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Die Vernunft der Sprache

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Ein Leser bemängelte in FURCHE Nr. 48 den Ausdruck „lange Jahrzehnte". Die Kritik veranlaßte Herbert Eisenreich zu den folgenden Reflexionen.

Es ist nur natürlich, daß in dem Maße, in dem das öffentliche Geschwätz um sich greift, die Sprache verludert. Was Anlaß zu größter Sorge gibt, zu Sorge um unser Denken, um unsere geistige Lebensfähigkeit, ist der rapide Schwund, der Verlust der Anschaulichkeit.

Was man bei Wieland tadelte: seine verwirrende Vielf alt der Stile, das habe man, wie ich soeben lese, „bemängelt“. Es kann aber, was des Guten zu viel ist, ein Mangel nicht sein, einen Mangel höchstens bewirken: die Vielzahl von Interessen etwa den Mangel an Konzentration. Kurzum, die Bildhaftigkeit der Sprache ist es, was einen Satz als logisch erscheinen läßt: sprechend im Bilde zu bleiben ist das Grundgesetz dieser Logik, ist die Conditio sine qua non der Kunst, den anderen mittels der Wörter ins Bild zu setzen.

Allein, es ist diese Logik nicht logisch im logischen Sinne. Wenn Hebel in seinem „Musketierlied“ dichtet: „Boden, du bist mein Bett“, dann ist das logischer Nonsens und völlig verständlich. Und abseits der Logik vollzieht sich auch der Bedeutungswandel — wer, übrigens, hört aus dem Wandel wohl noch die Wand heraus? Die Wörter entladen sich von ihrem Sinn, oder laden sich auf mit neuem, je nach Bedarf und gewiß auch nach Lust und Laune, nicht mit naturgesetzlicher Notwendigkeit.

Wie so gar nichts die Logik wider das Wuchern der Sprache vermag, erhellt ohne Zweifel aus „zweifelsohne“, das zweifellos ebenso unnötig ist wie unnatürlich: Studenten-Ulk, hinaufstilisiert zur Feierlichkeit. Mit weniger gutem Recht, und genauso erfolglos, haben Puristen jahrelang gegen „langjährig“ aufbegehrt: „vieljährig“ müsse es richtig heißen, doch glücklicherweise war niemand imstande, es nachzusprechen. Langjährig ist nämlich nicht bloß ein Zeitraum von vielen Jahren, es müssen auch Jahre voll Intensität sein, wie die einer innigen Freundschaft etwa. So nennen die Juden ihren Versöhnungstag den langen Tag, weil er mehr als andere voll ist von Beten und Fasten. So hat der Feldmarschall Rommel prognostiziert: „Die ersten vierundzwanzig Stunden der Invasion sind die entscheidenden ... Für die Alliierten und für Deutschland wird es der längste Tag sein“ — mit feinem Takt unterschied er da zwischen der meßbaren Und der erlebbaren Zeit, zwischen Quantität und Qualität einer Zeit.

Und so darf denn, wer jahrelang all seine Kraft an etwas gewendet, mit gutem Gewissen vor Gott und den Menschen, und auch vor der Spracht, der langen Jahre sich rühmen als eines Lebens geduldigen Fleißes. Ja, es schwingt in den langen Jahren ein Gegensatz mit zu den vielen Jahren: es klingt in den langen Jahren der Gegensatz an zu der langen Weile, der Langeweile als dem Gegensätze der Intensität. Aus gegebenem Anlaß von langen Tagen, Jahren, Jahrzehnten zu sprechen, ist sicherlich nicht korrektes Deutsch. Es ist gutes Deutsch — wie es gutes Latein war, schlag nach bei Vergil!

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