frage ist nun, ob dieser hohe Anspruch geistig und künstlerisch durch das, was der Musiker Orff bietet, gerechtfertigt ist. Und hierüber gehen die Meinungen, die Empfindungen und die ästhetischen Urteile weit auseinander.

Denn gerade die Stilisierung und Monu- mentalisierung ist nicht durchweg geglückt. Nur auf zwei schwache Stellen (unter vielen anderen) sei hingewiesen. Einmal die nicht anders als banal zu bezeichnenden Rhythmen, welche die Deklamation ab- lösen, zum ändern das Umschlagen in einen groben Naturalismus bei der Erscheinung des geblendeten Ödipus zu einem ohrenbetäubenden Trompetengeschmetter, dem einfach die Nerven mancher Zuhörer nicht gewachsen waren.

Die Inszenierung Günther Rennerts sowie die Bühnenbilder und Kostüme von Caspar N e h e r hielten sich vor allem an die „Stilisierung“. Doch auch hier gab es Entgleisungen, 60 das Kostüm der Jokaste, die mehr an eine Powlowetzerin erinnerte, als an eine griechische Königin, ferner die beiden Kinder des Ödipus, die wie kleine Ritterfräulein (im Stil der Uta vom Naumbuiger Dom) gekleidet waren.

Im ganzen war die Bühne einfach und geschmackvoll ausgestattet, und auch die bekannten gedämpften Farben Caspar Nehers (Rostrot, Braun, Gelb und Gold) machten einen guten Gesamteindruck. Von den Solisten zeichneten sich besonders Gerhard Stolze und Christi Goltz aus. Die musikalische Interpretation unter der Leitung von Heinrich Hollreiser, der ein ausgezeichneter Kenner des Orff- Stiles ist, war hervorragend und ließ keinen Wunsch offen.

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