6817195-1973_15_14.jpg
Digital In Arbeit

Erbe des großen Feuers

Werbung
Werbung
Werbung

In jener Generation österreichischer Dichter, die nach dem Kriegsende hervortrat und etwa zwischen 1950 und 1960 ihren Platz bezog, war Herbert Zand eine der stillsten Erscheinungen. Seine Romane „Letzte. Ausfahrt“ und „Erben des Feuers“ hatten ihn als einen Erzähler ausgewiesen, der einmal das Desaster der großen Kesselschlachten, dann das Desaster der Naühkriegsgesell-schaft aufs Korn nahm. Kein rasanter Erzähler, eine behutsame Natur eher, darauf aus, hinter dem realen Gesehehen die irreale Dimension ins Spiel zu bringen, ein Erbe Hofmannsthals so gut wie Kafkas, einmal in der noblen Distanz gegenüber Taten und Entscheidungen, das andere Mal in dem metaphysischen Grauen, der existentiellen Angst, die aus seinen Erzählungen hervorbrach.

Sein äußeres Leben war still und unauffällig — Verlagslektor, Mitarbeiter der österreichischen Gesellschaft für Literatur, Rundfunklektor. Im Juli 1970 ist er an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung gestorben. Ein Granatsplitter, inoperabel, hatte ihm hin und wieder zu schaffen gemacht. Das Ende war grausig: künstliche Niere, Urämie, er hatte nicht einmal das 50. Lebensjahr erreicht.

Sein Freund Wolfgang Kraus läßt nun das Lebenswerk Zands im Europa-Verlag erscheinen. Das ergibt nun nicht bloß ein Wiedersehen mit einem bereits bekannten Roman, sondern erschließt eine erstaunliche Fülle von Ungedrucktem, von höchst Wichtigem, vor allem deshalb, weil Dichtung und Dokument in einer mitunter verblüffenden Weise zusammenschießen und die Figur Herbert Zands dabei eine geradezu symbolische Dimension bekommt.

Er war ein Bauemsahn aus dem Ausseerland. Daß er überhaupt den Weg zur Literatur gefunden hat, ist schon erstaunlich. Früh an die Front geschickt, erlebte er die russischen Kesselschlachten, erlitt zweimal Verwundungen. In dem Essayband „Kerne des paradiesischen Apfels“ finden sich jene ungemein dichten Aufzeichnungen über Fronterlebnisse, über den Untergang der Rußlandarmee, die hinterher als autobiographisches Gegenstück zur „Letzten Ausfahrt“ gesehen werden können.

Daß die jungen Heimkehrer dann in eine Welt hineinwuchsen, die auf dem flotten Geschäft des Wirtschaftswunders basierte, drängte sie erst recht in eine zwielichtige Situation. „Erben des Feuers“ handelt davon.

In einem feudalen Wiener Villen-vorort bricht der Sohn eines Industriellen aus der Ordnung aus, läuft Amok, überfällt Ahnungslose. Er wird schließlich gebändigt, fügt sich willenlos in das väterliche Unternehmen, ein Ausgebrannter immerhin. Der Roman ist in seiner erzählerischen Grundhaltung nicht sehr glücklich. Elemente des bürgerlichen Gesellschaftsromans werden zeitweilig mit Kriminalspannung aufgefüllt, die wurmstichige Fassade, die Existenzangst geben das Fundament, gelegentlich werden auch Figuren „verloren“.

Solohe literarischen Symptome mit Widerhaken waren in den fünfziger Jahren nicht eben selten, als man den alten Realismus noch nicht abgestreift, den „nouveau roman“ noch nicht eingeholt hatte und sich auf das geistige Rüstzeug des Exi-stenzialismus stützte, auf die Freiheit der Entscheidung.

Und doch sieht man dieses Werk heute in einem größeren Zusammenhang, nicht zuletzt, weil die bisher unveröffentlichten Schriften Zand als einen Erben nicht nur des Feuers der Vernichtung, sondern auch zusammenbrechender Traditionen ausweisen. Dieser in seiner Erscheinung so durchaus städtisch wirkende Literat zeigt hier etwa in einem ungemein klugen Essay, wie die ge-schichtslose, selbstgenügsame Bauernwelt heute im Beschuß technischer und sozialer Veränderungen einer unvoraussehbaren Entwicklung zustrebt. Tagebuchblätter reflektieren das literarische Wien der Nachkriegsjahre, die Cafe-Raimund-Atmosphäre, Optimismus und Resignation, die dort dicht nebeneinander wohnten.

Zand hat die Spuren seines stoisch ertragenen Leidens zu Lebzeiten eher vertuscht. Nun, da Wolfgang Kraus sein Werk vorlegt und aus persönlicher Sicht kommentiert, werden sie aufgedeckt und Einsichten, aphoristische Erkenntnisse scheinen auf, die verblüffen. Daß Zand derlei Intimes eher zu verbergen gesonnen war, paßt zu der literarischen Zurückhaltung, die ihn zeitlebens ausgezeichnet hat. Der dankenswerte postume Einblick aber zeigt, daß er das Symbol einer ganzen Generation gewesen ist.

„ERBEN DES FEUERS“ und „KERNE DES PARADIESISCHEN APFELS“ von Herbert Zand, hg. von Wolfgang Kraus, Europa-Verlag, Wien, 264 und 268 S., je 21 DM.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung