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Keine soziologische Größe

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Man kann der Bruder, der Freund oder der Gatte eines Menschen sein. Man tritt dadurch in eine bestimmte Beziehung zu ihm und durch ihn auch zu den anderen. Keine dieser Beziehungen hebt die andere auf oder macht sie unnötig. Es wäre unvernünftig, eine gegen die andere auszuspielen oder die eine durch die andere abzuwerten. Jede hat ihre ganz bestimmte Aufgabe, ihren Wert und ihre Eigenständigkeit. Jede entspricht einer der vielen Bedingtheiten des Menschen. Denn er ist ja nie nur Mensch, sondern immer auch Sohn, Freund, Gatte, Bruder. Unser heutiges Verständnis von ehelicher Partnerschaft und Liebe weist dem Gatten ein anderes Maß an Zugehörigkeit und Intimität zu als etwa dem Bruder, obwohl er es sein kann, der größeres Verständnis und tiefere Selbstlosigkeit beweist. Die Intensität der einen Beziehung sagt nichts über das Wesen und die Bedeutung der anderen, noch läßt sich aus ihr die Sinnlosigkeit der anderen ab- leiten.

Durch die Soziologie angeregt und durch die fast isolierte Benützung der Petrusstelle (1 Petr. 2, 5) vom Priestertum aller Getauften geführt, gerät das Verhältnis von gemeinsamem und besonderem Priestertum immer stärker in Diskussion. Sie läßt sich auf die Frage zuspitzen: „Was kann der Laie nicht?“ oder „Was ist wesentlich priesterlich?“ Bei einigen führte diese Fragestellung bis zur Theorie einer Notordination, daß bei irgendeinem das Charisma der Leitung aufbricht und er — ähnlich der Begierdetaufe — eine Begierdeweihe empfängt. Andere berufen sich darauf, daß das Neue Testament den Ausdruck „Priester“ nicht kennt, sondern Vorsteher, Aufseher, Ältester verwendet und daß daher dem Priester nur noch Leitungsaufgaben zugeschrieben werden können, die für sie identisch ‘ sind mit denen eines Grupprtitrainers.

Begriffsverwirrung?

Es scheint hier eine Begriffsverwirrung und ine Kompetenzüberschreitung vorzuliegen. Es ist unzulässig, weil der Ausdruck fehlt, auch die Sache zu leugnen. Die Soziologie kann nur das mit dem

Gang der Entwicklung wechselnde Gewand des Phänomens Kirche untersuchen und deuten. Sie kann aber keine Aussage über das Wesen und den Sinn der Kirche machen. Dafür ist die Theologie zuständig. Was Volk Gottes, was Priestersein ist, darüber kann nur die Theologie

Auskunft geben. Wie Volk Gottes, wie Priestersiein ist, wird und muß auch die Soziologie mnitreden. Der Priester ist nicht Leiter irgendeiner Gruppe, auch nicht einer religiösen Gruppe. Er ist der durch ein Sakrament bestellte Leiter einer Gruppe des Volkes Gottes. Dieses Volk wird aber nicht so. sehr durch gruppendynamische Bedingtheiten geschaffen und erhalten, sondern vor’ allem durch die Gnade. Die Kirche ist nicht nur Organisation, sondern auch Organismus. Sie ist nicht nur gesellschaftliches Gebilde, sondern auch Geheimnis des Glaubens. Sie besteht aus Menschen, hat aber den verklärten Christus als ihr Haupt. Wehn darum die Strukturen der Kirche und wenn ihr Amtspriestertum nur soziologisch gesehen werden, muß das notwendigerweise schiefe und einseitige Ansichten ergeben. Denn die soziologische Interpretation einer sakramentalen Wirk lichkeit und Gegebenheit kann keine sachgerechten Ergebnisse liefern.

So wie es im natürlichen Bereich den Bruder, den Sohn, den Freund, den Gatten gibt, so gibt es auch im übernatürlichen Bereich verschiedenartige Beziehungen. Der Organismus der Kirche differenziert sich ln verschiedene Organe, die zueinahder und Zu Christus verschiedene Beziehungen schaffen. Man kann gemeinsames und besonderes Priestertum nicht gegeneinander ausspielen. Jedes ergibt eine spezielle Beziehung zu Christus und zur Kirche. Die Taufe gliedert in den Organismus den Leib Christi ein. Die Weihe prägt den Menschen in Christus und insofern er das Haupt diieses Leibes ist. Ohne das Sakrament das Qrdo kann keiner die Hauptfunktion Christi ausüben. Nicht jedes „Amt“ in der Kirche, nicht jeder Auftrag, auch wenn er von den Bischöfen kommt, nicht jede Stellung ist priesterliches Amt. Amt bedeutet im Glaubensverständnis und im Selbstvollzug der Kirche nicht so sehr rechtliche Vollmacht, wenn sie auch dazu gehört, sondern wesentliche Beziehung zu Christus. Das Amt wird durch eine besondere Zugehörigkeit zu

Christus begründet und schließt damit die Möglichkeit und die Verpflichtung ein, diese Art dar Zugehörigkeit zu Christus zu leben. Darum behält die Kirche den Ausdruck „ordo“ = Amt dem institutionalisierten Charisma vor, das das Konzil Dienst des Lehrens, Leitetos und Heillgens nennt.

Amt ist Gnadengabe

Man kann, auch wenn man nicht verwandt ist, sich wie in Bruder verhalten. Aber man ist nicht Bruder. Man kann, auch wenn man nicht verheiratet ist, lieben wie ein Gatte. Aber man ist nicht Gatte. Es kann einer, auch wenn er nicht geweiht ist, leiten, lehren, heiligen. Aber er ist dadurch toicht Priester. Er kann wie ein Priester handeln. Aber er kann nicht als Priester handeln. So wie er zum Bruder geboren werden muß, so muß er zum Priester geweiht werden.

Der Priester übt Hauptfunktion aus, ist aber nicht das Haupt der Gemeinde. Das Haupt ist Christus. Darum kann der Priester das Heil auch nur vermitteln, das Christus wirkt. Er muß selber sein Heil vollziehen, und er kann niemandem diesien jedem persönlich aufgegebenen Auftrag abnehman oder ihn dabei vertreten. Er kann den Tisöh bereiten. Essen muß jeder selber. Er kann die Worte der Lossprechung sagen. Bekehre muß sich jeder selber. Verzeihen wird Christus. Sein Amt ist nicht Herrschaft, auch wenn es Leitung ist. Es gründet in der Liebe Gottes zu den Menschen und verlangt die antwortende Liebe des Menschen. „Simon, liebst du Mich?“ (Jo. 21, 17). Es ist Dienst an der Kirche in der Art und auf die Weise, wie Christus gedient hat, .der „gehorsam geworden ist bis zum Tod am Kreuze“ (Phil. 2, 8), „zur Vergebung der Sünden“ (Mt. 26, 28).

Amt ist in der Kirche nicht eine soziologische Größe, sondern eine Gnadengabe. Sein Wesen und seine Existenz sind unwandelbar, seine Ausführung ist soziologisch erfaßbar. Das Weihepriestertum ist nicht bloß eine Funktion der Gemeinde, sondern ist die sakramental geschehene und sakramental wirksame Beziehung eines Menschen zu Christus als dem Haupt der Kirche. Die Verschiedenheit der Dienste und die Vielfalt der Beziehungen machen die Fülle der Kirche aus. „Gott hat einem jeden der Glieder am Leibe eine Bestimmung gegeben, wie Er wollte. Wäre das Ganze nur ein Glied, wo bliebe der Leib? Es gibt viele Glieder, aber nur einen Leib“ (1 Kor. 12, 18—20)

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