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Sternstunde des Judenstaates

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In einer gigantischen Hilfsaktion hat Israel 15.000 schwarze Juden aus Äthiopien ausgeflogen. Der Judenstaat nimmt sie freundlich auf. Trotzdem gibt es enorme Anpassungsschwierigkeiten.

Schraga Har-Gil aus Tel Aviv

Im Hotel Diplomat in Jerusalem, das in eines der 50 Auffanglager umfunktioniert wurde, um die Neueinwanderer aus Äthiopien aufzunehmen, ist Almio Jojos anzutreffen, ein etwa 50 Jahre alter untersetzter Äthiopier, verheiratet, Vater von zehn Kindern: „Ich bin Schmied und Landwirt und stamme aus Devert. Wir hatten es schwer, aber wir lebten dort seit Generationen. Eines Tages hörten wir im Radio, daß die Juden nach Israel fahren. Seit Jahrtausenden träumen wir davon, in das Heilige Land zu kommen, um der Erlösung nahe zu sein. Lange überlegten wir Juden von Devert, was wir tun sollten - und schließlich beschlossen wir, uns mit Hab und Gut aufzumachen, um Israels Botschaft in Addis Abeba aufzusuchen.”

Das war der Beginn einer glücklichen „Heimkehr”. Der erste Schritt auf israelischem Boden war für Almio Jojos „der glücklichste Tag in meinem Leben, für die äthiopischen Juden ging ein 2000-jähriger Traum in Erfüllung”.

Es war eine logistische Aktion immensen Ausmaßes. 15.000 Juden, der Großteil der Falaschen, oder wie sie sich selbst nennen Bete-Israel, wurde innerhalb von 33 Stunden und 27 Minuten in 33 Passagierflugzeugen nach Israel gebracht. Voraus gingen große Diskussionen, ob es sich bei diesen schwarzhäutigen Äthiopiern wirklich um Juden handelt. Diese Frage war bereits im 19. Jahrhundert aufgetaucht, als die Falaschen von dem französischen Anthropologen Josef Halevy wiederentdeckt wurden. Die Falaschen kannten nicht das Chanukka und Purim-Fest, ferner war den äthiopischen Juden der Talmud unbekannt. Auch das Hebräische hatten sie vergessen und die Bibel lasen sie in der Gees-Sprache, der äthiopischen Kirchensprache.

Trotz allem sind sie Juden. So wenigstens wurde es von den Rabbinern von Frankreich und Deutschland beschlossen. In den dreißiger Jahren brachten diese Gemeinden Falaschen nach Deutschland und Frankreich, ließen sie dort an jüdischen Lehrerseminaren ausbilden, damit sie dann nach Äthiopien zurückkehren und ihre

Gemeinden jüdisch erziehen konnten. Dieser Versuch der Anbindung scheiterte daran, daß Überlieferungen stärker waren als die neue jüdische Religion. Doch die Falaschen selbst sahen sich immer als Juden, glaubten sogar, die einzige jüdische Gemeinschaft der Welt zu sein. Jerusalem ist für sie die heilige Stadt, und wenn eines Tages der Messias kommt, wollen sie ihn in Jerusalem empfangen.

Sie lebten wie im Mittelalter

Nach der Staatsgründung Israels vor 43 Jahren begann die Diskussion erneut, und erst 1984 beschloß man eine organisierte Einwanderung äthiopischer Juden nach Israel. Damals kamen etwa 8.500, hatten jedoch große Schwierigkeiten, da das Oberrabbinat darauf bestand, daß ihre Rückkehr nach Israel auch mit einer neuen Bekehrung zum Judentum verbunden sein müßte.

Die Probleme mit diesen Einwanderern waren immer schwierig, weil es sich um Leute handelt, die noch wie im Mittelalter leben. Bevor man ihnen Zimmer zuweist, müssen sie erst mit dem Umgang mit fließendem Wasser, Wasserklosett und Toilettenpapier vertraut gemacht werden.

Alle äthiopischen Juden erhalten ähnlich wie die anderen Neueinwanderer Identitätskarten und Versorgungsgelder. Doch müssen sie erst registriert werden. Und da beginnen schon die Schwierigkeiten, denn in vielen Dörfern Äthiopiens gibt es keine Familiennamen. Jetzt hat man beschlossen, den Namen des Vaters des Ehemannes dafür zu nehmen. Auch Altersangaben sind mehr Glückssache als dokumentiert.

Die Kinder der Neueinwanderer werden einige Wochen in Sonderklassen die Landessprache erlernen, anschließend in religiöse Schulen geschickt, um die religiösen Traditionen ihrer Eltern fortzusetzen. Die Erwachsenen erhalten auch Sprach- und Umschulungskurse, um dann in den Arbeitsprozeß integriert zu werden.

Bei dieser Einwanderung bewahrheitet sich wieder einmal der alte Talmudspruch: „Kol Israel Chawe-rim” (in Israel sind alle Freunde). Israel ist der Überzeugung, momentan eine der wenigen Sternstunden des Judenstaates zu erleben.

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