Antijudaismen in der Übersetzung

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Ab dem ersten Adventsonntag 2018 ist die revidierte Einheitsübersetzung der verbindliche Bibeltext für die katholischen Gottesdienste.

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Ab dem ersten Adventsonntag 2018 ist die revidierte Einheitsübersetzung der verbindliche Bibeltext für die katholischen Gottesdienste.

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Anlässlich der Präsentation der revidierten Einheitsübersetzung, deren Revision im Jahr 2016 abgeschlossen wurde, wurde ein besonderes Anliegen dieser Übersetzung hervorgehoben: Es war das ausdrückliche Ziel, Formulierungen zu vermeiden, die einen Antijudaismus in die biblischen Texte tragen. Ferner ermahnt ein Dokument der Päpstlichen Bibelkommission aus dem Jahr 2001 Bibelübersetzer, unnötige Antijudaismen zu vermeiden.

Die Einheitsübersetzung hat sich jedoch augenscheinlich dem "Zeitgeist" der Übersetzungen des Neuen Testaments nicht entzogen: Übersetzungen, die nach 1945 erstellt wurden, tendieren dazu, antijüdische Übersetzungsentscheidungen traditioneller Übersetzungen wie der Lutherbibel oder der englischen King-James-Bibel zu übernehmen. Dabei werden die semantischen Möglichkeiten des Griechischen nicht vollständig genutzt, was durchaus auch Konsequenzen für das Textverständnis hat. Ein Beispiel soll dies deutlich machen.

Beispiel Zinsgroschenerzählung

Die Erzählung von der Frage der jüdischen Autoritäten an Jesus, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, findet sich im zwanzigsten Kapitel des Lukasevangeliums (Lk 20,[19.]20-26). Das Lukasevangelium erzählt hier etwas ausführlicher als die beiden anderen synoptischen Evangelien (Mt 22,15-22/Mk 12,13-17). Die Zinsgroschenerzählung wird meist als selbständiger Abschnitt (vor)gelesen, die Perikope aus ihrem Zusammenhang gerissen. Im Lukasevangelium geht ihr eine äußerst dramatische Situation voraus: Am Anfang des 20. Kapitels findet ein Streitgespräch zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten statt. Handlungsort ist der Tempel. Jesus stellt zuerst seinen jüdischen Gesprächspartnern eine Frage, die sie nicht zu beantworten wagen aus Angst, dass sie von den anderen anwesenden Juden gesteinigt würden. Man muss es sich vor Augen halten: Im Tempel, im religiösen Zentrum des Judentums, haben die offiziellen Vertreter des Judentums Angst, durch eine falsche Antwort auf Jesu provozierende Frage einen derartigen Volkszorn hervorzurufen, dass dieser für sie tödliche Konsequenzen haben könnte. Dies ist umso erschreckender, als die jüdischen Autoritäten die Polizeihoheit über den Tempel innehaben: Sie dürfen dort sogar Personen verhaften! Zu sagen, die Situation wäre politisch aufgeheizt, ist eine glatte Untertreibung.

Jesus gießt direkt daran anschließend mit dem Gleichnis von den Winzern, die den Sohn des Besitzers des Weinbergs töten, noch weiter Öl ins Feuer. Ausdrücklich hält das Lukasevangelium fest, dass die jüdischen Autoritäten das Gleichnis auf sich beziehen. Im Gegenzug stellen dann die Vertreter der jüdischen Autoritäten -vertreten durch Mittelsmänner - Jesus die Frage, ob es erlaubt sei, Steuern zu zahlen. Das Ziel ist offensichtlich: Sie wollen Jesus eine vergleichbare Frage vorlegen, um ihn entweder zum Schweigen zu bringen oder - im Falle einer politisch inkorrekten Antwort -ihn mit Hilfe der römischen Polizeigewalt festnehmen zu lassen, da sie selbst nicht mehr Herr im eigenen Tempel sind. Ihr Ziel ist es, den ihnen zustehenden politischen Handlungsfreiraum wiederzugewinnen. Jesus beantwortet ihre Frage souverän.

Weder "Spitzel" noch voll "Hinterlist"

Eine philologische Analyse der Zinsgroschenerzählung in der Version der revidierten Einheitsübersetzung 2016 zeigt auf, dass die Hälfte der acht Verse (wenn man Lk 20,19 dazurechnet und diese auf Lk 20,19-26 eingrenzt) eine unnötige antijüdische Zuspitzung erfährt. Aus einer dramatischen Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Vertretern des Judentums wird ein Hinterhalt der Schriftgelehrten und Hohenpriester.

Zwei Beispiele mögen dies zeigen: Die Vertreter des Judentums schicken "Spitzel"(Lk 20,20) aus, "die so tun sollten, als wären sie selbst gerecht", Jesus durchschaut jedoch ihre "Hinterlist"(Lk 20,23). Durch derartige Formulierungen entsteht der Eindruck, als ob die Vertreter des Judentums hinterhältig handeln würden, indem sie Jesus eine Falle stellen wollen. Das Wort "Spitzel" stellt eine unglückliche Wortwahl dar, das Mindeste wäre, hier der Lutherbibel (2017) zu folgen und mit "Leute" zu übersetzen.

Besser noch scheint die Übertragung mit "loyale Gefolgsleute". Parallelstellen aus jüdischer Literatur erweisen die mit diesem Terminus bezeichneten Personen als loyale Gefolgsleute, die bereit sind, sich für ihre Anführer in Gefahr zu begeben. Auch sollen sie keinesfalls so tun, "als wären sie selbst gerecht". Vielmehr sollen sie sich als "strenggläubige Juden" geben, für welche die Frage, ob man dem Kaiser Steuern zahlen dürfe, eine ernsthafte Frage ist. Diese loyalen Anhänger der jüdischen Autoritäten setzen mit dieser Aktion -so sie enttarnt würden -ihr Leben aufs Spiel.

Spitzel ist eine untergriffige Übertragung, welche der Dynamik der erzählten Ereignisse eine falsche Note verleiht. Dies gilt auch für das mit "Hinterlist" übertragene Wort. Hier handelt es sich um einen Begriff, der in der Weisheitsliteratur des Alten Testaments das profunde Wissen beschreibt, das ein Mensch besitzen muss, um in der Welt zu überleben (vgl. z. B. Spr 1,4). Einem Kind und einem Tölpel fehlt diese Eigenschaft. Damit handelt es sich nicht um eine "Hinterlist", sondern um eine vielschichtige oder tiefsinnige Frage. Der Verfasser des Lukasevangeliums erkennt an, dass die jüdischen Autoritäten eine schwierige Frage gestellt haben.

Revision der Wörterbücher notwendig

Damit ist zu fragen, warum man heute zu solchen Übersetzungen kommt. Ein zentrales -wenn nicht das zentrale -Standardwörterbuch zum Neuen Testament erschien in erster Auflage im Jahr 1928. Das heute meist als "Bauer-Aland" bezeichnete Wörterbuch entstand also während des Höhepunkts des Antisemitismus in Deutschland und konnte sich dem Zeitgeist in seinen semantischen Entscheidungen, die den lexikalischen Entsprechungen zugrunde liegen, nicht vollständig entziehen. Statt die semantischen Entscheidungen zu hinterfragen, wurden bei Neuauflagen dieses Standardwörterbuchs diese oftmals nicht unproblematischen semantischen Entscheidungen einfach beibehalten. Gleichzeitig wächst in der neutestamentlichen Wissenschaft ein Konsens, dass man bei einzelnen neutestamentlichen Schriften von einem "feindselig gesinnten Verfasser" sprechen könnte (so z. B. Raymond Brown bezüglich des Johannesevangeliums).

Der Effekt ist beispielsweise auch in der Revision der Einheitsübersetzung zu sehen: Gerade bei "wortgetreuen" Übersetzungen, welche dieses Standardwörterbuch und ähnliche Hilfsmittel benützen, kommt es dann dazu, dass Antijudaismen unnötig in den Text hineingetragen werden und einen wissenschaftlichen Konsens zu bestätigen scheinen. Es scheint an der Zeit, sich einer gründlichen und umfassenden philologischen Revision der Wörterbücher zum Neuen Testament zuzuwenden.

| Der Autor leitet an der Uni Wien zwei vom FWF geförderte Projekte zur koptischen Überlieferung des Johannesevangeliums |

Revidiert übersetzt

Bislang wurde die Einheitsübersetzung der Bibel aus dem Jahr 1980 in der katholischen Liturgie des deutschsprachigen Raumes verwendet. Mit erstem Adventsonntag wird die 2016 abgeschlossene revidierte Einheitsübersetzung verbindlich.

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