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Liebeserklärung an ein kleines Wort

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Bisweilen geschieht es, daß ein Mensdi unter uns lebt, der eigentlich gar nicht hergehört, und den wir doch nicht missen können. Sein Heimatrecht in unserer Mitte beruht einfach darauf, daß wir ihn an allen Ecken und Enden brauchen. So ähnlich geht es uns Österreichern (und außer uns nur noch den Bayern) mit dem kleinen Wörtlein „halt“. Es gehört gar nicht dem uns vom Schriftdeutsch gestatteten „Wortschatz“ unserer Sprac.be an, es ist bei uns sozusagen gar nicht gemeldet, und doch mögen wir seiner durchaus nicht entraten. Um sein Heimatrecht befragt, könnte es sich auf eine sehr alte und ehrwürdige Urkunde berufen, nämlich auf das Nibelungenlied, in dem es bereits zu finden ist. Etwa, wenn Kriemhild, nach Siegfrieds Tod von Siegmund aufgefordert, mit ihm fortzuziehen, sagt: „Ich mus hie belieben, swas halt mir geschult“, oder Volker der Fiedler: „Swie halt ich gerate in der Burgunden lant.“ Auch bei Wolfram von Esdienbach und bei dem Reimchronisten Hornek findet sich das „halt“. Wann es hernadi aus der Schriftsprache ausgebürgert und in die Mundart verbannt wurde, das ließe sich vermutlich durch entsprechende Forsdiung schon feststellen, wenn sich jemand solcher Mühe unterziehen wollte. Aber es erwies sich als ein hartnäckiges und urgesundes Kräutlein, denn, längst ausgemerzt aus den ängstlich gepflegten Blumenbeeten der Wörterbücher, blühte es durch die Jahrhunderte fröhlich weiter im naturbelassenen Garten der Volkssprache, ohne bis zum heutigen Tage die geringste Spur von Alterserschcinungen zu zeigen.

Dürfen wir denn dieses winzige „halt“ überhaupt als ein richtiges Wort gelten lassen? Gleicht es nicht vielmehr einem Staubflöckchen im Getriebe der gewichtigeren Worte oder einer auf dem Wellengange unserer Sprache schwerelos hintanzenden Flaumfeder? Wollte die gestrenge Grammatik es gnädig anerkennen, in welche ifyrer Wortgattungen würde sie es wohl einweisen? Vermutlich — jedoch nicht ohne Zögern — unter die „Umstandswörter der Aussageweise“, womit sie denn auch recht täte, denn was alles dieses kleine halt“ auszusagen weiß, wenn es nur immer unter den ihm zusagenden Umständen angewendet wird, das ist kaum zu glauben. Freilich wird dem in unser mundartliches Sprachgebiet „Zugereisten“ schwerlich je die Kunst gelingen, das „halt“ am rechten Fleck, im gehörigen Tonfall und in den richtigen Wortbeziehungen einzusetzen, und insbesondere dem Norddeutschen wird alles Werben um dieses. Wort so wenig nützen, wie sein Bemühen, unser gefürch-tetes „Zwirnknäulerl“ glaubwürdig abzuwickeln. Denn die Regeln sind noch nicht geschrieben, nach denen dieses nur scheinbar so harmlose, in Wirklichkeit aber durchaus nicht einfältig, sondern im Gegenteil höchst vielfältig anwendbare Wort behandelt werden will, und 'sie werden auch schwerlich je geschrieben werden. Das kommt daher, daß das „halt“ selber überhaupt keinen Bedeutungswert besitzt, sondern bloß den Worten seiner Umgebung zu einem solchen verhilft, aber zu einem sehr abwechslungsreichen. Es färbt gewissermaßen ab, ohne selber Farbe zu haben. Es spielt in unserer Sprache eine ähnliche Rolle, wie in der Chemie das Ferment, ungefähr die Rolle eines Gärungsmittels, unter dessen Einwirkung sich das Wesen anderer Materien sachte wandelt, wobei jedoch der Sinn der durch das „halt“ hervorgerufenen Wandlung keineswegs eindeutig gegeben ist, sondern sich mannigfach ändert. Nur an der Hand von Bei-

spielen kann der Versuch unternommen werden, das einigermaßen deutlich zu machen.. Wessen Wiege von einer österreichischen Mutter geschaukelt wurde, der kann freilich jeder Erklärung entraten, sein angeborenes Sprachgefühl weist ihm untrüglich den Weg.

Vor etwa vier Jahrzehnten sang man in Wien mit Begeisterung einen sentimentalen Gassenhauer, dessen Text den Sänger zunächst allerlei erlittenes Ungemach schildern ließ und ihm dann den Refrain in den Mund legte: „Mi' hat halt mei' Muatta zum Unglück gebor'n, i hab' halt ka Glück auf der Welt.“ Was will hier das zweimalige „halt“ besagen? Mit welcher Bedeutung färbt es seine Wortumgebung? Nun, wir vernehmen in diesen beiden Zeilen den resignierten Seufzer: es wundert mich nicht, daß mir so viel Schlimmes passiert ist, das war doch vorauszusehen, denn ... Glexh-falls in einem Refrain, nämlich in dem d ungleich wertvolleren „Fiakerliedes“ heißt es bekanntlich: „Mein Stolz is, i bin halt ein echt's Weanakind ...“ Hier wird unter der Einwirkung des „halt“ das beglückende Heimatgefühl unterstrichen, mit dem der alte Wiener Fiaker alles, was er vorher von sich ausgesagt hat, als sel'bst-verstündPch und hiebst begre:flieh hinstellt. Es kann ja gar nicht anders sein, denn___

Daß in beiden angeführten Liedbeispieien das „halt“ erst im Refrain auftritt, ist beileibe kein Zufall, sondern entspricht der Natur dieses Wortes, die ihm nebst vielen anderen Funktionen gerne auch die einer zusammenfassenden Schlußfolgerung zuweist, eines Resumes, wie es eben der Refrain häufig vornimmt. An den Beginn eines Liedes, an die Spitze einer Rede oder auch nur einer noch so kleinen Unterhaltung kann das „halt“ übenhaupt nicht treten, dazu ist es zu bescheiden. Es ergreift niemals zuerst das Wort, eröffnet niemals eine Debatte, sondern meldet sich immer erst später, spinnt immer nur einen schon begonnenen Gedankenfaden weiter und führt ihn nicht selten zu Ende“. Auch erlaubt ihm seine Bescheidenheit niemals, von unserer Stimme eine spürbare Betonung zu fordern, ja es verrieselt oft nahezu klanglos, darum aber nicht wirkungslos in den Fugen zwischen den benachbarten Worten, ausgenommen einen einzigen Fall, in dem es sich mit Entschlossenheit, wenn schon nicht an die Spitze eines ganzen Satzes, so doch vor ein anderes Wort stellt und zumindest den gleichen Rang wie dieses beansprucht: „Halt ja!“ Hier verstärkt es die Bejahung aurf eine ganz besondere Art, vielleicht wirkungsvoller als das pathetische „wahrhaftig“. Und doch klingt die Zustimmung, die es damit einer vorangegangenen Meinungsäußerung spendet, immer noch irgendwie bescheiden und unaufdringlich, eine andere Ansicht durchaus nicht unhöflich oder gar herrisdi ausschließend.

Wie mannigfaltige und oft sehr feine Nuancen doch dieses winzige Wort seiner Umgebung zu verleihen vermag! Wenn der Bettler sein „Ich tat halt schön bitten“ vorbringt, klingt da nicht auch eine Bitte um Entschuldigung seiner Behelligung mit? Und wenn ihm dann die Frau ein dünnes Stück Brot reicht, will da nicht wiederum sie mit ihrem „Wir haben halt selber nicht viel“ bitten, die Geringfügigkeit des Almosens zu verzeihen? Beide Male ist es vornehmlich das „halt“, von dem dieser Sinn ausgeht. Welche liebenswürdige Ironie birgt die Ermahnung, mit der die Mutter zu den lärmenden Kindern ins Zimmer tritt: „Ich tat* halt noch lauter schreien.“ Wenn das Kind, zur Rede gestellt, warum es dies oder jenes getan oder unterlassen habe, antwortet: „So halt!“, dann kamt das

störrischen Trotz bedeuten, aber auch bloß harmloses Ausweichen vor einer schwierigen Aufklärung, die Eltern wissen das schon aus Tonfall und Miene zu erkennen. Auf jeden Fall mildert das „halt“ die Ungebührlichkeit der Antwort. Wer sich an eine schwierige Arbeit macht, deutet mit einem „Geh'n wir's halt an“ zwar keinen regelrechten Mißmut, aber immerhin so etwas wie einen kleinen, heimlichen Seufzer an, ein unausgesprochenes: „Es muß ja sein, dagegen ist eben nichts zu machen.“ Würde hier das „halt“ fehlen, so klänge der Entschluß gleich um etliche Grade freudiger. Klagt uns ein Freund, bei ihm daheim sei es unerträglich, kalt, so bieten wir ihm mit einem „Kommst halt zu uns“ Hilfe an, wobei das „halt“ tröstlich dazu beiträgt, seiner Befürchtung vorzubeugen, die Annahme unseres Vorschlages könne uns Ungelegenheiten bereiten. „Ich bin halt nur am Land in die Schul gegangen“, sagt einer und will damit etwa die Unbeholfenheit seines Briefschreibens entschuldigen. Das „halt“ ist hier aber vor allem ein stillschweigendes Eingeständnis der selbstempfundenen Mangelhaftigkeit. Hinwiederum klingt, wenn die Bäuerin die frühe Tüchtigkeit der heranwachsenden Kinder anerkennt: „Sie geraten halt ihrem Vater nach“, heimlicher Stolz auf Mann und Kinder mit, das „halt“ birgt die Beziehung und hebt den Satz über die bloße, nüchterne Feststellung hinaus. Wenn bei einem Handel der Kostenpunkt zur Sprache kommt und sich der Verkäufer mit den Worten „No, sagen wir halt...“ zu einem Vorschlag entschließt, so deutet er mit dem „halt“ seine Bereitwilligkeit zum Entgegenkommen an. Ist dem auqh nicht immer zu trauen, so ist nun doch schon eine gewisse friedfertige und verträgliche Stimmung hergestellt. Wie denn überhaupt unserem „halt“ fast immer etwas Gemütliches, Versöhnliches, Besänftigendes innewohnt, weshalb sich auch kaum je ein Mensdi im Zorn dieses Wortes bedient. Das „Sei halt wieder gut!“ des Beleidigers wirkt auf den grollenden Beleidigten sicher versöhnender, als wenn das „halt“ darin fehlen würde.

Wohlgemerkt: keine der hier versuchten Ausdeutungen — man könnte die Beispiele beliebig vermehren — vermag die Gefühlswerte restlos zu erfassen, mit denen das „halt“ die jeweilige Situation ausstattet. Hiezu wären viel umständlichere Erklärungen nötig, und vermutlich könnten nicht einmal sie bis ins Ziel vordringen, sondern es blieben da immer noch gewisse Schwingungen und Schattierungen offen, die ohne dieses winzige Zauberwort einfach nicht auszudrücken sind. Bisweilen mag es scheinen, als sei das „halt“ bloß dazu da, das Wortgefüge eines Satzes behutsam und unmerklich aufzulockern oder unserer Zunge flüssigere Übergänge zu schaffen, ähnlich wie das im Altgriechischen mit Hilfe des fast willkürlich überall in Rede und Schrift hineingestreuten „de“ geschieht. Aber das ist eine Täuschung. Horcht man nur schärfer hin, so bekommt man schon das heimliche Tönen zu hören, mit dem das „halt“ in jedem einzelnen Falle seine besondere Melodik erzeugt. Es begleitet die ganze Stufenleiter unserer Gefühle von der Trauer über die Wehmut über das Entsagen, über die Gleichgültigkeit bis hinauf in die Regionen des Humors, es hilft uns, Schlüsse zu ziehen und Einwände zu widerlegen, es gibt unserer Umgangssprache Knappheit und behütet sie vor einer Unmenge schleppender . Nebensätze. Darum verwenden wir es auch wohl hundertmal des Tages, freilich ganz ungewollt und unbewußt.

Und ein so köstliches, nachgerade unentbehrliches Wort hat sich — sollte man es für möglich halten? — die Schriftsprache entgleiten lassen! Wollen wir es nicht reuig zurückrufen? Dazu gehört nichts, als ein beherzter Entschluß und ein wenig Mut. Hin und wieder hat ihn schon ein Schriftsteller aufgebracht, so etwa Hermann Bahr, bei dem wir beispielsweise in einer hochliterarischen und in korrektestem Schriftdeutsch gehaltenen Abhandlung über die Gründe, die Grillparzer zu einem menschenscheuen, verbitterten Sonderling machten, lesen können, daran sei die Zensur Schuld gewesen, der Vormärz, „dieses ganze alte Österreich hal t“.

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