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Bankrott des Glaubens?

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In einer Zeit der Unruhe und Unsicherheit in Glaubensfragen hat Papst Paul VI. ein Jahr des Glaubens proklamiert. Er will offenbar die Katholiken des Erdkreises aufmerksam machen, daß sie sich in der ersten Phase der nachkonziliaren Entwicklung neu auf den Glauben besinnen und ihr Glaubensleben überprüfen müssen. Selbstverständlich drückt sich in der Intention des Papstes auch eine gewisse Sorge aus. Der Papst weiß aber auch, daß man mit Sorge und Angst kein Glaubensjahr feiern kann. Denn der Glaube hat es immer mit Hoffnung und Zuversicht zu tun. Die Bibel berichtet uns, daß der Herr nichts so sehr bei Seinen Jüngern rügte als Verzagtheit und Kleinmut.

Viele fragen sich, was denn der Durchschnittskatholik, der nicht mit theologischen Fragen befaßt ist„ über das Glaubensjahr denken und was er damit anfangen soll. Handelt es sich bei der öffentlichen Proklamie-run>g des Glauibensjahres vielleicht doch . um das unfreiwillige Eingeständnis ^— so könnten manche meinen —, daß wir uns nach dem Konzil in einer Glaubenskrise befinden?

Die erste und wichtigste Aufgabe im Rahmen des Glaubensjahres wird wohl die sein, die Bibel zu befragen, was sie unter „glauben“ versteht. Nur so können wir in das Ursprungsland des Glaubens der Kirche gelangen. Hier begegnen uns die Grundhaltungen, die der Glaube entwickelt. Wir erfahren aber auch die Antwort, die die geschichtliche Offenbarung Gottes bei den Menschen auslöst.

Mehr als Katechismusformel und Riten

Die. Bibeltheologen sind sich seit langem darüber einig, daß die jgegenreformatorische Glaubensunterweisung überwunden werden muß. Nach dieser — .sie bestimmt heute noch weithin das Glaubensleben der Katholiken — ist der Glaube ein festes Fürwahrhalten. Die biblische Offenbarung versteht jedoch unter „Glauben“, sich mit der ganzen Person und allen ihren Kräften Gott unterstellen; sich Gott ganz in Gesinnung und Tat anvertrauen.

Die Tragik unserer Glaubensunterweisung liegt darin, daß sie bei den Kindern Katechismusantworten und bei den Jugendlichen an den mittleren und höheren Schulen die Aneignung von metaphysischen, dogmatischen und historischen Wahrheiten verlangt, statt Vertrauen zu Christus zu wecken, in dem uns Gott begegnet. Der erste Beitrag zur rechten Feier des Glaubens]ahres wird daher wohl der sein, daß wir den Akt des Glaubens als eine ganzheitliche Gebundenheit an die Person Jesu Christi begreifen. Der

Glaube bedarf nach der Bibel nicht verstandesmäßig voll einsichtiger Beweise, sondern der vertrauensvollen Hingabe und des persönlichen Zeugnisses. Geht dieses Zeugnis nicht mit der Unterweisung Hand in Hand, hat dies eine schwere Beeinträchtigung des Glaubenslebens zur Folge.

Darum wird heute oft vom „Bankrott“ des Religionsunterrichtes gesprochen. In der Tat, man hat in der Vergangenheit die meiste Zeit in den Schulen dafür verwendet, den jungen Menschen eine volle verstandesmäßige Sicherung für den Glauben geben zu wollen. Die Gottesbeweise nahmen dabei einen zenträlen Platz ein. Darüber hat der Glaube seinen „Sitz im Leben“ verloren. Zum alleinigen Ereignisort des Glaubens wurden immer mehr Ritus und Kult. Er ereignete sich weniger im persönlichen Gebet, in der Bibelmeditation, im Familienieben und an den Brennpunkten des modernen Lebens durch das lebendige Zeugnis der Christen.

Glaube als Freundschaft mit Christus

Solange die Jugendbewegung eine wirksame Jugendarbeit mit Breitenwirkung entfaltete, wurden viele junge Menschen, die den verstandesmäßig orientierten Religionsunterricht besuchten, durch die Jugendgruppen zum Glauben, zur Christus-nachfolge und zur persönlichen Hingabe an Ihn gerufen. Der Glaube konnte von der rationalen Erklärung in der Schulstube den Weg zum Leben finden. Das ist heute immer weniger der Fall. Zudem gibt es Jugend- und Studentenseelsorge nur im bescheidenen Umfang. Viele junge Getaufte wissen zwar einiges von dem, was sie glauben sollen, aber kaum, wem sie glauben.

Sie erfahren nicht, daß glauben „eine Freundschaft eingehen'“ heißt, in der das Wissen über den Freund nicht ausreicht; man muß sich dem Freunde widmen, damit die Freundschaft die Belastungsproben und Prüfungen bestehe und immer neu „erobert“ werde. Wird der junge Mensch erwachsen, hat er zwar genug Religionsstunden mit guten oder schlechten Noten absolviert, aber zu einem Leben aus dem Glauben und zur Reife im Glauben ist er nicht gekommen. Bei erwachsenen Christen dieser Art wird der Glaube niemals den Sitz im Leben, in der Familie, in der persönlichen Meditation, im Gebet, in der Begegnung mit den Mitmenschen und im Alltag haben.

Man kann daher nicht ein Glaubensjahr feiern und dabei so tun, als würde es genügen, das Glaubenswissen auf die Höhe der Zeit zu bringen. Das Problem liegt viel tiefer. Es geht um einen bewußten und bewährten Vollzug des Glaubens und nicht bloß um Vermittlung von Glaubenswissen. Es geht darum, den Gottesdienst von seinen ritualistischen Überlagerungen zu befreien und ihn zu einem echten Ereignisort des Glaubens zu machen. Alles gottesdienstliche Handeln, auch die Verkündigung im Gottesdienst, sollte primär zum Glauben rufen, die Glaubensentscheidung forcieren, die Glaubensbewährung provozieren und zum konkreten Vollzug der Christusnachfolge im modernen Leben anleiten.

Ein lauer Glaube...

Die Schwächezustände, die es im Glaubensleben unserer Gemeinden gibt, und die es auch zur Zeit der Apostel gegeben hat, gilt es nüchtern und wahrheitsgetreu festzustellen, nach ihren Ursachen zu fragen und zu einer wirksamen Therapie zu schreiten. Wenn wir in unseren Gemeinden etwas herumschauen, ist es nicht so sehr der Unglaube, der sich ausbreitet, sondern eher ein lauer Glaube, ein Glaube, der keine Kraft hat und sich nicht in der Liebe auswirkt. Es bleibt vielfach beim Aufsagen von Bekenntnisformeln, beim Ritus und den traditionellen religiösen Übungen. In dieser Stunde aber ist nur der freigewählte und bewußte Glaube geschäftsmäßig, der im Kampf stark und in der Entscheidung, die ständig abgefordert wird, zu einer persönlichen Erfahrung geworden ist.

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