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Zuckmayer erzählt sein Leben

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ALS WAR’S EIN STÜCK VON MIR. Horen der Freundschaft. Von Carl Zuckmayer. Verlag S. Fischer, Frankfurt a. M. 1966, 572 Seiten, Preis S 185.—.

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ALS WAR’S EIN STÜCK VON MIR. Horen der Freundschaft. Von Carl Zuckmayer. Verlag S. Fischer, Frankfurt a. M. 1966, 572 Seiten, Preis S 185.—.

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Das seit längerer Zeit vom Verlag angekündigte Erinnerungswerk wurde von allen Literaturfreunden mit größtem Interesse erwartet. Es sei gleich gesagt: diese Erwartungen werden nicht enttäuscht. Das Buch gehörte zu den meistbeachteten Neuerscheinungen während der Frankfurter Buchmesse, und man geht wohl nicht fehl, wenn man ihm einen lange andauernden Erfolg voraussagt.

Der siebzigjährige Autor erzählt uns sein Leben nicht in streng chronologischer Folge. Er beginnt mit den Jahren 1926 bis 1934, als er in Österreich weilte, nämlich in Henn- dorf im Salzburgischen. Nach dem großen Erfolg seines Stückes „Der fröhliche Weinberg“ (1925), hatte er sich dort das Haus „Wiesmühle“ gekauft. Es war, um die Überschrift dieses ersten Kapitels zu zitieren: „Ein Augenblick, gelebt im Paradiese.“ Daran schließt sich der Bericht seiner Flucht vor dem braunen Gewaltregime, seiner Erlebnisse in der Emigrationszeit bis zur Einschiffung nach Amerika. Erst dann schildert er seinen Lebenslauf vom Anfang an. Das Schlußkapitel und der Epilog umfassen die Zeit im amerikanischen Exil, die Rückkehr nach Europa und die Jahre bis zur Gegenwart.

Es war kein leichtes Leben, das da, mit faszinierender Anschaulichkeit erzählt, an uns vorüberzieht. Reich an Erfolgen, an beglückenden menschlichen Beziehungen, aber auch reich an harten Prüfungen, in denen sich nur eine starke, willenskräftige Natur behaupten konnte. Der in Nackenheim am Rhein 1896 Geborene war Freiwilliger im ersten Weltkrieg, Student in Frankfurt und Heidelberg, er ging nach Berlin, wo sein erstes Stück ein Mißerfolg wurde, dann als Dramaturg nach München und Kiel. Der spektakuläre Erfolg des „Fröhlichen Weinbergs“ — in des Dichters Heimat gab es Proteststürme — machte ihn berühmt und öffnete ihm den Weg zu den deutschen Bühnen. Als der Nationalsozialismus zur Macht kam, verließ Zuckmayer Deutschland. Auch in Österreich konnte er nicht bleiben, ebenso nicht in der Schweiz, in England und in Frankreich. In Hollywood,, wo er eine Zeitlang für Filmunternehmen arbeitete, hielt er es nicht aus; er wurde dann Farmer in den „grünen Bergen“ von Vermont und verbrachte dort Jahre voll harter Arbeit, bis er, nach Kriegsende wieder nach Europa, nach Deutschland zurückkehren konnte. Seit 1958 lebt er in Saas-Fee in Ober-Wallis, Schweiz.

Es ist ein Erinnerungsfouch, das nichts beschönigt oder vertuscht, aber frei von Bitterkeit und Ressentiment ist. Die Freundschaft war und ist für Zuckmayer ein hoher Lebenswert. Dies bringen Titel und Untertitel seiner Memoiren klar zum Ausdruck. Immer wieder bekennt er sich zur Freundschaft. Da lesen wir: „Zwar heilt die Zeit keineswegs alle Wunden. Doch sie lehrt uns eine Dialektik der Metamorphose, des Sieih- verwandeln-Müssens. Ihre These ist: der Lebenswille! Ihre Antithese: die Verzweiflung. Ihre Synthese ist die Freundschaft.“ Und an anderer Stelle: „Denke ich an die hellsten und an die schwärzesten Stunden in meinem Leben und im Leben derer, die mir nahstanden., so ist die Freundschaft wie ein festes, sicht- barliches, unzerreißbares Band hindurohgeschlungen. In den guten Zeiten war sie eine Steigerung im gegenseitigen Geben und Empfangen. In den Zeiten der Not wurde sie zu einem Anker, dem letzten, an den man sich hielt, zur Lotsenschaft, manchmal zum Rettungsring, und immer, auch in den Niederbrüchen, auch im Geschlagensein, blieb sie ein irdisches Fanal, ein Feuerschiff, ein Signal im Nebel. Selbst wenn der Tod die Freunde von meiner Seite riß — ich habe das allzu früh erleben müssen, und es geschieht immer wieder —, so war und ist es jedesmal, als war’s ein Stück von mir.“

In seinem bewegten Leben ist Zuckmayer unzähligen Menschen begegnet, berühmten und imberühmten, und viele wurden seine Freunde. (Das Verzeichnis der Personen umfaßt zehn Seiten zu je zwei Spalten.) Eine ansehnliche Zahl von ihnen ist bereits tot. Der Dichter beschwört ihr Bild, wie es sich seiner liebevollen Erinnerung darstellt. Begnügen wir uns damit, nur einige Namen zu nennen: die Schauspieler Emil Jan- nings und Werner Krauß, den Maler Rudolf Schlichter, die Schriftsteller Stefan Zweig, Barns Schiebel- huth, Bert Brecht (Zuckmayers Kollege während seiner Dramaturgentätigkeit am „Deutschen Theater“ in Berlin), den Kunst wissenschaftler Wilhelm Fraenger, die Journalistin Dorothy Thompson, den Historiker Carl J. Burck- hardt, den Regisseur Heinz Hilpert, den Verleger Suihrkamp, den Fliegeroffiizier Emst Udet — er war das Vorbild für den General Harras in dem Schauspiel „Des Teufels General“ — sowie Carlo Mierendorff und Theodor Haubach. Sie alle werden, oft durch kleine bezeichnende Episoden, lebensecht porträtiert. Es stimmt fast ein wenig wehmütig, zu lesen, wie einst Freundschaften gepflegt wurden, denn in unserer Gegenwart hat sich auch hierin viel zum Negativen gewandelt.

Aber nicht nur die Menschen, auch die Landschaften und Städte, in die ihn sein Weg führte, schildert Zuckmayer farbig und mit dichterischer Intensität, und wenn seine Darstellung auch hie und da, besonders wenn er bei seiner Kindheit verweilt, episch breit ist, so wird sie doch niemals langweilig. Sympathisch wirkt, daß Zuckmayer sich von jeder Selbstbespiegelung und Selbststilisierung, die an manchen Memoiren unangenehm auffallen, fernhält. Mit Mitteilungen über sein dichterisches Schaffen ist er sehr sparsam und berichtet nur über die Entstehung und den Widerhall der wichtigsten Werke. Ausgezeichnet ist es ihm gelungen, uns einen Eindruck von den literarischen Bewegungen und der geistigen Atmosphäre Deutschlands und Österreichs in den Jahrzehnten seit dem Ende des ersten Weltkriegs zu vermitteln. Viele Schilderungen sind von dramatischer Dynamik, wie etwa die der Kriegserlebmisse oder der Flucht aus Österreich.

Im Schlußkapitel schreibt Zuckmayer, es sei das größte und gnadenvollste Glück seines Lebens gewesen: Nicht hassen zu müssen. Der Siebzigjährige hat mit diesem Buch seinen zahlreichen Lesern ein echtes Geschenk gemacht, denn es zählt zu den menschlich gehaltvollsten deutschsprachigen Autobiographien unserer Zeit.

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