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Peter Anich der STERNSUCHER

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(Schlug)

Und als Blasius fort war, sangen sie, die Leni und er, das gar tröstliche Lied aus der „Trutznachtigall“. Sie wußten es bereits auswendig:

Der trübe Winter ist fürbey,

Die Kranich widerkehren: Nun reget sich der Vogelschrey,

Die Nester sich vermehren. Laub mit Gemach

Nun schleicht an tag / Die Blümlein sich nun melden. Wie Schlänglein krumb

Gehn lächelnd umb Die Bädilein kühl in Waiden. Die Briinnlein klar und quellenrein,

Viel hie / viel dort erscheinen / All silberweiße töditerlein

Der hohen Berg und Steinen. In großer meng

Sic mit gedreng Wie pfeil von Felsen zielen: Bald rauschens her

Nit ohn geplerr Und mit den steinlein spilen — —

Weit vor das Haus kam Peter aber auch an den folgenden Tagen nicht. Er wurde beim Gehen allzuleicht schwindlig. Auch wenn ihn Leni am Arme unterfing.

Mitte August kam nun die erste Nachricht vom Blasius. Der Schwager aus Brixen brachte sie. Der neue Feldmesser hatte bereits sieben Täler vermessen und ging nun weiter nach Judikarien in die Berge, bis zum Val di Bon und Roncon hinunter wollte er nodi vermessen. Es gehe alles vortrefflich, wenn er auch seinen Meister sehr vermisse, nur mit den Leuten habe er Sdiwierigkeiten. einmal sei er nur mit knapper Not den Knüppeln entronnen. Denn die Bauern fürchteten, daß man auf Grund der neuen Vermessung ihnen nunmehr ausgiebige Steuern aufhalsen werde. Audi ein Blättchen, aus eigener Hand ins reine gezeichnet, lag dabei. Peter glaubte, eine eigene Zeichnung zu sehen.

Am ersten September aber ging Peter zum erstenmal zur Messe. Es war ein milder, warmer Tag, windstill und herrlich inmitten der erhabenen Klarheit der Berge. „Gott schickt uns die Krankheit, daß wir uns dann nur um so mehr der schönen Dinge erfreuen“, sagte er, und wie ein Kind benannte er die Berge rundum und freute sich, daß sie noch alle dastanden, gewaltig und überaus schön.

Nadi der Messe gingen sie dann, die Leni und er, zum Kuraten und nadi dem Besuch ins Wirtshaus. Peter wünschte es, obgleich er es früher niemals so gehalten hatte. Die Männer und Burschen verstummten, als er eintrat. Ganz feierlich ward es in der niedrigen Stube. Dann drangen sie auf ihn ein und lobten und fragten und juchzten schier durcheinander, daß er sich kaum fassen konnte. Ja, jetzt sei er endlich einmal auf einige Zeit ganz daheim, sagte er, aber noch im September, da gehe er wieder fort, o was wüßten sie von den schönen Tälern und Bergen im Lande, aber sie brauchten

stich wenig zu wissen, denn am schönsten sei es doch in Oberperfuß, und nirgendwo

gebe es sdiönere Sterne.

Überhaupt redete er auf dem ganzen

Heimweg nur wieder von den Sternen. Er

sei ihnen untreu geworden, ja, und säe hätten ihn nun heimgeholt, aber wenn er einmal älter geworden und das große Werk der Karte zu Ende getan sei, dann gehöre er ihnen allein, ganz allein, dann würden die Leute erst Augen machen. Aber es sei nicht der Leute wegen, vielmehr seinetwegen, nur seinetwegen.

Der Schwester wurde ganz wirr, wie er das alles so sagte, und sie wies immer wieder auf die Birnen an den Häusern, auf den Flachs und wie herrlich der Türken stand in jenem Jahr.

Als sie heimkamen, saß die Vroni in der Küche bei der Mutter. Denn die Anich-bäuerin war längst wieder auf den Beinen, wenn sie auch das Haus nidit mehr verlassen konnte. . Sie habe von seiner Krankheit vernommen, sagte die Vroni, und deshalb doch wieder einmal nachgesehen, die ganzen Jahre her sei er doch wie verschollen gewesen. Und ob er denn wieder fortwolle?

„Meinst du, die Kaiserin hat mir die Medaille umsonst gespendet?“ er lachte, „morgen geh ich schon fort. Das war' doch so, als wenn man Weib und Kind in der Fremde wüßte und man kümmerte sich nicht mehr um sie.“

Als aber die Vroni dann wieder gegangen war. bat er Leni, mit ihm noch allein hinter das Haus und gegen den Wald zu gehen. Sie redeten wieder über die Sterne. Jetzt müßten sie die noch geschenkten Tage reichlich nutzen. Ein Feldmesser sei er ja nun wohl, ein ganz patenter, das glaube er nun bald selbst. Aber von den Sternen wisse er so wenig wie in seinem zehnten Jahr. Allen Sternkugeln und Messungen zum Trotz. Eine solche Kugel zeige den Himmel ja höchstens, wie der Herrgott ihn sehe, und recht eigentlich sei sie eine arge Vermessenheit, aber mit Zahlen festlegen ließen sich die Sterne noch weniger, auch wenn man tausend und abertausend ihrer Lage nach bestimme. Nodi habe auch keiner den Himmel bei Tag erblickt, und doch sei er da über ihnen, über dem blauen Firmament genau so groß und erhaben, wie in nächtlichen Stunden. Doch Gott sdienke das Taglicht, daß die Menschen nicht vor lauter Erhabenheit um den Verstand kämen. Ja. so sei es, und weise sei es so. Nur die Verstorbenen kennten nicht mehr Tag und Nacht, und wenn ihnen das irdische Licht auch entzogen sei. das himmlisdie Leuchten erfülle sie ganz. Dann redete er nur mehr vom Anichvater, und wie er mitten in der Predigt des Kuraten plötzlich wieder seine Stimme vernommen habe.

„Jetzt hast du dir nicht einmal rechtschaffen den Kirchturm, deinen Turm, an-gesehn“, sagte Leni dazwischen, denn ihr wurde jetzt völlig angst und bang.

„Ach Gott“, er lachte wieder, „dazu hat es audi Zeit, wenn ich einmal allein hinübergehe, die halbe Stunde kann ich morgen wieder dermadien und schon ohne deine Hilfe. Aber ich wollte ihn nach der Messe genau besehn, und das hab ich dann vergessen.“

Am Nachmittag, als sie dann mehr schweigend beisammensaßen, sagte Peter plötzlich, er werde doch in diesem Jahr nicht mehr nach Süden gehn, daheim sei es zu schön, und so viel Arbeit mit dem Tubus und einer neuen Sternkarte und allem.

Als aber dann die Leni füttern1 ging, die Abendsuppe stand schon auf dem Tisch, hörte sie draußen mter dem Flugdach

plötzlich einen schweren Fall. Sie ließ cfie Eimer fähren und stürzte hinaus. Peter lag der Länge nach auf den Steinen. Erst dachte sie, er sei gestürzt und blute. Als sie aber seinen Kopf aufrichtete, sah sie, daß er tot war.

Sie rief den Erhardt. Dann trugen sie ihn in seine Kammer.

Am dritten Tag begrub man ihn auf dem Friedhof neben dem neuen Turm und neben

seinem Vater. Es waren viele Herren aas Innsbruck bei der Leiche, der Professor und viele seiner Kollegen und wohl ein Dutzend Herren vom Gubernium. Grafen und andere Edelleute, aber auch die Bauern aus allen Dörfern rundum, bis nach Telfs hinaus und nach Kühtai hinein und nach Seefeld hinauf. Das verwunderte die Seinen am meisten.

Drei Monate später aber wurde sein Leidmam wieder aus dem Grabe genommen und auf des Herrn von Weinhart Betreiben in der Kirdic beigesetzt, und der Gedenkstein an der Evangelienseite kündet heute noch mit einer lateinisdien Inschrift von dem Toten, der unter ihm ruht. Ins Deutsche übertragen lautet sie:

Hier ruhet t Peter Anich aus Oberperfuß / ein Wunder seiner Zeit, seines Standes und Volkes / Bauer zuglcidi und Drechsler, Kos-mograph, Astronom, Geograph, Geometer, Kupferstecher, Mechaniker usw. in allem vorzüglich. / Welche Kunstfertigkeiten er nicht sosehr von anderen als aus sich selbst gelernt / und durdi hervorragende Kunstarbeiten gezeigt hat. Hoch verdient ums Vaterland / welches er im Auftrage und mit Unterstützung der Kaiserin beinahe ganz vermaß / zeichnete und beschrieb, i Ein Mann groß in vielen Tugenden, / am größten aber durch seine Besdieidcnheit. / Wohltäter dieses Gotteshauses. / Starb ledig / am 1. September d. J. 1766 im 43. Jahre und 7. Monate seines Alters. Die hohe o. ö. Regierung hat zu seinem Gedächtnis dies Denkmal setzen lassen. ,

In deutschen Versen aber steht darunter:

Das Wunder dieser Zeit, der Schatz so vieler Gaben,

Die Zier des Bauernstands ist leider hier

begraben.

Gedenk an seine Müh, von ihm vermeßnes Land!

Der Himmel war sein Werk, er lohne seine Hand.

Ende

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