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„Die Kirche ist mehr als eine Demokratie”

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Mehr Mitbestimmung der Gläubigen - eine Chance für die Kirche? Ein burgenländischer Pfarrer macht sich Gedanken.

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Mehr Mitbestimmung der Gläubigen - eine Chance für die Kirche? Ein burgenländischer Pfarrer macht sich Gedanken.

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Nach dem Zweiten Vatikanisehen Konzil (Gaudium et spes, 1 1 4) hat die Kirche die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. Die Aufwertung des Individuums, aber auch die Tatsache, daß die Menschen unserer Zeit partnerschaftliche und demokratische Formen des Zusammenwirkens höher schätzen als hierarchische, lassen zumindest fragen, ob nicht auch in der Kirche manches Hierarchische zugunsten des Demokratischen geändert werden könnte und sollte.

Berücksichtigt man ferner, daß es bei allen Unterschieden in den verschiedensten Diensten und Amtern unter allen Gliedern der Kirche „eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi” gibt (Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen gentium, 32), dann kann man sogar in der Forderung nach mehr Mitbestimmung des Gottesvolkes ein Zeichen unserer Zeit erkennen, dem es Rechnung zu tragen gilt.

Auch das von der Kirche verkündete Subsidiaritätsprinzip verlangt, daß das, was einzelne beziehungsweise kleinere soziale Einheiten zu tun imstande sind, nicht von der größeren an sich gezogen werden darf. Papst Pius XII. hat bereits 1946 betont, daß dieses Prinzip auch innerkirchlich anzuwenden sei.

Gegner von mehr Mitbestimmung und Demokratisierung in der Kirche wenden häufig ein: Die Kirche ist keine Demokratie! Auf diesen Einwand kann mit dem Grazer Sozialethiker Valentin Zsifkovits geantwortet werden: „Es stimmt, die Kirche ist keine Demokratie. Sie ist mehr als eine Demokratie. Sie ist eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, in der aber all das, was in einer gelungenen Demokratie als positiv erlebt wird, in entsprechender Weise Berücksichtigung finden sollte.”

Das bedeutet natürlich nicht, daß über das Evangelium oder wesentliche Glaubensinhalte abgestimmt werden könnte. Es wäre auch nicht gut, wenn beispielsweise bei einer Bischofsbestellung alle Christen, auch die sogenannten Taufscheinchristen, mitentscheiden. Nicht eine grenzenlose Demokratisierung steht zur Diskussion, sondern lediglich eine optimale Ausweitung bisheriger Mitbestimmungsmöglichkeiten unter Beachtung der hierarchischen Kirchenstruktur und des Prinzips der Betroffenheit und der Kompetenz, um eben auch möglichen Schwächen und Nachteilen von mehr Demokratie in der Kirche entsprechend entgegenwirken zu können.

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Vorschlag einer Bischofsbestellung, den Zsifkovits in der kommenden Oktobernummer der „Stimmen der Zeit” macht. Nach diesem Modell bleibt es weiterhin letztlich dem Papst vorbehalten, einen Bischof zu ernennen. Allerdings ist der Papst bei dieser Art der Bestellung dahingehend gebunden, daß er nur jemanden zum Diözesanbischof ernennen kann, der neben den bisherigen kanonischen Voraussetzungen auch noch auf der Ebene der Diözesan-, National- und Regionalkirche eine entsprechende Stimmenzahl auf sich vereinigt.

Die Vorteile von mehr Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubigen, nicht nur bei Bischofsbestellungen, liegen auf der Hand: ■ die Verhinderung von Machtmißbrauch, der durch die Konzentration von Macht in einer Hand eher möglich ist, als wenn diese Macht auf mehrere Instanzen beziehungsweise Personen verteilt ist.

■ Ermöglichung von mehr Identifikation mit der Kirche, weil Entschei-dungsprozesse auf eine weitere Basis gestellt wären.

■ Entdeckung und Mobilisierung von mehr Problemlösungskapazitäten.

■ Größere Bereitschaft zu Reformen beziehungsweise zur Beseitigung von schwer zu rechtfertigenden Zuständen in der Kirche.

■ Verhinderung des Risikos von Fehlbesetzungen bei Bischofsbestellungen und dergleichen mehr.

Auch ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, daß die Gläubigen keineswegs nur Objekt der Sorge der Amtsträger waren, sondern auch ihrerseits einen wichtigen Beitrag im Lebensvollzug der Kirche erbracht haben. So ist zum Beispiel die Bewahrung des Bekenntnisses zur wahren Gottheit Jesu Christi in der aria-nischen Krise im vierten Jahrhundert wesentlich dem einfachen Kirchenvolk zu verdanken. Und was die Mitwirkung bei der Bestellung von Bischöfen anlangt, hat der Neutesta-mentler Rudolf Schnackenburg bereits vor Jahren darauf hingewiesen, daß der jetzige Modus eines Geheimverfahrens, bei dem das Presbyterium und das Kirchenvolk einer Diözese nicht mitberaten, sondern nur raten dürfen, wer ihr künftiger Bischof sein wird, in der Urkirche unvorstellbar gewesen wäre.

Nicht an Aktualität hat auch eingebüßt, was Papst Leo der Große (440-461) in einem Brief an den Bischof von Thessalonich schreibt. Darin plädiert er dafür, „daß niemand von denen geweiht werde, die man nicht gewollt und erbeten hat, damit das Volk, dessen Absicht man überging, seinen Bischof nicht mißachtet und haßt”. Dahinter verbirgt sich die kluge Weisheit, daß der Überbringer der frohen Botschaft des Evangeliums auf entsprechende Akzeptanz im gläubigen Volk angewiesen ist, zumal man niemanden zum Glauben zwingen kann und darf.

Auch im Blick auf diese demokratieähnlichen Elemente in der frühen Kirchengeschichte erscheint es ein Gebot unserer Zeit zu sein, dem mündigen Kirchenvolk wieder eine größere Mitsprache nicht nur bei Bischofsbestellungen, sondern auch sonst einzuräumen und es die Verantwortung in der Kirche mittragen zu lassen.

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