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Kollaborateure der Kultur

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In begreiflicher Anteilnahme diskutiert in diesen Tagen die Öffentlichkeit die Frage, ob ein Dirigent berühmten Namens in Wien wieder als Orchesterleiter zugelassen werden soll. Geht es doch um nichts Geringeres, als ob das beste Wiener Orchester tfnd eines der berühmtesten Orchester der Welt wieder unter einem Führer von unbestrittenen musikalischen Qualitäten musizieren kann oder nicht. Die Feststellung des persönlichen Verschuldens, auf das es hier ankommt und die nur nach genauer Kenntnis des der Prüfung unterworfenen Sachverhalts möglich ist, muß natürlich den hiezu berufenen Stellen vorbehalten bleiben.

Immerhin sind bei dieser und auch schon bei früheren Gelegenheiten Gedankengänge ausgesprochen worden, die in ihren Folgen zu bedeutsam sind, um sich nicht ernstlich damit zu befassen.

Hat nicht jeder, so wurde gefragt, der während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft im Deutschen Reich oder in dessen Namen kulturelle Leistungen erbracht hat, sich vor der Welt mit diesem System identifiziert? Hat er dadurch nicht mitgeholfen, den barbarischen Kern einer brutalen Gewaltherrschaft mit der Aureole kultureller Hochleistungen zu kaschieren? Ist er also letzten Endes nicht allein schon durch diese Haltung zum Mitschuldigen geworden, der jetzt mehr oder weniger Sühne zu leisten hätte?

Einer der . meistgelesenen Autoren Deutschlands hat vor Monaten zu dieser Frage in einem vielzitierten offenen Brief Stellung genommen und sie eindeutig bejaht. Kein Dichter, so meinte er beiläufig, hätte damals, noch weiter in Deutschland in Worten, kein Musiker in Tönen verkünden dürfen, was ja doch mit dem politischen Ungeist der Zeit in ewigem Gegensatz stand. Kein Schauspieler hätte weiterhin die Bühne, kein Gelehrter mehr einen Lehrsaal einer Hochschule betreten dürfen. Die ganze Welt hätte dann die Unkultur dieses Systems i schaudernd erkennen müssen; es hätten nicht so viele sich durch die nicht abzustreitenden Leistungen täuschen lassen über den Wesenskern eines Systems, das jene Talente nur als Vorspann benötigte, um sich für die wahren Ziele ein Alibi zu verschaffen. Wer sich aber dazu mißbrauchen ließ, gewissermaßen zum „Kollaborateur“ dieses Systems erniedrigte, müsse nun für alles, was dann kam, auch ein Teil Verantwortung tragen.

Es ist wahr, nicht wenige namhafte Künstler, Gelehrte, große Lehrer und Ärzte haben den Verlust der Heimat einem solchen Leben in Unfreiheit vorgezogen. Viele von ihnen taten es, weil sie konnten: sie durften hoffen, daß Verwandte, . ein Kreis von Vereh rern und Freunden ihnen ein Stück Heimat ersetzen und die Sorgen und Mühen neuaufzubauender Existenz erleichtern würde. Andere taten es, weil sie mußten: es blieb ihnen keine Wahl. Es gab aber auch viele, die sich von Anfang an über die kommenden Herrlichkeiten des Dritten Reiches gar keine Illusionen machten — und trotzdem blieben. Und es ist fraglich, wer von allen diesen die schwerste Bürde auf sich genommen hat: die, ferne von der Heimat und vielfach von Heimweh verzehrt, ihr ferneres Leben lebten, aber immerhin ein Dasein in Freiheit — oder jene anderen, die im Bewußtsein alles Kommenden ausharrten, mit der promethe-ischen Fackel hineinleuchtend in eine Zeit, die schon lange vor dem Krieg eine strenge Verdunklungsordnung erlassen hatte und sie mit Schwert und Galgen sanktionierte.

Gewiß, es soll nicht vergessen werden, daß viele gute, Österreicher während der schweren Jahre, im. Ausland sich, unablässig und kraftvoll zu ihrem Vaterland -r- Österreich — bekannt haben. Mit der Kraft ihres Talentes haben sie die Welt immer wieder gemahnt, nicht.zu vergessen, daß das, was bei uns geschah, nur. Gewalt und Lüge, Propaganda. und Knebelung war; daß dahinter und nicht immer sichtbar, aber doch ewig vorhanden, ein anderes, wirklicheres Österreich' lebe, leiderprobt und weise geworden in zahllosen Prüfungen der Geschichte, oft schon totgesagt, aber daftn doch immer wieder lebend — wir wollen es ihnen nicht vergessen, daß'sie“ dies immer wieder sagten, und den Dank des Vaterlands haben sie sich wahrlieh verdient.

Aber ebensowenig soll vergessen werden, daß andere unserer Besten, Meister des Geistes und der Kunst, oft als der Stolz ihrer Landsleute Gefeierte, die hier geblieben sind trotz aller Gefährdung,' ein kostbares, unersetzliches Erbe- durch ihr Weiterwirken in die Gegenwart herübergerettet haben.

Oder meint man wirklich, daß die -Wiener Universität, in den Jahren des Nazismus zur Einpaukerzentrale für parteiamtlich zugelassene Zweckwissenschaft entwürdigt, sonst so ohne weiteres wieder in ihre Stellung als weithin; in- alle Welt wirkendes Zentrum wissenschaftlicher Forschung eingesetzt werden könnte? Oder daß ein Orchester, das zur Dorfmusik herabgesunken wäre, wieder über Nacht zu den Philharmonikern zu werden vermöchte? Daß das Burgtheater, durch die Emigration / seiner Großen entgütert, dann ans einer

Schmiere auf einmal wieder das Burgtheater sein könnte? Ein' gutes Theater vielleicht, aber niemals das Burgtheater, wie es gottlob, zu unserer aller Freude wieder vor uns steht? Kultur.ist organisches' Wachsen .und Wesen. Kultur ohne Tradition ist ■ ein Widerspruch in, sich. Eine im Reif einmal verdorrte Pf lanze • macht auch der. wärmste Sonnenschein .nicht mehr lebend, .er bringt höchstens a n d er e Blüten zum Blühen.

Es ist oberflächlich und ungeistig .gedacht, mit der -Formel „Kollaborateure“ i ein Generalurteil .fällen zu wollen. Nicht wenige führende Männer des Geistes und der Kunst haben durch ihr Ausharren'in der Heimat; unersetzliche\ Kulturwerte vor Unkultur und Verrohung bewahrt, indem sie irgendwie mit den widerlich-trostlosen Zeitumständen1 ih Klugheit oder List fertig zu. werden- suchten.

• Ist dies nichts wert? Man weiß yielfach gar nicht, mit welchen Schwierigkeiten wirkliche Kulturleistung oft zu kämpfen hatte und. wieviel Mut sie oft •. erforderte. Es sei hier, um ein Beispiel für viele. zu nennen, an jenes geplante Konzert der Wiener Sängerknaben in Innsbruck erinnert, das der . famose, Tiroler Gauleiter verhinderte, weil ihm einige religiöse Texte des Programms staatsgefährlich , schienen, der künstlerische Leiter es aber ablehnte, in aller Eile den Motetten Palestrinas und Orlando di Lassos weltliche und „zeitnahe“ Texte zu unterschieben. Auch der unerschrockenen Forscher soll nicht vergessen werden, die, nur der Wahrheit dienend, Stellung, Freiheit und Leben aufs Spiel setzten, aber ihre wissenschaftliche Ehre

nicht um - ein Linsengericht feilboten. Und“ war für den, der Ohren hatte zu hören, nicht jede Aufführung einer Beethoven-Symphonie offene Rebellion wider die würgende Gewalt, ebenso laut und eindringlich wie jene im Brut erstickte Revoke der Münchner Studenten, aber nur nicht so faßbar in strafgesetzliche Tatbestände? Sind wir nicht alle davon gestärkt nach Hause gegangen und aufs neue versichert des kommenden Morgenrots der Freiheit? Waren das alles wirklich „Kollaborateure“ des Dritten Reiches oder arbeiteten sie nicht in Wahrheit gerade gegen den Nazismus?

Es mag manche gegeben haben, die die strenge Prüfung nicht zu bestehen vermochten. Aus Schwäche und ohne klare weltanschauliche Orientierung haben sie die vielleicht nicht immer leicht erkennbare Grenze zwischen noch angängigem Kompromiß und Charakterlosigkeit überschritten. Sie waren armselige Menschen, wo das Schicksal Helden forderte, und werden es nun verantworten müssen. Auch ihnen mag man ihre ursprünglichen Absichten nicht als Entschuldigung, aber als Milderungsgrund anrechnen.

Alle anderen, die Kollaborateure der Kultur, sollten aber endlich von Mißdeutung, Mißverständnis und Anzweiflung verschont bleiben.

Freilich — es war bisher immer nur von wirklicher Leistung die Rede, In Zeiten wie den gegenwärtigen liegt immer die Gefahr nahe, daß der Versuch gemacht wird, schöpferische Kraft durch tadellose Haltung mehr oder weniger zu ersetzen. Wer immer für die Reinigung \d kulturellen Lebens von politisch nicht tragbaren Elementen eintritt, wird keinen Zweifel daran lassen dürfen, daß dadurch nicht der Mittelmäßigkeit versperrte Tore geöffnet werden sollen. Es steht zu viel auf dem Spiel: Unsere über die Jahre der Not und Bedrängnis mühsam herübergerettete Kultur.

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