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Natur als Mitwelt

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Die folgenden Gedanken stellen einen sehr stark gerafften Auszug aus einem Referat dar. Als Denkanregung ist auch das Fragment willkommen.

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Die folgenden Gedanken stellen einen sehr stark gerafften Auszug aus einem Referat dar. Als Denkanregung ist auch das Fragment willkommen.

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Trotz mancherlei Abschwächun-gen und Beschwichtigungen, die sich vornehmlich in letzter Zeit eingestellt haben, lastet das Problem der Ökologie als Problem unserer Umwelt nach wie vor schwer auf uns allen. Weder der fröhlich-forsche Optimismus einiger Zukunftsforscher noch die vorsichtig gedämpft zuversichtlichen Aussagen des jüngsten, nunmehr dritten Berichtes des Club of Rome können darüber hinwegtäuschen, daß sich die Menschheit in einer Uberlebenskrise, gleichsam einem Vorkatastrophenzustand, befindet.

Selbst wenn Hoffnungen auf neue Technologien, neue Rohstoffquellen oder Möglichkeiten der Beschränkung des Bevölkerungswachstums, neue Strategien zugunsten einer Reform der internationalen Ordnung auf technologischem, ökonomischem und sozialem Gebiet auftauchen - die im ersten Bericht des Club of Rome vertretene Forderung nach einer kopernikanischen Wende des Denkens scheint heute dringlicher als je zuvor. Dort hatte etwa Aurelio Peccei festgestellt:

„Die Welt lebt bereits im Notstand; nur will dies niemand wahrhaben. Es sind keine Geister der Zukunft, die ich beschwöre, sondern ein Zustand, der bereits existiert. Wir gehen einer explosiven Interaktion aller unserer Sünden entgegen: der Sünden, die wir gegen unser geistiges und materielles Erbe begangen haben. Nach unseren Berechnungen geht es mit der Welt vor dem Jahre 2100 rapid abwärts. Tod und Entbehrungen werden auch bei uns Millionen von Menschen erfassen. Da wir fünfzig bis hundert Jahre brauchen, um entsprechende Veränderungen herbeizuführen, müssen wir handeln - sofort.“

Daß angesichts der ökologischen

Krisensituation gehandelt werden muß, scheint unbestreitbar. Aber wie sollen wir handeln? Was sollen wir tun? Wonach sollen wir unser Handeln ausrichten?

Die rücksichtslose Durchsetzung der menschlichen Bedürfnisse und Interessen der Natur gegenüber, die als unbegrenzt ausbeutbar und dem Menschen zur Verfügung stehend gedacht wird, hat den Bereich der Ethik vornehmlich in der Neuzeit ausschließlich auf das Gebiet menschlicher Beziehungen und zwischenmenschlichen Zusammenlebens oder auf das Verhalten des einzelnen zu sich selbst eingeengt.

Ethik im ursprünglichen Sinn aber greift weit darüber hinaus: als Frage nach dem Sinn oder Ziel menschlichen Handelns kann sie gar nicht von

der Beziehung des Menschen zur Natur absehen.

Für den Menschen meint dies schon in der Frühzeit des griechischen Denkens jenen Wesensbereich, in dem er als Mensch seinen Aufenthalt hat, kraft dessen er Mensch ist. In einem zweiten Sinn meint Ethos „Gewöhnung“, „Sitte“, „Brauch“, wobei beide Bedeutungen auch so gesehen werden können, daß der im Vollzug seines Menschseins sich selbst verwirklichende Mensch zu einer Grundhaltung gelangt, die als jeweiliges Ethos dann sowohl individuell als auch kollektiv das Richtmaß für seine verschiedenen einzelnen Handlungen und Vollzüge darstellt.

Die sich im Christentum anbahnende Sonderstellung des Menschen ist eine Völlig andere als in der antiken Auslegung des Verhältnisses von Mensch und Natur, von Mensch und Welt. Wo sie in ihrer in der heilsgeschichtlichen Verheißung beschlos-

senen Vorläufigkeit aufgehoben wird, eröffnet sich ein Selbstverständnis des Menschen, in dem die immerhin auch ein Bewahren und Pflegen mit implizierende Herrschaft

des Menschen über die Natur allmählich zu einer schrankenlosen Despotie und Ausbeutung führt.

Wenn in den wenigen bereits vorliegenden Ansätzen zu einer ökologischen oder umweltgerechten Ethik die Forderung nach Partnerschaft an die Stelle von Ausbeutung, die Forderung nach Kooperation mit der Natur an die Stelle der bloßen Nutzung gerückt wird, so wird sich dies kaum in einem Anknüpfen an traditionelle ethische Entwürfe realisieren lassen, etwa im Sinne des Einbeziehens von Umwelt und Natur in normative, pragmatische, sprachanalytische, konstruktive oder werthaft ausgerichtete Ethiken. Wohl aber könnte eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Sinn von Ethos als Aufenthalt zumindest die Richtung angeben, in die diesbezügliche Uber-legungen gehen könnten.

Dabei aber gilt es, darauf zu achten, daß ethisch verstandenes oder ausgerichtetes Handeln in sich selbst nicht bloß eine der möglichen Verwirklichungsformen menschlicher Tätigkeit darstellt, sondern daß es als Selbstverwirklichung des Menschen gedacht werden muß, der im Insgesamt seiner Lebensvollzüge dem zu entsprechen versucht, was ihn als Menschen auszeichnet, ihn eigentlich erst zum Menschen macht.

Ein Achten auf den ursprünglichen Sinn von Ethos könnte hier zeigen, daß diese Sonderstellung des Menschen aller toten Natur und erst recht allem Lebendigen gegenüber keineswegs zu einer unaufhebbaren Kluft zwischen Natur und Geist, Natur und Freiheit oder Natur und Geschichte führen muß.

Natur muß wiederum als dasjenige ernst genommen werden, aus dem und in dem wir leben, uns als Menschen verwirklichen, auch wenn wir im bloßen Naturvorgang nicht aufgehen, unsere Sonderstellung nicht überspringen können. In einer solchen Grundauffassung aber könnte die außermenschliche Natur nicht bloß als Umwelt, sondern als Mitwelt erscheinen, als etwas das wir nicht bloß gebrauchen, verwenden oder ausbeuten, sondern mit dem wir leben.

In einer solchen Mitwelt würde sich in Anknüpfung an den ursprünglichen Sinn von Ethos Natur wieder als Aufenthalt des Menschen zeigen und nicht bloß als Stätte seiner Energie-, Lebensmittel- und Rohstoffbeschaffung. In ihr wäre aber auch der Tatsache Rechnung getragen, daß der Mensch selbst in bestimmtem Sinne Teil der Natur und einbezogen in ihre Kreisläufe ist, ohne freilich in ihnen aufzugehen.

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