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Zuflucht in der Sprache der anderen

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In einem Briefe, soeben, wollte ich schreiben: „Ich hasse es“, aber ich schrieb: „I hate it“. Doch nicht, um mein Urteil bezüglich der Sache zu mildern, sondern aus plötzlicher Scheu vor dem Wort: vor dem deutschen Wort „hassen“, nicht vor dem englischen „hate“, dem lateinischen „odisse“, mithin nicht vor dem Begriff.

Ich spürte bloß wieder einmal, daß den Wörtern der fremden Sprache geringere Schwerkraft eignet als denen der Muttersprache: es bleibt das Gesagte gewissermaßen beim Worte allein; man denkt in der fremden Sprache vergleichsweise wertneutral, im Extremfall inhaltsneutral wie in der symbolischen Logik.

Ein „Deo volente“ fließt uns gleich harmloser von den Lippen als das befrachtete „So Gott will“. Und wie wir das Heiligste nicht beim vertrauten Namen nennen, das Schrecklichste nicht und das Schönste nicht, so auch nicht das Obszönste: Goethe hat sich da, epigrammatisch, „übel als Dichter geplagt“ gefühlt, doch gewiß nicht aus Sittsamkeit, eher aus Furcht vor der Provokation. Er hat ja gewußt: etwas nennen heißt: es provozieren, von provo-care: hervorrufen, wecken, reizen, herausfordern — und dann womöglich dastehn als Zauberlehrling. Und wie wohl wir alle hat er geahnt, daß unsere Götter und unsre Dämonen immer nur unsere Sprache verstehen.

Selbst Nietzsche — „integer war er, wenn je ein Mensch es war“, rühmt aufs nobelste Golo Mann ihm nach, und das meint: er war tapfer wie keiner sich selbst gegenüber —, selbst Nietzsche also gesteht dem Freunde Overbeck nicht in deutscher, nein, in lateinischer Sprache, was er verschweigen möchte, doch nicht mehr verschweigen kann: „Sum in puncto desperationis“; erläuternd: „Dolor vincit vitam voluntatemque“.

So war gesagt und auch nicht gesagt, was, beim vertrauten deutschen Namen genannt, den Sieg des Schmerzes bestätigt und perpetuiert haben würde. So hat er den Teufel zwar an die Wand gemalt, aber gleichsam an eine Außenwand.

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