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IV. Der Schulweg und die Fahrschüler

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Die Kinder der Akademiker und Maturanten, Angestellten und Arbeiter, aber auch der selbständigen Handwerker und Geschäftsleute wohnen zum Großteil in größeren Siedlungen. Diese Kinder haben daher auch die kürzesten und bequemsten Schulwege. Hingegen sind vor allem die Bauernkinder in den Streusiedlungen in den Wintermonaten recht übel dran, denn 65% aller niederösterreichischen Bauernkinder haben einen weiteren Schulweg als zwei Kilometer, bei den Beamten Akademikern und Maturanten sind es hingegen nur 18%. Die vielen Hauptschüler erhöhen stark die Prozentsätze. Dhr’Bauernkinder aus den Streusiedlungen habet! weiter noch steile Wege. Viele legen in der achtjährigen Schulzeit weite Wege und große Höhenunterschiede zurück. Ein Prozent der Bauernkinder hat sogar täglich zweimal Höhenunterschiede von 400 bzw. 500 Meter zu überwinden, und ein Kind legt in den acht Jahren ungefähr 700.000 Meter bergauf zurück. Es hätte alle mehr als 7000 Meter hohen Berge der Erde besteigen können. Im Mostviertel zum Beispiel fahren 12,6% der Bauernkinder mit dem Fahrrad, 1,4% mit dem Autobus und 0,6% mit der Bahn zur Schule. Den meisten Schulkindern aber bietet sich keine Fahrgelegenheit. Daß auch das Fahren für viele ein finanzielles Problem darstellt, ersieht man, wenn man die Herkunft der Radfahrer näher untersucht; es entfallen auf Bauernkinder 10%, auf Kinder von Facharbeitern 9,9%, auf Kinder von Handwerkern und Geschäftsleuten 7,8% bzw. 7,5%, hingegen auf die Kinder der kleinen Lohnempfänger, wie Hilfsarbeiter, nur 1,2% und auf Beamte mit Matura 2,4%, also verhältnismäßig wenig. Beim Radfahren müssen auch die Nachteile einmal erwähnt werden, wie der Gegenwind, die großen Steigungen und die verkehrsreichen und daher gefährlichen Straßen. Mit dem Autobus oder mit der Bahn fahren zum Großteil Hauptschüler, und zwar:

Abgesehen von den körperlichen Anstrengungen wirken sich die weiten Schulwege auf den Lernerfolg manchmal ungünstig aus, wie noch erwähnt wird. Besonders über die schlimmen Kinder — meist ist die Gleichgültigkeit mancher Eltern daran schuld — wird immer wieder Klage geführt. Es wurde festgestellt, daß 19% der Kinder von Landarbeitern und fast 13% Bauernkinder Erziehungsmängel aufweisen.

Das Fahrschülerproblem ist durch die Zunahme des Verkehrs und durch die große Zahl von Hauptschülern, die in die weit entfernte Sprengelschule fahren, äußerst aktuell geworden. Manche Hauptschulen weisen 50 und mehr Prozent an Fahrschülern auf. Viele Hauptschüler müssen sehr früh aus dem Bett und vom Elternhaus bis zur Autobushaltestelle bzw. zur Bahnstation einen Fußmarsch zurücklegen, oder sie fahren mit dem Fahrrad, um den Arbeiterzug bzw. den Arbeiterautobus zu erreichen. Viele dieser Fahrschüler kommen daher viel zu früh im Schulort an und müssen sich in kalten Wartesälen auf den Bahnhöfen die Zeit vertreiben. Die Fahrt in den überfüllten Wagen ist kein Vergnügen. Die Kinder werden herumgestoßen und in rüde Gespräche hineingezogen. In der Bahn und im Autobus sollte auf die Schuljugend mehr Rücksicht genommen werden. Für die Fahrschüler müßten auch Tagesheimstätten eingerichtet werden. Den Lehrpersonen, die dort die Aufsicht zu führen haben, müßte dies auch in die Lehrverpflichtung eingerechnet werden.

Besonders die Schulkinder in den Streusiedlungen verlassen in den Wintermonaten bei Dunkelheit das Elternhaus und kommen oft erst in der Dämmerung wieder nach Hause. Bei den Hauptschülern wirkt sich die längere Abwesenheit vom Elternhaus noch ungünstiger aus, denn sie entfremden sich der Familie und noch mehr dem Dorfe.

Nur 35% der Bauern- und 54,1% der Hilfsarbeiterkinder haben einen kurzen Schulweg bis zu einem Kilometer, der unter dem Landesdurchschnitt, das sind 56%, liegt. Hingegen wohnen 82% der Kinder der Geschäftsleute und Akademiker in Schulnähe. — Der Landesdurchschnitt der Schulwege bis zwei Kilometer beträgt 17,6%, doch weisen einen weit höheren Prozentsatz die Kinder der Bauern 22,4%, der Hilfsarbeiter 21,7% und der Beamten Nichtmaturanten 17,9% auf. Den niedrigsten Prozentsatz dieses Schulweges haben die Kinder von Angehörigen der freien Berufe 4,6% und die der Geschäftsleute. — Der Landesdurchschnitt der Schulwege bis drei Kilometer beträgt 13%; überschritten wird er von den Kindern der Facharbeiter 13,2%, der Hilfsarbeiter 14% und der Bauern 19,9%. Die weiteren Landesdurchschnitte der Schulwege betragen bis vier Kilometer 5,9% Bauernkinder: 10,6%, bis fünf Kilometer 3,1% Bauernkinder: 7%, bis sechs Kilometer 2,6% Bauernkinder: 3,2%. Viele Hauptschüler haben einen mehr als sechs Kilometer langen Schulweg, und zwar die Handwerkerkinder 3%, die der landwirtschaftlichen Arbeiter ebenfalls 3%, die der Beamten Nichtmaturanten 2.8%, die der Beamten Akademiker und Maturanten 2.4% und jener der Angehörigen freier.Berufe.mit Matura 2,3%.

Uebersicht über die beschwerlichen Schulwege im Bergland:

Die weiten und beschwerlichen Schulwege sind oft Ursache eines schlechten Lernerfolges und zwar bei jedem 17. Kind eines landwirtschaftlichen Arbeiters, jedem 23. Kind eines Bauern, jedem 36. Kind eines Beamten Nichtmaturanten und jedem 45. Kind eines Hilfsarbeiters und Facharbeiters.

Doch ist gegenüber früher manche Besserung eingetreten, denn die Straßen und Wege sind zwar nicht kürzer geworden, doch viele besser, und auch im Gebirge sind durch den Bau von Güterwegen die Schulwege nicht mehr so beschwerlich. Die Möglichkeiten, zur Schule zu fahren, sind durch den Ausbau des Verkehrsnetzes besser geworden, und im Winter sind im Gebirge die Skier ein ideales Fortbewegungsmittel. Durch die soziale Besserstellung bekommen auf dem Lande immer mehr Kinder Fahrräder und Skier. Schon von außen bemerkt man bei vielen Landschulhäusern die Verkehrsentwicklung. Man findet Abstellräume für Fahrräder und Skier, und für den Leiter der Schule ist eine Garage vorhanden; nur die Lehrkräfte müssen ihre Autos im Schulhof und auf der Straße im Freien stehen lassen.

Während früher viele Kinder erst in den Nachmittagsstunden ein warmes Essen bekamen, ist durch die Thermosflasche vielen Kindern auch die Möglichkeit gegeben, bereits mittags ein warmes Essen zu sich zu nehmen. Leider ist die leichte Zerbrechlichkeit ein Hindernis, daß die Thermosflasche noch keine größere Verbreitung in den Reihen der Schulkinder gefunden hat.

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