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Deutsch sein heißt — was denn nun wirklich?

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Vor ein paar Jahren in Wien: ein Kreis befreundeter Literaten und Journalisten (neben Österreichern einer aus Belgrad, einer aus Budapest, einer aus Triest, ein Deutscher aus Alt-Österreich) darüber plaudernd, was eigentlich den Umgang mit Deutschen oft so unerquicklich mache. Nach kurzer Beratung einhellig: die schier krankhafte Sucht, in den Wunden am eigenen Volkskörper herumzus’tochern, anstatt sie vernarben zu lassen. Bismarck wurde zitiert — „eine alte nationale Gewohnheit, diese Kritik bei uns”, „eine starke Neigung zur Unzufriedenheit” — und dann Böme: „Ich bin ein Deutscher und bin stolz darauf, es zu sein; doch immer erröte ich dessen, wenn ich höre, daß Deutsche selbst ihr Vaterland verachten.” Zum Teufel, fragten wir damals, wo bleibt denn heute der Deutsche, der, ohne deswegen zum Nationalisten zu degenerieren, sein Volk, seinen Staat und damit sich selber als Realität außer Streit stellt?

Nun, da ist so einer: heißt Joachim Besser, arbeitet seit den Dreißigerjahren bei Presse und Fernsehen, und hat jetzt ein Buch verfaßt „von der zweifelhaften Lust, ein Deutscher zu sein”, das trotz diesem Titel mit dem heute eher unüblichen Bekenntnis schließt: „Wenn wir die drei Fundamente dieses Staates, Freiheit, Frieden und Wohlstand, dankbar anerkennen, dann müßten wir eigentlich alle einsehen, daß dieser Staat nicht zerstört, sondern nur verändert werden darf. Das jedenfalls ist die Meinung eines Patrioten…”

Wie bitte? Was? Eines „Patrioten”? Ja darf das denn überhaupt sein? — Ja nun: der Mangel an dem, was Patriotismus im eigentlichen Sinne ausmacht, ist immer schon beklagt oder gerügt worden: „Es liegt in der deutschen Natur, alles Ausländische in seiner Art zu würdigen und sich fremder Eigentümlichkeit zu bequemen”, zitiert Eckermann den alten Goethe; und Fichte folgert: „Der Gipfel aber unseres Triumphs ist es, wenn man uns gar nicht mehr für Deutsche, sondern etwa für Spanier oder Engländer hält, je nachdem nun einer von diesen gerade am meisten Mode ist.” Mit der von Karl Julius Weber schon erkannten Konsequenz: „Deutsche opferten sich recht eigent lieh für idie Menschheit, gaben ihren Natiöriälcharäkter preis, Um Weltbürgerrollen zu spielen, und wurden — nichts!” Diese Selbstpreisgabe wucherte nach 1945 bis zum Exzeß, und Joachim Besser gehört nun zu denen, die ganz ohne Pathos versuchen, die Dinge allmählich doch wieder ins Lot zu bringen: zum Patriotismus eben, doch nicht zum Nationalismus hin.

Diese Absicht geht durch alle 18 Kapitel, ob nun der Profisport rehabilitiert oder der Jugendkult als nicht nur unmenschlich, sondern letztendlich auch geschichtswidrig abgeurteilt wird, ob der Autor nun vom Antisemitismus in der politischen Aktualisierung des Antizionis- mus handelt oder von der Tierliebe, über der die Kinderliebe verloren geht. Jedenfalls werden die Dinge beim Namen genannt, aber nicht um des heute so beliebten Tabubruchs willen, sondern im Geist der Aufklärung, wie er bis in die gute alte Sozialdemokratie hinein sich verlängert hat. Und Joachim Besser bestreitet auch nicht, von einer linken Position aus zu sichten und zu werten; von einer allerdings glattrasierten aus, denn weder hinter dem Bart des Karl Marx noch hinter denen der neulinken Bewußtseinsver- änderer eröffnen sich ihm Perspektiven in eine bessere Zukunft. Ja, sein Nonkonformismus geht so weit, in keinem anderen Erdteil als in Nordamerika die Chance der Weltrevolution zu sehen; einer Revolution, die die imerträgliche Diskrepanz zwischen den technischen Mitteln und den geistig-moralischen Wertbegriffen des Menschen wenn nicht aufhebt, so doch spürbar verringert.

„Der Kurs geht nach links”, meint Joachim Besser (und er meint das positiv, nämlich weg vom Konservatismus). In seinem Vertrauen in Evolution und Reform, in seinem unideologischen Abwägen zwischen der Not zur Veränderung und dem Wert des Bewahrens, und insbesondere in seinem Bekenntnis zur Kontinuität aber deklariert er sich als ein Konservativer — im Sinne des Erzvaters Edmund Burke freilich, dessen These, was der Staat sei — „die Gemeinschaft der Toten, der Lebenden und der Kommenden” —, bei Besser fast wörtlich wiederkehrt (Seite 180).

Daran ändert auch nichts, daß unser Autor nicht predigt, sondern dem Volke feuilletonistisch ins Gewissen redet Er Will ja wirken, will etwas wenden, hdc et nunc — und widerlegt damit zumindest für sich und für seine Leser jenes von Richard Wagner geprägte deutsche Selbsturteil, das seither zum schlimmsten Vorurteil sich ausgewachsen hat:

„Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen treiben.”

VON DER ZWEIFELHAFTEN LUST, EIN DEUTSCHER ZU SEIN. Von Joachim Besser. Betrachtungen eines Nonkonformisten. 202 Seiten. Econ Verlag, Düsseldorf und Wien, 1972.

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