Die Italiener der Ober- und Mittelschicht, die sich in den letzten Jahren in stets wachsender Zahl noch vor dem „großen Auszug“ aus den Städten um den „Ferragosto“ in die wohlverdienten Ferien begeben haben, können diesmal keine ungestörten Urlaubsfreuden genießen. Denn fast jeden Tag erfahren sie aus den Zeitungen — das staatliche Fernsehen befleißigt sich hingegen einer mit Recht in der Öffentlichkeit immer heftiger kritisierten Schönfärberei — von überaus pessimistischen, aber leider im Tenor stets übereinstimmenden Berichten und Urteilen des Auslands über die italienische Wirtschaftssituation.
Die jüngst liquidierte italienische Regierungskrise hat die zum Leidwesen der Puristen ohnedies seit Jahren immer mehr durch Neologismen durchsetzte italienische Sprache um ein neues Wort bereichert. In Analogie zum „crem-lihölbgo“, dem „Kreml-Astrologen“, hat Italiens Star Journalist Nr. 1, Indro Montarielli, in einem Porträt des christlich-demokratischen Politikers Ahdreotti im „Corriere della Sera“ den Begriff der „eurologi“, das heißt jener Leute geprägt, die sich mit der Erforschung und Deutung der Strömungen und Machtkämpfe im Hauptquartier der „Democrazia Cristiana“ im „Palazzo delPEUR“, dem noch unter Mussolini für die geplante römische Weltausstellung errichteten Monumentalbau im Südwesten Roms, beschäftigen. Angesichts der Schlüsselstellung, welche die große katholische „Partei der relativen Mehrheit“ seit einem Vierteljahrhundert im politischen Leben Italiens einnimmt, sind die Vorgänge im „Kreml der Democrazia Cristiana“ tatsächlich von maßgeblicher Bedeutung für die politische Entwicklung des Landes, weshalb die Zahl der von Zeitungen und politischen Zeitschriften benötigten „eurologi“ ständig zunimmt und es fast erstaunlich ist, daß jetzt diese Parteiastrologen erst einen allgemein gebräuchlichen Namen erhalten haben.
Im Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, nach dem Scheitern der Bemühungen des christlich-demokratischen Fraktionsführers in der Abgeordnetenkammer, Giulio Andreotti, um eine Regierungsbildung und der Erteilung des gleichen Auftrags durch Staatspräsident Saragat an den bisherigen Schatzminister Emilio Colombo, ist nach fast drei Wochen intensivster Verhandlungen und Bemühungen noch kaum ein Ausweg zu sehen, wie die italienische Innenpolitik aus der Sackgasse herausgeführt werden könnte, in die sie durch die überraschende Demission des Ministerpräsidenten Mariano Rumor am 6. Juli geraten ist. Rumor hat seinen „einsamen Entschluß“ — über den Grad der „Einsamkeit“ gibt es verschiedene Vermutungen und Versionen, doch steht fest, daß zumindest die drei Koalitionspartner der Democrazia Cristiana in der Regierung der „linken Mitte“ und die breitere italienische Öffentlichkeit völlig überrascht wurden — ausführlich begründet und wenngleich auch dieses Dokument, wie fast alle Äußerungen italienischer Spitzenpolitiker in den letzten Jahren, weitgehend in jenem vagen und abstrakten, pseudo-philosophischen und hermetisch-politologischen Jargon abgefaßt war, den vor allem die professoralen Rivalen Fanfani und Moro eingeführt haben und der wesentlich zur Entfremdung zwischen der Politikerkaste und dem italienischen Volk beigetragen hat, so ging doch einigermaßen deutlich daraus hervor, daß Rumor durch die Enttäuschung über die innere Uneinigkeit in der Vierparteien-Koalition, eine Uneinigkeit, die die Regierung besonders gegenüber dem drohenden Chaos sozialer Konflikte und der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation handlungsunfähig machte, zu seinem spektakulären Schritt veranlaßt worden war.