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Katzenjammer

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Der bisher vorwiegend durch Hörspiele bekanntgewordene Schriftsteller Otto Grünmandl bewegt sich durchaus in der skurrilen Tradition seiner Heimat Tirol, wenn er sich ein „Ministerium für Sprichwörter“ er- grübelt — dies nämlich ist der Titel seines soeben bei S. Fischer erschienenen ersten Romans. In diesem „Geheimen Ministerium“ dient unser Ich-Erzähler und berichtet von seinen Erfahrungen. Es wird dort, kurz gesagt, jede mit Sprichwörtern, Redensarten, Floskeln und Phrasen mögliche Manipulation modellmäßig durchexerziert und insbesondere die Darstellung des Sprichwörtlichen und Redensartlichen im menschlichen Leben, die Umwandlung von Sprachkleid in Lebensinhalt, sowohl erforscht als auch experimentell vorangetrieben.

Näher auf die Handlung einzugehen, brächte keinen Gewinn, da die Ebenen des Geschehens, wie auch die Ebenen des Bewußtseins davon, ständig wechseln und da deshalb weder Logik noch Kausalität waltet. Der Charakter dieser — im besten Wortsinn: eigentümlichen — Prosa ist denn auch eher teils lyrisch und teils grüblerisch als eigentlich erzählerisch; und beides: das Zerdenken wie das lyrische Verflüssigen des Stoffes, dient letztlich der Tarnung jedweder Handlung.

In dem Versuch, sich so etwas wie Klarheit zu verschaffen, ruft deshalb der Leser das Motto sich ins Gedächtnis: „Das einzige, worauf man zu achten hat, ist, daß die Begriffe fein säuberlich auseinandergehalten werden und .verspielt“ nicht mit .verloren“ verwechselt wird. Denn die Metaphysik erzeugt einen erbärmlichen Katzenjammer, wenn man den Fehler begeht, sie unter die Karten zu mischen.“ Und, siehe da: es steigt ahnungsvoll die Frage in ihm auf, ob da nicht ganz bewußt, nämlich mit der Absicht, einen „erbärmlichen Katzenjammer“ zu erzeugen, der gerügte Fehler begangen wurde, die Metaphysik „unter die Karten zu mischen“.

Nun ist zwar die Skepsis gegenüber allem Sprechen seit eh und je allem wahrhaften Sprechen immanent und gerade in Österreich selbstverständlich: da mag man die Klassiker Nestroy und Stifter, da mag man die Sprachdenker Wittgenstein, Kraus und Ebner, da mag man, sogar, den Modernisten-Star Handke zum Zeugen nehmen! Indessen stellt sich doch die Frage, ob mit der Methode, das zu Kritisierende sich selbst kritisieren zu lassen, nicht jedes derartige Unternehmen in sich zusammenfällt. Grünmandls Buch jedenfalls hinterläßt, bei aller Brillanz im Detail, eine von ihm selbst bekundete Ratosigkeit. In der Terminologie des „Ministeriums für Sprichwörter“ ausgedrückt: Der Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, ist die Katze, die sich in den Schwanz beißt. Dabei weiß der Autor sehr wohl um die „Sicherheit gewährende Kraft der Wörter“; um die Erfahrung der eigenen Identität nicht im Spiegel, sondern im Namen. Er weiß, daß wir, „gleich unfähig, die Wahrheit zu sagen, wie zu lügen“, dennoch sprechen — er selber tut’s ja mit seinem Roman. Das Problem besteht also offenbar darin, daß die Befangenheit im Wort als Wohltat empfunden wird, und daß diese Wohltat dennoch Plage ist.

Diese, wenn überhaupt, nur in höchster Kunst in Synthese mündende Dialektik ist leider auch der bis zum Exzeß getriebenen Maskerade zum Opfer gefallen, und deshalb bleibt, wie gesagt, der Katzenjammer. Der aber ist — man spürt das erst nach und hinter dem Buch — so ganz negativ auch wieder nicht, denn er mahnt ganz unüberhörbar, rückblickend zu bedenken, was ihn verursacht hat.

Womit wir, allerdings um eine Etage des Bewußtseins höher, wieder beim Motto angelangt wären: „Das einzige, worauf man zu achten hat, ist, daß die Begriffe fein säuberlich auseinandergehalten werden und ,verspielt“ nicht mit .verloren“ verwechselt wird.“ Otto Grünmandl hat mit diesem Buch, so will uns scheinen, einen jener Morgenstern - Korfschen Witze erfunden, „die erst viele Stunden später wirken“.

DAS MINISTERIUM FÜR SPRICHWÖRTER. Roman. Von Otto Grünmandl. S.-Fischer- Verlag, Frankfurt am Main.

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