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Orffs „Carmina Burana“ in Innsbruck

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Carl Orff ist für Innsbruck kein Fremder mehr. Sein köstliches musikalisches Märchen von der „Klugen“ wurde vor zwei Jahren mit größtem Erfolg gegeben, trotzdem aber blieb die Aufnahme der „Carmina Burana“ in den Spielplan des Landestheaters ein gewisses Wagnis angesichts der Anforderungen, die das Werk au alle Mitwirkenden und in seiner völligen Neuartigkeit auch an das Publikum stellt. Wie sehr sich gerade die Jugend, die zu den Vorstellungen drängte, unmittelbar angesprochen fühlte, war vielleicht das eindringlichste Zeugnis für die Wirkung der

„Carmina“, die dem Suchen unserer Zeit nach neuen Formen eine einmalige, kraftvolle und faszinierende Erfüllung bringen. Es ist kennzeichnend, daß dabei einem Kollektiv, detn zweigeteilten Chor, die .bedeutsamste Rolle in dieser „szenischen Kantate“ zufällt und von den beiden geschlossenen, reglosen Blöcken dunkler Gestalten eine Solche Bewegung ausgeht, eine solche Ausstrahlung lebendigen musikalischen Geschehens, daß sie mitreißender wirkt als fast jede „Handlung“ im üblidien Sinn. Orff bedient sidi aber auch der menschlichen Stimmen, der von ihnen geformten Worte, mit einem einzigartigen Gefühl für die Mittel, die ihm damit in die Hand gegeben sind. Der Text, den er zugrunde legt, stammt aus den mittelalterlichen Scholaren- und Vagantengedichten, die im Kloster Benediktbeuern gesammelt wurden und bis zum heutigen Tag die wundervollste Frische ungebrochenen Lebensgefühls, den Frühlingsduft einer ganzen Epoche ausströmen. Es ist meisterhaft gereimtes Latein, das, von mittelhochdeutschen und französischen Strophen durchsetzt, einen besonderen sprachlichen Klang- zauber besitzt. Man wählte bei der Innsbrucker Aufführung allerdings die deutsdie Übersetzung, die der Prägnanz Orffscher Rhythmisierung nicht ganz so entgegenkam. Was in den drei Liedgruppen — gerahmt von dem gewaltigen Chor an Fortuna — textlich ausgesagt wird, findet in seiner Musik eine grandiose Entsprechung und Interpretierung. Bewußt, aber nicht gesucht ist die Hinwendung zu ursprünglich-unbändigem Rhythmus, die Bindung an volkstümliches, an mittelalterliches Liedergut, das in lebendigster Weise aufersteht. Ungemein farbig ist die Instrumentierung, die völlig neue Effekte erzielt, ohne die Tonalität zu verlassen, unmittelbar nebeneinandergesetzte starke Kontraste liebt Orff, jähe Übergänge von zarter Lyrik zu heiterderbem Gelärme, und in einmaliger Weise bedient er sich der höchst eindrucksvollen, raschest aufeinanderfolgenden Wort- und Silbenwiederholungen. So scheint gelegentlidi die Luft über den Chören von virtuos immer neu emporgeschleuderten Tonbällen zu funkeln, dann wieder spannt sich der wunderbar breite Bogen des Baritonsolos darüber hin (Ernst Gutstein) oder der Sopran (Gerty Sper-lich) leuchtet auf wie ein Sonnenstrahl. Hin und her schwingt in verschiedener Stärke, aber in nie nachlassender Intensität das musikalische Geschehen, Die optische Darstellung ist der tänzerischen Geste, der Pantomime anvertraut. Sie konnte in Innsbruck nidit ganz den Forderungen des Originals entsprechend ausgestaltet werden (die im Rahmen des Möglichen gutgelungene Choreographie oblag Andrei Jerschik, die originellen, aus dem Geist des Werkes geborenen szenischen Hintergründe schuf Gallee), doch wurde der starke Eindruck des Gesamtwerkes dadurch kaum beeinträchtigt. Denn Siegfried Neßler als Dirigent und Ladislaus Földes bei Einstudierung der Chöre hatten für die musikalische Verwirklichung Vorbildliches geleistet, und offensichtlich trug auch das .Interesse, ja die Begeisterung aller Mitwirkenden Wesentliches zum Zustandekommen der beispielhaften Leistung bei.

Den zweiten Teil dieses der modernen Musik gewidmeten Abends füllte Werner Egks Ballett „Joan von Zarissa“, bei dem die Kunst Jerschfks und der einzelnen Mitglieder des tänzerischen Ensembles mehr Gelegenheit hatte, sich zu entfalten. Das Innsbrucker Orchester, diesmal unter Leitung von Walter Hindelang, setzte sich erneut ausgezeichnet mit der ihm fremden Tonsprache der Egk-schen Welt auseinander, die allerdings nach dem gewaltigen Anruf der „Carmina“ mehr äußerlichen Impressionen verhaftet blieb.

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