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Ich kann der Kandidatenaufstellung nicht vorgreifen

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FURCHE-Interview mit dem Obmann des sozialistischen Abgeordnetenklubs Vizekanzler a. D. DDr. Bruno Pittermann über Wahlreform, seine eigene Kandidatur, Rundfunk, das Problem Nenning, Koalition und sozialistische Alleinregierung

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FURCHE-Interview mit dem Obmann des sozialistischen Abgeordnetenklubs Vizekanzler a. D. DDr. Bruno Pittermann über Wahlreform, seine eigene Kandidatur, Rundfunk, das Problem Nenning, Koalition und sozialistische Alleinregierung

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FURCHE: Im letzten Jahr hat man Jn der ganzen Welt sehr viel von einem politischen Engagement der Jugend gehört. Wird die SPÖ bei Ihren nächsten Kandidatenaufstellungen die Jugend stärker berücksichtigen?

PITTERMANN: Also wenn ich mich richtig erinnere, haben wir fast immer in der sozialistischen Fraktion den jüngsten Parlamentsabgeordneten gehabt. So zum Beispiel 1953 Minister Czettel, früher den jetzigen Tiroler Landesrat Zechtl. Wir haben immer versucht, jüngere Leute vorzuschieben. Übersehen Sie allerdings eines nicht: es kommt natürlich in erster Linie auf die Wahlkreisorganisation an. Hier wird es schon einer gewissen Aufklärungsarbeit bedürfen, um darauf hinzuweisen, daß man auch jüngere Kandidaten berücksichtigen muß. FURCHE: Sie glauben also nicht, daß,es zu größeren Ablösungen kommen wird?

PITTERMANN: Wir sind doch die einzige Partei, die eine Altersgrenze hat, und wir halten sie im allgemeinen auch ein. Wir haben aber jetzt bei den Wahlen 1962 und 1966 ohnehin mindestens ein Drittel der Fraktion durch jüngere Abgeordnete ersetzt.

FURCHE: Herr Dr. Pittermann, was halten Sie in diesem Zusammenhang von Aktionen, wie sie gerade von der Jugend propagiert werden, wie zum Beispiel von der Aktion „Reihen und streichen“? PITTERMANN: Wir sind der Meinung, daß im wesentlichen die toahhrerbende Organisation bei der Auswahl diejenigen ihrer Kandidaten berücksichtigen soll, die am meisten Widerhall bei den Wahlen fanden. Jeder Kandidat hat zustimmende und ablehnende Stimmen. Eine Partei wird es sich sehr wohl überlegen, an einem Kandidaten festzuhalten, der nicht den Widerhall findet, den sie erwartet. Die Erfahrungen sind auch nicht so, da diese Aktionen darüber hinausgehen, was derzeit ohnehin in der Nationalratswahlordnung vorgesehen ist. Wir haben seinerzeit der Wahlordnung, die das Reihen und Streichen vorsieht, die Zustimmung gegeben, ich erwarte mir davon ebenso wie meine Partei keinen besonderen Fortschritt. FURCHE: Vorwahlen, wie sie die Jugend in der Stadthalle zur besseren Selektion der Abgeordneten gefordert hat, würden Sie also derzeit nicht für gut halten? PITTERMANN: Die Vorwahlen würden ja dann die Wahlkampfauseinandersetzungen in die wahlwerbenden Parteien verlegen, natürlich könnten sich bei solchen Vorwahlen auch andere Bevölkerungsgruppen, als nur die nach dem Wahlalter gruppieren. Es würde aber dann schwerer sein, daß die Jugend junge Kandidaten durchbringt; denn wir dürfen ja nicht verhehlen, daß angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung der Anteil der jungen Bevölkerung an der Gesamtzahl keineswegs in dem Maß gewachsen ist, sondern eher der Anteil der älteren Bevölkerung. FURCHE: Werden Sie, Herr Doktor Pittermann, bei den nächsten Wahlen wieder kandidieren? PITTERMANN: Ich kann der künftigen Kandidatenaufstellung der Sozialistischen Partei und ihrer Wahlkreisverbände nicht vorgreifen. FURCHE: Sie sagen, es seien ohnehin genügend junge Kandidaten in der SPÖ berücksichtigt worden. Nun hat der Chef der sozialistischen Studenten vor kurzem der FURCHE erklärt, die SPÖ sei für den VSStö ein „befristeter Koalitionspartner“.Nach den Hochschulwahlen werde man sehen, wi man sich gegenüber der SPÖ verhalten soll. Kommt es hier zu einer Spaltung wie in der deutschen Bundesrepublik, wo sich ja auch sozialistische Studentenverbände immer mehr von der SPD entfernen und entfremden? PITTERMANN: Nein, man soll jungen Menschen eine gewisse Redefreiheit zugestehen. Es ist dieser Ausspruch des VSStö zwar eine Formel, die Ich persönlich für unrichtig und sehr unglücklich halte. Letzten Endes übersteigt sie aber meiner Meinung nach nicht den Rahmen einer innerparteilichen Demokratie. FURCHE: Die SPÖ identifiziert sich also nach wie vor mit dem Verband Sozialistischer Studenten Österreichs?

PITTERMANN: Wir sind selbstverständlich daran interessiert, daß die sozialistischen Studenten In der Hochschülerschaft eine Ihren Wählern entsprechende Vertretung haben, und zwar würden wir es durchaus begrüßen, wenn sie größer wäre, als sie es bei den letzten Wahlen war. Daß die politischen Äußerungen einzelner studentischer Funktionäre nicht immer die Zustimmung des Parteivorstandes gefunden haben und vielleicht auch in Zukunft nicht finden werden, ändert nichts an dieser allgemeinen politischen Auffassung.

FURCHE: Und die finanzielle Unterstützung bleibt?

PITTERMANN: Ich zweifle nicht daran, daß sie bleibt. FURCHE: Gehen wir zur nächstjüngeren Generation: Ein weitaus schwierigerer Fall dürfte auf die Dauer die sozialistische Mittelschülervereinigung sein, deren Zeitschrift „Frontal“ auch von Sozialisten fallweise schon der Vorwurf der Pornographie gemacht wurde. Identifiziert sich Ihre Parteileitung auch mit dieser Mittelschülerorganisation, unterstützt sie auch diese Organisation, oder distanziert sie sich von solchen Produkten? PITTERMANN: Bitte, Sie müssen hier unterscheiden zwischen dem Bestand einer Organisation und ihren öffentlichen Stellungnahmen. Was den Bestand einer Organisation betrifft, so sind wir durchaus dafür, daß es auch innerhalb der Mittelschüler wie auch innerhalb der Lehrlinge und Lehrmädchen Organisationen gibt. Aber es ist ja bekannt, daß von Äußerungen In Zeitschriften oder Zeltungen der sozialistischen Mittelschülervereinigung wiederholt auch die Parteiführung abgerückt ist. Was den Vorwurf betrifft, daß in der Zeltschrift SeTttal-probleme erörtert wurden, so möchte ich darauf hinweisen, daß dies keineswegs nur eine österreichische Erscheinung ist oder eine Erscheinung der sozialistischen Mittelschüler -Organisation. In benachbarten Staaten ist man ja auf diesem Gebiet noch viel weiter. Es handelt sich hier um ein Problem, das man meines Erachtens als ein Gesamtproblem sehen sollte.

FURCHE: Sie glauben also nicht, daß es Zu einem ähnlichen Bruch wie in der deutschen Bundesrepublik kommt?

PITTERMANN: Nach der bisherigen Entwicklung glaube Ich diese Frage verneinen zu können. FURCHE: Viel Staub aufgewirbelt hat auch der Fall Dr. Nenning. Identifizieren Sie sich mit der Meinung Ihres Parteivorsitzenden Dr. Kreisky, daß Dr. Nenning ein politischer „Wurschtl“ sei?

PITTERMANN: Meine Stellung zu Dr. Nenning bzw. die Stellung Nen-nings zu mir ist In der Öffentlichkeit ja gut bekannt. Dazu brauche ich keinen Kommentar abzugeben. Was die Äußerung von Dr. Kreisky, daß Nenning ein politischer „Wurschtl“ sei. betrifft, möchte Ich sagen, Ich halte diese Stellungnahme für verständlich. Ich habe selbst einmal bei einem früheren Gespräch gesagt, man soll auch In der Sozialistischen Partei ein gewisses Maß an Narrenfreiheit konzedieren. FURCHE: Man hat Ihnen-vorgeworfen, daß Sie ein Hauptgegner der freien Rundfunk- und Fernsehberichterstattung aus dem Parlament seien. Sind Sie nach wie vor so eingestellt und welche Begründung haben Sie dafür?

PITTERMANN: Das ist eine Formulierung, die der Österreichische Rundfunk gebracht hat. Ich bin keineswegs gegen eine freie. Berichterstattung, sondern nur gegen eine Berichterstattung, die unter der Kontrolle des Herrn Generalintendanten steht.

FURCHE: Wie stellen Sie sich aber konkret eine Berichterstattung durch den Rundfunk vor? Wollen Sie es dabei belassen, wie es bisher war, oder sollten, wie Dr. Kreisky es auch formuliert hat, dem Parlament verantwortliche Redakteure Berichterstattungen durchführen? PITTERMANN: Ich möchte vor allem einmal feststellen, daß ich die derzeitige Berichterstattung aus dem Parlament keineswegs als für der Weisheit letzten Schluß halte — es gibt noch weit bessere. Aber ich sehe nach dem Rundfunkgesetz In der heutigen Form nicht die Möglichkeit, eine nicht der Kontrolle des Parlaments unterliegende Berichterstattung zu installieren. Das Gesetz gibt dem Generalintendanten autoritäre Bevollmächtigungen gegenüber allen Instanzen des österreichischen Rundfunks, und das scheint mir keine Garantie für eine freie Berichterstattung.

FURCHE: Man sprach aber doch davon, daß Ihr Parteivorsitzender Dr. Kreisky mehrmals mit dem Generalintendanten Bacher zusammengekommen sein soll und es dabei zu einem recht tragbaren Arrangement gekommen wäre. Fühlt sich denn Ihre Partei nach wie vor vom ORF so schlecht behandelt? PITTERMANN: Nach der Meinung der unserer Partei angehörigen Funktionäre und Mitglieder, ja. FURCHE: Sie glauben, Sie werden im Rundfunk und Fernsehen zu wenig repräsentiert? PITTERMANN: Ja, sagen wir, die Repräsentation von Meinungen, die uns entgegengesetzt sind, Ist meiner Meinung nach nicht der tatsächlichen politischen Kräfteverteilung in Österreich entsprechend. FURCHE: Entspricht sie eher den Realitäten und damit nicht den sozialistischen Vorstellungen? PITTERMANN: Sehen Sie, darin liegt ja schon das Problem der Manipulation. Auf dem Gebiet des Pressewesens gibt es wenigstens theoretisch die Möglichkeit der vollen Meinungsfreiheit, soweit sie in den Rahmen des Strafgesetzbuches fällt. Daß es In der Praxis natürlich von dem zur Verfügung stehenden Kapital abhängt, ist eine andere Frage. Der Rundfunk aber Ist ein Monopol; niemand in Österreich, auch wenn er das Geld dazu hat, kann derzeit eine Rundfunk- oder Fernsehgesellschaft erhalten. Wer aber ein Monopol hat, dem muß klar sein, daß gerade auf dem Gebiet eines Massenmediums subjektive Meinungsbildung ausgeschlossen ist. Im ORF Ist aber derzeit ein Teil des politischen Lebens überrepräsentiert. FURCHE: Welcher Teil ist das? PITTERMANN: Sagen wir, überwiegend der konservative Teil — es gibt allerdings auch Beschwerden aus den Kreisen der ÖVP —, und vielleicht auch jener Teil, der in Österreich existiert und in einer Demokratie existieren soll, aber nicht eine solche Stärke aufbringt, um auch in der Volksvertretung entsprechend repräsentiert zu sein. FURCHE: Würden Sie sagen, daß die Nachxichtenberichiterstattung des ORF jetzt schlechter und weniger objektiv ist, als in den Jahren vor dem neuen Rundfunkgesetz? PITTERMANN: Das kann man vielleicht generell nicht sagen. Ich selbst habe wenig Gelegenheit, die Nachrichten zu hören, Ich kann mich nur auf Klagen beziehen, die aus unseren Kreisen kommen. FURCHE: Würde die Sozialistische Partei, wenn sie im nächsten Jahr die Mehrheit erreicht, am Rundfunkgesetz bzw. an der derzeitigen Konstruktion des ORF etwas ändern? PITTERMANN: Das kann Ich im Augenblick nicht sagen, wir haben uns mit dem Problem noch nicht beschäftigt. Das jetzige Gesetz führt ja dazu, daß die Sozialistische Partei im Aufsichtsrat zweifellos unter-repräsentlert ist, das war ja auch ein Beschluß, der gegen unsere Stimmen gefaßt wurde. Wir haben eine andere Zusammensetzung des Auf Sichtsrates vorgeschlagen. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, daß wir durchaus versuchen könnten, eine Form des Aufsichtsrates zu finden, die den sozialistischen Vorschlägen bei der Beratung besser als die derzeitige entspräche. FURCHE: Es ist ein offenes Geheimnis, daß alle Parteien immer wieder Trenduntersuchungen durchführen. Wie schaut es bei der Sozialistischen Partei derzeit aus? Hätten Sie nach dem derzeitigen Stand der Dinge Chancen, bei den nächsten Wahlen die absolute oder eine relative Mehrheit zu erreichen?

PITTERMANN: Ich habe mich nie in meinem Leben als Prophet betrachtet, Ich kann nur sagen, ich würde mich darüber freuen. FURCHE: Wenn Sie eine absolute Mehrheit bekommen, wer würde nach Ihrer Meinung in der SPÖ Bundeskanzler werden? PITTERMANN: Ich glaube, es besteht kein Zweifel, daß dies der derzeitige Parteivorsitzende wäre. FURCHE: Und bei einer relativen Mehrheit?

PITTERMANN: Von selten der Sozialistischen Partei besteht auch dann kein Zweifel. FURCHE: Würden Sie, Herr Doktor Pittermann, in einer solchen Regierung noch einmal eine Funktion übernehmen?

PITTERMANN: Das hängt bei einem politischen Funktionär immer vom Beschluß der Partei ab. Für mich persönlich kann Ich sagen, eine besondere Ambition habe Ich nicht. Denn ich bin fast neun Jahre Mitglied der Bundesregierung gewesen, das scheint mir eine relativ lange Zeit. Ich habe es nie verhehlt, daß ich es vorziehe, im Parlament zu sitzen.

FURCHE: Glauben Sie. daß es nach 1970 zu einer Koalition kommen wird?

PITTERM-ANN: Ich persönlich habe die Koalition nie abgelehnt. Ich halte sie auch für kein Übel. Ich war Immer ein Anhänger der Zusammenarbeit, ich glaube, Ich habe jetzt Im Parlament gezeigt, daß dort, wo Zusammenarbeit möglich war, ich sie realisiert habe.

FURCHE: Sie würden auch eine Koalition mit der ÖVP unter Umständen befürworten? PITTERMANN: Ja, Ich persönlich sehe das keineswegs als einen Rückfall In eine schlechtere Zelt an. FURCHE: Und eine Koalition mit der FPÖ, kommt sie überhaupt noch in Frage?

PITTERMANN: Darüber möchte ich keine Erklärung abgeben, das sind Sachen, die die zuständigen Parteigremien zu entscheiden haben. Eine Entscheidung, die zweifellos, wenn überhaupt, erst nach den Wahlen zu diskutieren sein wird. Ich selbst, ich möchte das sehr offen sagen, möchte nicht dokumentleren, daß eine demokratische Partei grundsätzlich von der Regierung ausgeschlossen wird. Aber Ich sehe die größere Konstanz einer Politik In der Zusammenarbeit der beiden großen Partelen. FURCHE: Aber nach Ihrer Meinung wäre die SPÖ auch bereit, eine Alleinregierung zu starten? PITTERMANN: Wenn sie dazu den Auftrag von den Wählern bekommt, ist sie dazu verpflichtet. FURCHE: Sie sind also der Meinung, daß die absolute Mehrheit der SPÖ ein Wählerauftrag wäre, während sie bei der ÖVP das bestreiten? PITTERMANN: Das war auch ein Wählerauftrag.

FURCHE: Herr Dr. Pittermann, wir danken für das Gespräch.

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