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Die Form und das Nichts

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Wo keine Form ist, ist das Nichts", sagt der österreichische Dichter A. P. Gütersloh; und wir getrauen uns, diese philosophische Sentenz auch durchaus dinglich zu interpretieren.

Wenn wir uns, wo auch immer wir uns gerade befinden mögen, ohne Befangenheit umsehen, trifft unser Blick auf Formen: das sei die Taste meiner Schreibmaschine, das sei die Türklinke, das sei die Karosserie des Autos. Und weiter kommt uns zu Bewußtsein, daß, was wir Form nennen, im Grunde nichts anderes ist als eine Entsprechung zuerst zum Menschen und dann zur Natur überhaupt: die Taste meiner Schreibmaschine korrespondiert mit der Kuppe meines Fingers, die Türklinke ist der menschlichen Hand angepaßt, die Karosserie als Form ist das Resultat einerseit der Menschen, die in dem Auto sitzen sollen, und anderseits der Luft, deren Widerstand von dem Fahrzeug überwunden werden muß. Wir möchten sagen: ohne Funktion keine Form; und deshalb auch umgekehrt: ohne Form keine Funktion.

Dagegen wehrt sich eine fälschlich so genannte Ästhetik: mit dem geschwollenen Gerede von abstrakter Form, von der Schönheit an sich, von der Kunst im Handwerk. Die praktische Folge solch einer ihre Grenzen verletzenden Ästhetik ist, daß wir aus Gläsern trinken müssen, die wir nur unter akrobatischen Verrenkungen des Halses leeren können, in Sesseln sitzen, aus denen man nur mehr mit Hilfe eines Flaschenzuges hochkommt (ganz abgesehen davon, daß eine Dame überhaupt erst nach Ausschaltung jeglichen Schamgefühls darin Platz nehmen kann), und Ringe tragen, deren Gold den darein gefaßten Edelstein nicht rahmt, sondern zerquetscht.

Kraß formuliert: ein Messer ist nicht dann ein Messer, wenn es apart aussieht, sondern nur dann, wenn man damit einen Braten zerlegen, ein Pfeiferl schnitzen, einen Blinddarm herausnehmen kann, und zwar auf die jeweils bequemste Weise. Und bequem ist nur das, was der Natur der Dinge gemäß ist: wenn's mich über dem rechten Ohre juckt, dann kratze ich mich mit der rechten, nicht mit der linken Hand. Wenn ich beim Treppensteigen die selbe Kraft und Geschicklichkeit aufbringen muß wie bei der Besteigung der Eiger-Nordwand, dann ist diese Treppe — und wäre sie von Michelangelo selbst entworfen — nicht schön. Denn die Schönheit der Dinge gründet sich auf die Bequemlichkeit, mit der sie uns zur Hand sind.

Deshalb ist's — wie der große Ästhetiker des modernen Lebens, Adolf Loos, zu behaupten nicht müde wurde — ein glatter Nonsens, formvollendete, wir würden sagen: in höchstem Grade humanisierte, Dinge neu zu gestalten, sie (wie man sagt) dem Geschmack der Zeit anzupassen. Nicht Geschmäcker und Moden stehen ewig gegeneinander, sondern quer durch die Zeiten mit ihren wechselnden Stilen läuft eine andere Front: die Form gegen das Nichts, die der humanisierten Dinge gegen die barbarischen und gegen die gekünstelten (was am Ende nämlich auf ganz das selbe hinausläuft!).

Immer ist es der Mensch, der den Dingen die Form gibt, auch ganz konkret: indem er sie fabriziert. Und wenn ihm dies in höchstem Maß gelingt, dann hat er sich selber weitaus mehr Gutes getan, als er fürs erste ahnt.

Es besteht nämlich — das haben schon einige Philosophen der Antike erkannt — eine geheimnisvolle Ubereinstimmung zwischen dem Nützlichen und dem Sittlichen. Die Dinge, von denen wir in unserem Sinne sagen, sie seien Form: diese Dinge sind uns nicht nur nützlich (als handliches Werkzeug, als zweckentsprechendes Gerät, als wohnliches Haus, als sicheres Fahrzeug, als Komfort im engen und weiten Sinn), sondern sie veredeln auch unsre Sittlichkeit. Die von uns geschaffenen Dinge wirken zurück auf Leib, Seele und Geist, auf die ganze Existenz ihres Schöpfers: sie lehreH ihn durch ihr stummes und im Benütztwerden doch so beredtes Dasein, daß er, ihr Schöpfer, aus seinem Leben das zu machen habe, was sie selber schon sind, nämlich: Form.

Die Geschichte der schönen Dinge ist die Geschichte der Form, die der Mensch sich selber geben will: Form als Entsprechung zu denj, was über ihm ist.

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