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Gruppenbild, leider verwackelt

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In „Gruppenbild mit Dame“, seinem jüngsten Roman, verkürzt Heinrich Boll sich selbst zum „Verf.“, der wissenschaftlich tuenden Abbreviatur für „Verfasser“; doch hätte er beser getan, sich überhaupt hinter einem Pseudonym zu verschanzen, etwa: Courths-Mahlers Erben, oder: Rudolf G. Binding ä la mode, denn: „Leni hat die fast unverwüstliche Brust einer Frau, die zärtlich geliebt worden ist und auf deren Brust Gedichte geschrieben worden sind“, was nicht nur für die Syntax auch der folgenden 390 Seiten nur Schlimmstes befürchten läßt. Von dieser Frau mit der „Brust einer Frau, auf deren Brust Gedichte geschrieben worden sind“, von Leni also, der Hauptfigur, die eo ipso mit der KPD sympathisiert und „die Sonntage haßt, an denen es keine frischen Brötchen gibt“ — was nicht nur infantil klingt, sondern in diesem Kontext auch grammatikalisch falsch ist —, von der also heißt es da auch, daß sie „in ihrem bisherigen Leben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im ganzen wahrscheinlich zwei dutzendmal einem Mann beigewohnt hat“, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geht das wahrscheinlich so weiter. Aber die Sicherheit trügt, es kommt noch ärger: auf Seite 117 überpurzelt der dem Verf. eigene Humor sich in den schon etymologisch absurden Kalauer „Kardin-oder Admiral“ — dieses kommt vom arabischen amir-al-ma, jenes vom lateinischen cardinalis —, und auf Seite 325 endlich bricht im katholischen Rom der Wilde Westen aus, da eine offenbar in Hollywood entsprungene Nonne den Verf. „mit einem rauhen Ton in der Stimme“ anschnorrt: „Verflucht, geben Sie mir auch eine“, womit aber noch nichts Obszönes und leider auch nicht die Watschen, die sie verdient, sondern eine Zigarette gemeint ist, was in dem eben so kessen Jargon des Verf. sich dann so liest: sie „hieb sich ein Stäbchen ins Gesicht“. Der Verf., weicher Kern in rauher Schale, ist daraufhin „schwach genug, ein Ja zu hauchen, wie es ansonsten nur vor Traualtären gehaucht wird“; was möglicherweise ironisch zu verstehen ist, aber wie sagt doch Heinz Beckmann in seiner Böll-Besprechung? „Ironie kann auch vermeintlich sein.“

Um was geht es dann also in diesem Roman? Nun, da ist also Leni, behaftet mit einem inzwischen erwachsenen und derzeit grad eingelochten Sohn, den ihr einstens ein russischer Kriegsgefangener angehängt hat: ein Edelmensch wie von Walter Flex gedichtet, ein „Wanderer zwischen beiden Welten“, und was trägt er sozusagen im Tornister? Nee: weder Marschallstab noch „Faust“, sondern, wie das bei Sowjets so üblich, den Georg Trakl. Schon diese pubertäre Russophilie des Verf. ist, um mit dem deutschen Nobelpreiskandidaten einmal in dessen heimischen Idiom zu reden, zum Kotzen. Aber wenn dann in einem

Deutsch, das nicht einmal köllsch, sondern nur bedrucktes Papier ist, alles, aber buchstäblich alles, was an bundesdeutscher Wirklichkeit dem Verf. nicht in seinen ideologischen Kram paßt, wenn das alles dann also bis zur Unkenntlichkeit verkitscht wird unter dem wahnwitzig eitlen Vorwand des politischen Engagements durch Literatur: dann entsinnt man sich des ach so wahren Wortes von Krämer-Badoni über den Verf.: „Boll hat es dem deutschen Volke niemals verziehen, daß er selber als Soldat in der Deutschen Wehrmacht gedient hat.“ Und man wünscht, daß jener Türke, den Leni zum peinlichen Happy-End in ihr sonst eher keusches Bettchen gejubelt kriegt, schleunigst heimkehre zu seinem Weib und seinen vier Kindern, um nicht tatsächlich infiziert zu werden von dem epidemischen Schwachsinn, den der Verf. auch ihm da andichtet. Sonst beginnt womöglich auch er noch zu schreiben: einen Roman, der, wie dieser von Boll, nichts weiter ist als der Klappentext zu einem nicht geschriebenen Roman. Und das hätten die Türken sich nicht verdient.

GRUPPENBILD MIT DAME. Von Heinrich Boll: Roman. 400 Seiten. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1971.

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