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Abfuhr für die Sprachroboter

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In der Grazer „Südost-Tagespost“ sind in einem Abstand von nur wenigen Tagen 11. und 13. August 1959 zwei Artikel erschienen, die uns erschaudernd in den Höllenrachen unseres heutigen zwiespältigen Denkens blicken lassen. Der erste Artikel spricht mit gebotenem Ernst vom „Uebersetzen als schöpferischer Arbeit", der zweite aber jubelt über den „Dolmetscher der Zukunft“, das „Mammutgehirn aus Metall“. Utopien, wie dieser letztgenannte Artikel, sind an sich nicht gefährlich; auf die Dauer aber färben sie ab, und darum entscheiden sich auch, ohne je tiefer nachzusinnen, viele für die Maschine — gegen den Menschen —, bekennen sich fanatisch zum Maschinismus, weil, ihrer Meinung nach, der Humanismus seine alten Inhalte aufgebraucht und keine neuen mehr gefunden hat.

Der Internationale Uebersetzerkongreß, der, von der Federation Internationale des Traduc- teurs einberufen, in diesem Sommer in Bad Godesberg tagte, war jedoch ein Bekenntnis zum schöpferischen Menschen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand die Frage, nach der Qualität der Uebersetzung, und sie wurde von einem österreichischen Teilnehmer kurz und eindrucksvoll beantwortet: „Eine gute Ueber- setzung muß den Eindruck erwecken, als hätte der Autor sein Werk nicht in der Fremdsprache, sondern in der Uebersetzersprache geschaffen." Von da aus konnte der Weg nur zur Verantwortung führen. „Der Uebersetzer ist sprachlich verantwortlich und muß der allgemeinen Sprachverschlampung entgegenwirken. Auch für ihn gilt, was Weinheber gesagt hat: ,Der Sprachverderber ist der eigentliche Hochverräter.“ “

Anders gesagt: „Im Anfang war das Wort…“, und keiner der Teilnehmer des Kongresses, die aus allen Erdteilen, von diesseits und von jenseits des Eisernen Vorhanges gekommen waren, wußte daran etwas auszusetzen, weil sie, wenn nicht schon eine Wertdefinition, so doch eine für alle Uebersetzer annehmbare Verpflichtung zur Sprache gefunden zu haben glaubten. Viele unter ihnen hätten sich wahrscheinlich gegen eine religiöse Deutung des Bekenntnisses zum Wort verwahrt, und doch waren sich die Uebersetzer der großen Schriftsteller der Gegenwart und der Vergangenheit, die Uebersetzer Faulkners, Hemingways, Thomas Wolfes, James Joyces, Mauriacs, Claudels, Prousts, Kafkas, Musils, Brochs, Th. Manns, Gorkijs, Hamsuns usw„ einig, daß nur der demütige, hingebende Dienst am Wort, voll der Fallstricke des Irrtums und immer unvollkommen, die Verkrampfung unserer Zeit lösen könne.

Es hatte seinen guten Grund, wenn Hermann Kasak, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, recht eindringlich auf die sprachliche Verantwortung der Uebersetzer hinwies. Sie hätten, angesichts der Fülle der Uebersetzungen, die alljährlich auf dem Büchermarkt erscheinen, die Sprache vor der Verarmung und Verwirrung zu schützen — wie die Dichter auch —, und alle Teilnehmer des Kongresses, aus welchem Sprachkreis sie auch gekommen waren, klagten gleicherweise über den Einbruch der Sprachbarbaren.

Wenn auch geklagt wurde, so war die Klage erfreulich, öffnete sie doch den Weg zum Be- wußtwerden der Verantwortung. Es konnte aber nicht ausbleiben, daß sich der Internationale Uebersetzerkongreß, an dem ja nicht nur literarische Uebersetzer, sondern auch technische und wissenschaftliche Sprachmittler gleichberechtigt teilnahmen, wenn auch nur am Rande, mit der Frage der automatischen, maschinellen Uebersetzung befaßte. Darüber sprach in einem Abendvortrag der Franzose D e 1 a v e n a y, ein Magier des gesprochenen Wortes, dem es gelang, sogar seine an die Eleganz und das Feuerwerk der Rede gewöhnten Landsleute mitzureißen. Monsieur Delavenay arbeitet, wie er sagte, „in geheimnisvoller Stille“ gleich den Konstrukteuren der Atom- und Wasserstoffbomben, an einer Maschine, die imstande sein soll, sämtliche ‘bedeutungsverwandte Wörter ihren Ueberbegriffen zuzuordnen, sie zu formulieren und Rohübersetzungen — für den Augenblick sei nicht mehr zu erwarten — zu liefern. Der „automatische Uebersetzer“ arbeite nach den gleichen Prinzipien wie das menschliche Gehirn, folglich-„denke" er.

Die freiwilligen und unfreiwilligen Zuhörer des Vortrages saßen fasziniert und voll des Grauens wie gebannt auf ihren Stühlen. Mancher fragte sich, ob denn das Zeitalter der Automaten schon gekommen sei, in dem sich vorerst Mensch und Automat mischen, nebeneinander sind, um einander schließlich zu verwechseln. Unwillkürlich dachte man an den Studenten Nathaniel, an den Advokaten Cop- pelius und an den Professor Spalanzani, an all die Gestalten aus dämonischen Bereichen, wie sie E. Th. A. Hoffmann in seinen gespenstischen „Nachtstücken“ schaute. Hier schien der menschliche Geist daran zu sein, sich gott- abgewendet lüstern an einen Roboter auszuliefern und ihm zu erlauben, das menschliche Geschäft des Denkens zu verrichten. Als wäre Sprache nur Gehirn und Logik, ein Rechenexempel schwierigsten Grades, aber nicht mehr, als reiche die Sprache nicht von der Mitteilung bloßer Sachverhalte bis zur dichterischen Gestaltung und Wortschöpfung. Allen Zuhörern war es klar, daß hier ein Vorrecht des Menschen auf dem Spiele stand.

Peter Müller, der Verfasser des zweiten Artikels der „Südost-Tagespost", scheint nie das Grauen vor einer Maschine gefühlt zu haben, die das „Denken für den Menschen besorgen könnte“, sonst wäre er nicht imstande gewesen, begeistert in Aussicht zu stellen, daß in nicht allzu ferner Zeit Transistorengehirne Sprache zu übersetzen vermögen. Ihm scheint sich der Mensch, dieses Tertium comparationis aller Uebersetzbarkeit, auf ein Wesen zu reduzieren, das nur Sachen und Sachverhalte kennt und nichts von der schwierigen Verflochtenheit alles Lebens, alles Diesseitigen und Jenseitigen weiß. Die kurzgeschorene Sachlichkeit, derer sich unsere Zeit rühmt, bedeutet in solchem Zusammenhang nichts anderes, als den Menschen in seiner möglichen Fülle, seinem logischen und seinem intuitiven Denken, seinem Ordnen und seinem Erleben, seinem Hoffen und seinem Wollen und vielem anderen noch einem Automaten gleichzusetzen. Die „Menschenmaschine“ De Lamettries feiert im 20. Jahrhundert selige Urständ’.

Auf dem Internationalen Uebersetzerkongreß, auf dem Leute versammelt waren, die es wissen müssen, weil sie mit der Sprache ja täglich mühevollen Umgang pflegen, rief keiner aus: „Wie haben wir’s so herrlich weit gebracht!“, am wenigsten die Uebersetzer, die von jenseits des Eisernen Vorhangs gekommen waren. Jeden packte vor der Maschine die Angst, nicht die vor dem Verlust des sauer verdienten Brotes, zu dem es für die Butter nicht mehr reicht, sondern vor dem möglichen Verzicht auf die Conditio humana des Irrenkönnens und des Unvollkommenseins bei gleichzeitigem Wissen um das Nichtirrenkönnen und die Vollkommenheit. Irgendwie, wenn auch unsausgesprochen, war es im Saale da: „Dies kommt nur Gott zu." Einer der Kongreßteilnehmer rief nach dem Vortrag Delavenays aus: „Gelänge es, eine solche Maschine aus einem ausgezeichneten Wörterbuch zu einem wirklichen Uebersetzer zu entwickeln, dann gibt es Gott nicht. Wir müßten Ihm ja die Güte absprechen, denn, wenn Er solches zuließe, dann verdammt Er uns in alle Ewigkeit, den gottähnlichen schöpferischen Akt der Sprache an das .Denken’ einer Maschine abzutreten."

Wir müßten uns bald einmal entscheiden.

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