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Odipus der Tyrann in Stuttgart

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Am Beginn einer Orff>Woche, welche die Werke „Antigonae“, die „Trionfi“ und den „Mond“ umfaßte und in einer Matinee mit „Astutuli“ (mit Orff selbst) und seinen Schiller-Chören, stand die Uraufführung dieses lapidaren Schwesternwerkes der „Antigonae“, abermals auf Sophokles-Hölderlinschem Texte. Eine Meisterleistung des Stuttgarter Hauses, dessen Qualitäten Wien vor kurzem kennengelernt hat. Die steinerne Welt der „Antigonae“ zeigt sich im „Oedipus“ ins letzte Extrem getrieben. Der gnadenlose Text mit dem furchtbaren Schlußbild des in den Abgrund des. Schicksals gestoßenen und des Augenlichtes beraubten Tyrannen entbindet bei Orff eine nicht minder gnadenlose Musik, die — in gewaltigem architektonischem Gefälle und in Beschränkung auf das Wesentliche — im instrumentalen Part die Sprache extrembrutaler Härte spricht; darin aber gerade die Kongruenz dieser magischen Klangbasis zur Ausdruckswelt der Oedipustragödie gewinnt.

Es geht Orff letztlich um die Aufschließung der Sprache in ihrer Vorder- und Hintergründigkeit, nicht aber um „Musikalisierung“ eines Textesl Und diese „Musik als Wortaufschließung“ ist es, die uns Eigenart, ja Einzigartigkeit, Sinn und Bedeutung des Orffschen Unterfangens enthüllt. Aus diesem „Urgrund Musik“ in der Sprache empfängt auch die Geste ihre darstellende Kraft. Dieser geschlossene und kompromißlose Stil des neuen „Oedipus“ (wie vorher schon der der „Antigonae) gibt das Recht, die bisher letzte Kristallisation im dramatischen Spätwerk Orffs als „unser großes zeitgenössisches deutsches .Gegenwartstheater“ neben das Werk Wagners und das von R. Strauss zu stellen. Dieser Erkenntnis hat die Oedipuspremiere zu sinnfälligem Durchbruch verholten. — Die „steinerne“ Musik diktiert den Aufführungsstil. Die Inszenierung G. Rennerts — besonders sichtbar in der wunderbaren Ausgewogenheit der Choraktion zwischen göttlichem Ungerührtsein und Teilnahme an menschlichen Regungen (zwischen Statik und Gelöstheit) — fand die richtige Entsprechung auch in der Maskenwelt und Kostümwelt C. Nehers, dessen labyrinthisches Bühnenbild jedoch in der Endphase die quadernhafte Lapidarität verfehlte. Im Solistenbereich der großartigen musikalischen Gesamtleistung unter Ferdinand Leitner am Pult und mit den vortrefflichen Chören (H. Mende) seien — pars pro toto — Gerhard Stolze als Oedipus, die wunderbare Astrid Varnay (Iokasta) und Fritz Wunderlich als eindringlicher Tiresias genannt.

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