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Arger mit der Amtskirche

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Am 13. Dezember 1973 veröffentlichte die FAZ ein Interview Bolls mit Jean-Louis Rambures, worin vor allem Bolls Verhältnis zur katholischen Kirche zur Sprache kam. Boll befaßt sich immer kritisch mit der Kirche. Das ist sein gutes Recht. Aber seine offene Sprache macht ihn ganz gewiß auch offen gegenüber einer Kritik seiner Kritik.

Es stört gewiß nicht, daß er seinem chronischen Ärger über die Amtskirche Luft macht, nur scheint mir seine Unterscheidung zwischen dieser „Ämtskirche“ und der Kirche als „mystischem Leib“ zu künstlich und radikal zu sein. Paulus spricht übrigens nicht vom „mystischen Leib Christi“, sondern sagt einfach „Leib Christi“, und „Leib“ ist für ihn etwas durchaus Sichtbares, diese konkrete Kirche mit all ihren Gliedern, Charismen und Ämtern, mit gesunden und kranken Gliedern, und er sagt dazu: ,,Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder'mit“ (1 Kor 12, 26). Paulus unterscheidet also nicht zwischen einer sichtbaren „Ämtskirche“ und einer nichtinstitutionellen, „mystischen“ Kirche, die irgendwo dahinter liegt, unbefleckt von den Makeln des Apparates. Für den Apostel gibt es nur diese eine, ganze, leibhaftige Kirche, die ein Paradox ist: göttlich und menschlich, heilig und sündig. Diese Kirche will er als ,,reine Jungfrau Christus zuführen“ (2 Kor 11, 2), nachdem er ihr zuerst gehörig den Kopf gewaschen hat. Denn diese Kirche von Korinth war ein Lottermädchen, wie die beiden Briefe, die Paulus an sie gerichtet hat, anschaulich demonstrieren. Dennoch hat Paulus diese Gemeinde geliebt. Die Liebe gab ihm das Recht zur Kritik.

Auch die Kirchenväter, also die Theologen der ersten Jahrhunderte, hatten dieses ebenso liebevolle wie kritische Kirchenbild. In ihrer allegorischen Exegese haben sie sich nicht gescheut, alle Huren des Alten und Neuen Testamentes als Spiegelbilder (Typen) der Kirche auszulegen (Hans Urs von Balthasar hat die Texte gesammelt und übersetzt und mit dem Titel versehen: „Casta Me-retrix“, das heißt „Die keusche Dirne“ — wahrlich ein paradoxer Titel!). Aus der schonungslosen Kritik dieser „Väter“ spricht heiliger Zorn, aber immer ist spürbar, I daß es der Zorn eifernder Liebe .dst. Die „Amtskirche“ eifert um die. geschändete Reinheit der Braut Christi.

Aber es 'hat zu aller Zeit auch den Eifer nichtamtlicher heiliger Christen um die Reinheit, die Liebe, die Glaubwürdigkeit der Amtsträger gegeben. Die Heiligen sind die sensibelsten Glieder der Kirche, sie leiden am tiefsten an ihren Wunden. So kann Paulus sagen: „Wer ist schwach, und ich wäre es nicht mit ihm? Wer wird vom Bösen angefochten, ohne daß ich glühte?“ (2 Kor 11, 29), Einer von diesen Glühenden war sicher Franz von Assisi. Er lebte in einer fürchterlichen Krise der Kirche. Die Amtskirche war dem Reichtum und der Macht verfallen; fromme Gläubige, die dem armen Christus nachfolgen wollten, sammelten sich in Gruppen, die bald in einen heillosen Gegensatz zur Amtskirche gerieten (so die Waldenser und die Albingenser). Franziskus machte sich das Anliegen dieser evangelischen Bewegung ganz zu eigen; er verwirklichte es radikaler als alle anderen. Aber er hielt an der Kirche fest, ehrte die Priester, gehorchte dem Papst und küßte auf hohem Roß daherreitenden Prälaten die Füße. Wie muß diesen die Schamröte ins Gesicht gestiegen sein! Franziskus liebte die Kirche und hielt zu ihr; er ertrug blutenden Herzens ihre Ungestalt, weil er trotz allem im Glauben ihr Geheimnis vor Augen hatte. Das Geheimnis der Kirche ist die unbegreifliche Tatsache, daß „Christus die Kirche geliebt und sich für sie dahingegeben hat“ (Eph 5, 25).

Bolls Differenzierung zwischen der „Amtskirche“ und dem „mystischen Leib“ ist zu künstlich, als daß sie der Wirklichkeit gerecht werden könnte. Man redet heute unter Intellektuellen gerne von partieller Identifikation“ mit der Kirche. Natürlich, wer könnte und dürfte sich schon mit allem identifizieren, was diese Kirche ausmacht, was sie tut und getan hat? Aber Liebe bedeutet irgendwie

Schriftsteller Boll: „Partielle Identifikation“? photo: votava etwas Unbedingtes, ein Ja trotz allem. Wirkliche Liebe macht nicht blind für die Fehler des Geliebten, vielmehr äußerst hellsichtig. Aber sie nimmt den anderen nicht nur partiell an, sondern ganz. Sie erträgt seine Fehler, indem sie zugleich unbeirrbar, an das Gute in ihm glaubt. Sie übt Kritik aus Liebe und bemüht sich, den Geliebten noch liebenswerter zu machen.

Aber irren wir uns, wenn wir meinen, bei Boll Zwischentöne zu hören, bei all seiner bitteren Kritik an der Kirche immer noch die Liebe herauszuhören? Sind wir Christen uns nicht das Gespräch schuldig über einen Gegenstand, der uns vereint und trennt und nicht losläßt: die Kirche? Wir verdanken ihr den' Glauben; denn ohne sie wäre die Botschaft von Jesus Christus längst verstummt in der Weltgeschichte. Ihre Amtsträger sind unsere Brüder in Christus.

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