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Annemarie Düringer über die Kritik

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Die FURCHE wird Auszüge aus einigen Referaten des österreichischen Theatertages auszugsweise veröffentlichen. Wir beginnen mit den uns wesentlich erscheinenden Sätzen aus dem Vortrag von Annemarie Düringer, der ein ebenso starkes wie geteiltes Echo hatte. Der komplette Text erscheint demnächst in der Zeitschrift „Morgen“.

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Die FURCHE wird Auszüge aus einigen Referaten des österreichischen Theatertages auszugsweise veröffentlichen. Wir beginnen mit den uns wesentlich erscheinenden Sätzen aus dem Vortrag von Annemarie Düringer, der ein ebenso starkes wie geteiltes Echo hatte. Der komplette Text erscheint demnächst in der Zeitschrift „Morgen“.

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Die Zurkenntnisnahme einer Zeitungskritik nach einer Premiere ist % der Obolus, den ich für das große Glück zu zahlen habe, eine Tätigkeit auszuüben, die mir beinahe immer großen Spaß macht, die mir die immer neuen Abenteuer einer Probenarbeit ermöglicht, verbunden mit dem erregenden Risiko, am Abend der Premiere zu siegen oder mit einem blauen Auge in die Seile zu gehen. Gar nicht zu sprechen von der Glückseligkeit, die man nach der Geburt eines gelungenen Rollenkindes empfindet, und der genüßlichen Überlegung, dafür auch noch bezahlt zu werden. Daß einem für solch unverschämt gute Lebensbedingungen von irgend einer Seite die Rechnung präsentiert wird, ist ja wohl selbstverständlich.

Daß diese zu unserem Beruf gehörige Einrichtung für einen beträchtlichen Teil von Schauspielern eine Existentfrage sein kann, wissen wir - und die Bangigkeit, mit der ein Broadway-Schauspieler in der Morgendämmerung nach der Premiere Zeitungs-Kritiken liest, deren Empfehlung oder Nichtempfehlung darüber entscheidet, ob seine Show weitergeht oder ob er in zwei Tagen brotlos sein wird, von dieser Angst haben wir Schauspieler in unseren Breiten keine Ahnung. Hier kann ein Schauspieler noch so Schlechtes über sich lesen, er spielt ungeschoren weiter. Bei uns kann ein Stück oder eine Inszenierung noch so durchfallen, durchs Abonnement gezogen wird sie trotzdem ...

Und doch glaube ich, daß kompetente und ernsthafte Theaterkritik für das künstlerische Schaffen eines Theaters unerläßlich ist. Wie sollte also Theaterkritik unter den ebenerwähnten lokalen Gegebenheiten meiner Meinung nach aussehen? Kurz gesagt: eine Theaterkritik müßte für einen Schauspieler ebenso notwendig und zwingend zu lesen sein, wie das Anhören einer wichtigen Regieanweisung während der Probenarbeit! In dem so diffizilen Prozeß der Probenarbeit kann im Laufe der vielfältigen Überlegungen, dem Finden, Ver-

werfen, Abwägen und Neuformen sehr leicht Wichtiges übersehen werden. Dies wissen alle, die je eine Probenarbeit mitgemacht haben. Die bei allen Beteiligten eintretende Unfähigkeit, nach wochenlanger Probenarbeit, eingefahrene Geleise zu verlassen oder falsche Richtungen zu erkennen und noch zu korrigieren, kommt immer wieder vor, gar nicht zu sprechen von den nicht immer nur gewinnbringenden Anregungen oder Nichteinfallen von Regisseuren. Und bekanntlich ist das Datum fast keiner Premiere identisch mit der Ausgereiftheit oder Vollendung einer Inszenierung. Von diesem Zeitpunkt an konnte entsprechende Theaterkritik interessant werden: Nämlich: Nach der Premiere von dritter Seite eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geschaffenen zu lesen, aus der ein Schauspieler, ein Regisseur möglicherweise erkennen kann, woran es liegt, daß er mit sich selber und dem Resultat der Inszenierung unzufrieden ist, oder, im Falle einer gelungenen Arbeit, von so kompetenter Seite Ermutigung zu erfahren ...

Zu solch unendlich wichtigem Weiterarbeiten an der Rolle bzw. der Inszenierung kann der Künstler aber nur gebracht werden, wenn die entsprechende Kritik in ihren Argumenten, Einsichten, Ablehnungen oder Ermutigungen gewissenhaft die möglichen Gegebenheiten eines Stückes, dessen Inszenierung und die schauspielerische Umsetzung registriert und stichhältig'zur Diskussion stellt. So aufgefaßt, würde eine Kritik zum ernstzunehmenden Gesprächspartner in einem künstlerischen Prozeß. Auch beim am Theatergeschehen interessierten Leser der Zeitung würde solche Rezension Neugier und lebendige Anteilnahme am künstlerischen Schaffen eines Theaters erwecken. Voraussetzung zu solcher Theaterkritik ist freilich die Beherrschung der Profession, und zwar seitens des Schreibenden als auch des Spielenden. Sprechtechnik-Mängel bei Schauspielern zu vermerken ist für den Kritiker genau so fad, wie für den Schauspieler das Lesen von nichtssagender Premiereninformation. In Wien ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, mehrheitlich eine Theaterkritik üblich, die sich darauf beschränkt, das gegebene Stück zu nennen, den Inhalt der Handlung bekanntzugeben, die Regie und das Bühnenbild stimmig zu finden, um sich dann abschließend ziemlich unmotiviert, aber ausführlich mit der Benennung von guten

und schlechten Leistungen der Schauspieler zu beschäftigen ...

Ich persönlich glaube, daß Theaterspielen um der Schauspieler willen eine mehr als fragwürdige Angelegenheit ist und die Unterstützung solcher Tendenz durch die Kritik letztlich in eine künstlerische Sackgasse und zur Stagnation von schauspielerischen Ausdrucksmitteln führt. Der Schauspieler ist kraft seiner Einfühlungsgabe in jede wie immer geartete Situation das Instrument, mit dessen Hilfe eine geschriebene Dichtung oder ein Stück in lebendiges Wort, in gelebte Situation umgestaltet wird. Dieses Instrument, also der Schauspieler, hat sich eine größtmögliche geistige und körperliche Reaktionsfähigkeit und Aufnahmebereitschaft zu erhalten, um mit Hilfe seiner schöpferischen Fantasie der Interpretation von Stückinhalten jeden Stils gewachsen zu sein. Eitle und selbstgefällige Pflege von persönlichen Ausdrucksmitteln oder Maschen gefördert durch zustimmende, ja oft ermunternde Kritik, kann einen Schauspieler bzw. sein Instrument in Schwierigkeiten bringen, die da sind: Festgefahren sein, wandlungsunfähig sein, sich selbst spielen, Ubergangsschwierigkeiten und so weiter. Vornehmliches Ziel eines Schauspielers muß doch sein, sich bzw. sein Instrument in den Dienst eines Dichters zu stellen...

Schon in der Antike dürfte der Akzent auf der kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk und dessen Inhalt gelegen haben und nicht auf Berichten über hinter Masken dröhnende Mimen. Sonst wären uns wohl diese Werke, wenn ' auch zum Teil nur fragmentarisch, kaum überliefert worden. In der Hamburgischen Dramaturgie hat Lessing, nachdem seine eigenen Schauspieler sich die kritische Würdigung ihrer schauspielerischen Leistungen verbeten hatten, wegen Unvereinbarkeit, kaum mehr solche erwähnt oder näher beschrieben. Ihm ging es vor allem um die Kritik des Stückes an sich. Er war als neubestellter Theaterdirektor von dem Wunsche beseelt, dem Deutschen Theater durch Stückauswahl neue Impulse zu geben. Und wie ist ihm dies gelungen. Der Sturm und Drang, die deutsche Klassik, ja auch noch die Romantik wäre ohne seine großen kritischen Auseinandersetzungen mit dem Theater nicht denkbar. Hätte er statt dessen nur notiert, Madame Löwen hat ihren Prolog verheddert, während Madame Hensel ihren Epilog sublime gebracht hat, so wäre die Hamburgische Dramaturgie vergessen.

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