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Carl Orffs Welttheater

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Carl Orffs Musiktheater ist schon seit langem vom Geist der -Sprache bestimmt. Bei seinen in diesem Sinne entscheidenden Werken, den weltlichen Gesängen „Carmina burana“, den szenischen Spielen „Catulli Carmina“ und dem neuen, soeben von de» -Maüänder ftorlW -MT^LTfJnfführung gebrachten „Trionfo di Afrodite“, einem „szenischen Konzert“ nach Originaltexten des Catull, der Sappho und des Euripides, spielt die Sprache, die sogenannten toten Sprachen Lateinisch und Griechisch, weniger die Rolle des Trägers einer Handlung, sondern wirkt Vielmehr als Keimzelle einer Musik, deren naive, direkte und damit theatralische Wirkung melodikh-rhythmischer Natur ist, während das harmonische Element gleichsam als Feind sprachlicher Diktion nahezu fehlt.

Daraus ergibt sich notwendigerweise eine vollkommene Verlagerung des Gewichtes in der Aufführungspraxis. Zwar wird das Orchester, das Orchester Orffs mit seinem rhythmischen Schlagwerk, seinen die Dichtungen zäsierenden Schlägen und seinem die melismatische Ueberhöhung des Gesanglichen fortführenden Instrumentarium, nicht weniger wichtig, aber es wird selbst geradezu szenisches Mittel. Das bedeutet mehr als je zuvor eine neue Aufgabe für die Regie, die nichts weniger zu lösen hat als die theatralische Verwirklichung einer neuen musikdramatischen Idee. Wie die Handlung in diesen drei nun zu einem „theatralischen Triptychon“ vereinten und in dieser Form erstmals gebotenen szenischen Tableaus aus der lyrischen Dichte der Sprache gleichsam nebenbei erwächst, wird auch die theatralische Wirkung des neuen Musikdramas Orffs nur aus einer sehr überlegten und konsequent gestalteten neuen Ordnung der vielgestaltigen Elemente Zueinander entwickelt werden müssen. Es ist dabei nicht entscheidend, daß die drei seit 1936, dem Entstehungsjahr der „Carmina burana“, geschriebenen Stücke in sich selbst wieder eine Verlagerung des Gewichtes mit sich bringen. (Es ist eine Verlagerung in Richtung der Abstraktion, der immer stärkeren Betonung des Chorischen, der immer mehr ausgesparten Handlung durch die Solisten.) Wichtig ist allein, diese Ordnung zu finden.

Leider hat die Personalunion von Dirigent und Regisseur (Herbert von Karajan) in Mailand nicht die musikdramatische „Wahrheit“ des Triptychons entdeckt und verwirklicht. Von ausgesprochenen Fehlern abgesehen, wie die statuarische Oratorik der beiden Liebenden in „Carmina burana“, die akustisch schlechte Postierung, des Chors ebenda und das im allgemeinen im Hintergrund der Bühne spielende Ensemble: vielleicht hat Mailand eben klar bewiesen, daß Orffs Welttheater im Grunde einer antiken Bühne bedarf, die den Zuschauer umschließt, ihn zum Mitspieler, wenn auch zum passiven, macht. Aber diese Aufgabe wäre eben die des Regisseurs gewesen: die Rampe zu überspielen, nicht ihre Grenzziehung noch zu betonen - mit einem Wort: den gegebenen Möglichkeiten das/ neue Musikdrama aufzuoktroyieren.

Künstlerisch waren die gegebenen Möglichkeiten groß. Vor allem hat der Chor der Scala Ueber-ragendes geleistet, auch Tatjana Gsovsky, die in vielen Szenen ganz auf sich allein verwiesen war und dort, wo die Choreographie das entscheidende .Wort hat, auch Bedeutsames zur Schau stellte, war ein großer Gewinn. Auffallend verzärtelt, spielerisch und gar nicht exemplarisch wie in früheren Zeiten waren die Bühnenbilder Joseph Fennekers. Auch hier fehlte ganz offenbar die grundsätzliche Uebereinkunft mit dem (im Grunde fehlenden) Regisseur.

Die erste Darstellung der „Trionfi“ Carl Orffs an der Mailänder Scala, die damit eine wahrhaft europäische Gesinnung bewies, brachte als Ergebnis: alle szenischen Probleme, die mit diesem als Triptychon neuen Werk Orffs gestellt wurden, sind im Grunde noch ungelöst. Sie harren noch einer Lösung, die als Muster gelten darf.

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