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Ein deutscher Pfarrerroman

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Daniela. Roman von Luise Rinser. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 319 Seiten

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Daniela. Roman von Luise Rinser. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 319 Seiten

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Es ist ein starkes Thema: Eine 28jährige Lehrerin der Großstadt lehnt sich in stolzer innerer Scham auf gegen die Geborgenheit ihrer gutbürgerlichen Familie, ihrer vielversprechenden Laufbahn, ihrer Verlobung mit einem reichen jungen Mann, und meldet sich hinaus in ein verlorenes und verkommenes Dorf im Moor, um dort einen Kampf zu führen, der sie vor sich selber rechtfertigt, einen Kampf des Mitleids und der eigenen Reinheit gegen die physische und sittliche Verelendung, in dem sie sich in jugendlicher Zuversicht den Sieg erhofft.

Und es liegt eine unleugbare Kraft in der Schilderung dieses Kampfes, der innerhalb eines Jahres zum Abschluß kommt: Während sie trotz kleiner Erfolge ihr kühnes Unterfangen zum Scheitern verurteilt sieht, weil sie nicht zu den Herzen dieser Menschen findet, ja innerlich sogar vor ihnen 2urückweicht im unverwindbaren Erschrecken des Kindes vor Brutalität und Gemeinheit, erringt sie einen tröstlichen Sieg über den alten Schulleiter, der zwanzig Jahre zuvor gleich ihr voll Idealismus ins Moor gekommen, aber gescheitert und immer hoffnungsloser der Verbitterung und dem Suff verfallen war und nun unter ihrem mütterlichen Beistand versöhnt und sanft sein Leben beschließt.

Und es könnte voll innerer Spannung und Problematik sein die Begegnung zwischen dem einsamen Pfarrer, der seit Jahren den gleichen menschlich hoffnungslosen Kampf um die Seelen dieser fast vertierten Menschen führt, und der einsamen Lehrerin, die sich bei aller Distanz von Religiosität und Gläubigkeit seinem Schicksal verbunden fühlt, bis aus beider äußerer und innerer Verlassenheit und aus ihrem fraulichen Mitleid die Liebe ersteht. Voll starker seelischer Dramatik könnte es sein, so wenig originell es auch ist.

Doch eben dieses zentrale Thema des Romans wurde nicht bewältigt. Wir wenden uns nicht dagegen, daß der Pfarrer nicht als Engel, sondern als Mensch gezeichnet wird, als einer, der wohl ringt in Buße und Gebet, der sich aber auch tragische Härte vorwerfen muß, und der in seiner Verlassenheit zu versinken droht wie in tückischem Moor. Wogegen wir uns wenden, ist vielmehr die verzerrte Haltung des Pfarrers der Sünde gegenüber. Man versteht es, wenn er, der gegen sich selbst streng und unerbittlich ist, sagt — freilich in billiger Verallgemeinerung und Ueberspitzt-heit —: „Glauben Sie, daß eines von meinen Pfarrkindern hier im Stande der schweren Sünde lebt? Was immer sie auch tun mögen, Gott wird es ihnen verzeihen um ihrer Armut willen. Seine Liebe gab ihnen die Armut, um ihnen leichter verzeihen zu können... Eine kurze Kette: hineingeboren in das schwere Leben im Moor, das schlechte Beispiel, Arbeitslosigkeit im Winter, die Zuflucht zum Schnaps und zu den Frauen, ein Augenblick äußerster Verlassenheit, und da ist die Sünde. Wer von diesen Menschen sündigt freiwillig und bewußt?“ (S. 149/50.) Aber es ist bereits jene Sündenmystik (die heute nicht wenige christliche und pseudochristliche Romane kennzeichnet), wenn der Pfarrer von der Kanzel herab Christi Milde dem Sünder gegenüber aus dessen eigenen „Erfahrung von der Sünde“ erklärt (S. 142) und seinen in tragische Schuld versunkenen Kirchenbesuchern zuruft: „Ich möchte die Welt nicht ohne Sünde und ich möchte euch nicht ohne eure Sünden und mich selbst nicht ohne Sünden“ (S. 144); wenn er schließlich ein unerlaubtes Spiel mit dem Doppelsinn von „gerecht“ treibt: „Wir würden weniger lieben, wären wir Gerechte... Wißt ihr denn, um wieviel ihr inmitten eurer Sünden Gott näher als die Gerechten... Darum liebe ich meine Sünde, weil sie mich mit euch verbindet“ (S. 145 f.). Es gibt gewiß einen ver-dammenswerten Hochmut der Reinheit, der den armen Sünder in Distanz hält; aber es gibt auch eine liebenswerte Demut der Reinheit, die den Sünder an sich zieht. Neben solchen Sätzen, doch kaum als überzeugende Berichtigung, steht später die Warnung des Pfarrers an Daniela: „Sie dürfen sich nicht die Sünde wünschen. Dies wäre ein freventlicher Weg zur Sdbsterlösung“ (S. 241). Beim Begräbnis des Schulleiters kehrt das Motitr der Sündenmystik wieder (S. 280).

In einem solchen Rahmen muß es auch zweideutig wirken, wenn der Beichtvater des Pfarrers; nachdem dieser mit Daniela gesündigt hat, diese Prüfung einen „Akt der Gnade“ nennt (S. 298) und ihn tröstet: „Eine Frau, derer sich Gott als Werkzeug Seiner Gnade bedient, steht, das dürfen wir annehmen, unter Seinem besonderen Schutz. Sie wird es darum sein, durch die Sie begreifen werden“ (S. 300). Denn Sünde ist niemals eine Gnade; wohl aber kann sie dank der helfenden Gnade Gottes Anlaß zu größerer Demut sein und zu seinem größeren Erbarmen.

Gültiger wirkt das innere Reifen Danielas, wenn es auch nicht ganz glaubwürdig ist und zu überzeugen vermag. Sie reift hinein in echte Demut, in den Glauben nicht an die eigene, sondern an eine grenzenlose Kraft (S. 250), und trotz der fragwürdigen Einstellung zur Sünde, die auch sie nicht verläßt (S. 310 f.), in die größere Liebe und damit in die Liebe des Verzichts, die den Pfarrer seinem Priestertum zurückgibt.

Es sei noch die doppelte Entgleisung im Hinblick auf die Beichte vermerkt: da der Pfarrer Daniela, die ihm ihre Fehler und Versager erzählt, jedoch ohne die Absicht zu beichten und ohne übernatürliche Reue, heimlich losspricht (S. 241), und da der Beichtvater dem Pfarrer, der nicht bereut, seine Absolution aufzwingt (S. 301). Ferner die Entgleisung in den Fatalismus, die in die erwähnte Sündenmystik schlägt, als der Pfarrer und Daniela den letzten Schritt tun: „Es hat sich nur erfüllt, was lange vorherbestimmt war ... Daniela hat ihr Schicksal in wortloser Demut angenommen... Sie ist bereit“ (S. 290).

Der Gerechtigkeit halber vermerken wir gerne den starken Stil und die packende Schilderung, die bei allem Verismus sich doch nie in der Zeichnung der Brutalität und der Verkommenheit gefällt: gleich wie der stickige Rauch aufsteigt aus dem Torffeuer im Moor und schmerzend in die Augen dringt, zwingt diese Schilderung zu heilsamer Besinnung, weil sie ja nicht bloße Dichtung, sondern vielfache Wirklichkeit ist. Nach allen Einwänden, die diesen Roman in Frage stellen, sei diese dichterische Kraft der Verfasserin rühmend hervorgehoben.

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