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Kein Märchen

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Der Schriftsteller Arnos Elon, weithin bekannt geworden durch sein Sachbuch über die „Gründer und Söhne“ des Staates Israel, hat sich eine phantastische Geschichte ausgedacht: die Geschichte eines jüdischen Jules Verne. Er nennt ihn Theodor Herzl, schildert ihn uns als einen assimilierten Juden mit einer fast manischen Deutschtümelei, macht ihn, der sich zum Theaterdichter berufen fühlt, m einem Journalisten im Sold der „Neuen Freien Presse“, führt ihn vor unseren Augen durch alle standesgemäßen Höhen und Tiefen sowohl im Privatleben wie im Beruf, und läßt ihn plötzlich — ein Einfall von krauser Genialität! — einen Judenstaat gründen.

Dieser Theodor Herzl entdeckt — nach Elon — zwar schon als Student und deutschnationaler Burschenschafter das Phänomen des Antisemitismus, zieht aber vorerst keine Konsequenzen daraus. Auch weitere einschlägige Erfahrungen verdrängt er, und letztlich erst der Hochverratsprozeß gegen einen französischen Hauptmann jüdischer Herkunft, die „Affäre Dreyfus“, öffnet ihm die Augen dafür, daß es sich bei den judenfeindlichen Aktionen auch im liberalen Westen nicht bloß um Pannen auf dem Weg von der Emanzipation zur Integration handelt, sondern um Folgen von Urfeindschaft einerseits und illusionistischen Hoffnungen anderseits. Und er setzt sich hin und verfaßt — so einfach ist das!

— eine Broschüre mit dem Titel „Der Judenstaat — Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“.

Mit diesen Ideen rennt er nun Tod und Teufel die Türen ein: zuerst den jüdischen Bank-Millionären, die zwar Philanthropen sind, den Staatsmann ohne Staat aber für einen (möglicherweise sogar gefährlichen) Narren halten und abblitzen lassen. Der Wiener Kaffeehausjud konferiert — eine Kette komischmakabrer Bilder — mit deutschen, mit englischen, mit türkischen Ministern, ja mit dem deutschen Kaiser selbst ja sogar mit dem Sultan; und

— nach Arnos Elon — verspricht dabei, was er noch gar nicht besitzt: hier Geld, da Einfluß, dort Bündnisse. Politik als Theater, gewissermaßen.

Während die Mächtigen ihm, verständlicherweise, nicht trauen, strömen die Armen, die handfest Verfolgten ihm zu: und er »nacht sich zu ihrem Führer. Verheißt ihnen jährlich: „Nächstes Jahr in Jerusalem“, und kann.ihnen faktisch.nichts bieten als wiederum nur ein Buch:

den Roman „Altneuland“: prophetischen Kitsch oder kitschige Prophe-tie, wie man will. Zwar stehen gescheite Sachen drin; zum Beispiel: daß dieses „Altneuland“ kein Nationalstaat wie irgendein anderer sei, sondern äußere Form einer neuen Gesellschaft: eine „auf kooperativen Formen freiwilligen Zusammenschlusses beruhende Gemeinschaft“.

Diese Gesellschaft lebe, ohne die Zwangs- und Souveränitätsmechanismen europäischer Nationalstaaten, vom guten Willen ihrer Mitglieder, der das Ergebnis sozialer Reformen sei. Die Technik werde dem Menschen nützen, ohne seine Umwelt zu zerstören. Das System soll die Übel des industriellen Kapitalismus vermeiden, ohne deswegen den autoritären Sozialismus einführen zu müssen. Und es ist ein System, in dem die Unterschiede und Gegensätze zwischen den Rassen und Religionen zwar nicht verschwinden, aber bedeutungslos werden: „Mensch, du bist mein Bruder.“

Den utopischen Höhenflug des Geistes begleiten freilich — immer noch nach Elon — die banalsten irdischen Miesitäten: vom Ehekrach bis zur Herzattacke. Der Autor schont seinen Helden nicht; er läßt ihn sogar — ein Gipfelpunkt der Ironie! — trotz allen früheren Mißerfolgen abermals ein Theaterstück schreiben: nicht in der Hoffnung, nun doch noch als Dichter berühmt zu werden, sondern in der, mit dem Honorar die meist leeren Kassen seiner Bewegung füllen zu können. Elon gestattet seinem neuen Moses zwar, das Gelobte Land zu betreten; doch nur, um ihn dann notieren zu sehen: „Wenn ich künftig dein gedenke, Jerusalem, wird es nicht mit Vergnügen sein.“ Und er läßt ihn frühzeitig — vorzeitig — sterben: nicht mit dem Abglanz seiner Vision im brechenden Auge, sondern ermüdet, entmutigt, ganz einfach kaputt.

Was Arnos Elon genial — in einer kongenialen Ubersetzung von Traudl Lessing deutsch nachzulesen — beschrieben hat, das ist die Geschichte jemandes, dem es gelingt, sich schon zu Lebzeiten zu der Legende seiner selbst zu machen — ob er's eigentlich will oder nicht Eine Fabel von „Traum und Tat“; irrsinnig spannend, vielleicht auch lehrreich. Zum Nachdenken jedenfalls stimmt ein Satz, den Elon seinen Theodor Herzl sprechen hört: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.“ Und vielleicht wer weiß, war auch das, was man eben gelesen hat, wirklich kein Märchen.

MORGEN IN JERUSALEM. Theodor Herzl — sein Leben und Werk. Von Arnos Elon, 431 Seiten, davon 16 Bildseiten. 48 DM, 364 Schilling. Verlag Fritz Molden, Wien.

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