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Peter Anich, der STERNSUCHER

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99. Fortsetzung

Auch Herr von Trapp stimmte diesem Plane bei, ja er war überzeugt, daß die Kaiserin, wenn sie erst den Widersinn des in ihrem Namen ergangenen Auftrages erführe, sogleich den Stich der alten Karte anordnen und den- bewährten Feldmesser Peter Anich beloben und belohnen werde. Sie schrieben auch über das Gubernium an die kaiserlidie Kanzlei, daß man von einer Vorlage des Kartenwerkes bis zur Klärung einiger Unstimmigke:ten leider abstehen müsse, dennoch aber den Feldmesser der Kaiserin vorstellen werde. Von der alten Karte schrieben sie nichts. Es kam keine Antwort auf diesen Brief. Und sie nahmen dies als ein gutes Anzeichen.

Am Dienstag nadi Pfingsten fuhren Peter und Blasius mit dem Postwagen über den Brenner. Sie fuhren ohne Aufenthalt bis Klausen, denn sie hofften dort die beiden Gehilfen wieder aufzunehmen. Der Jurist war indes nach Brixen verzogen, der Frater aber an einem Fußleiden erkrankt. Dafür trafen sie den alten Kaiserlichen Rat in Bozen noch im Amte. Er nahm sie wiederum überaus freundlich auf, ließ sich das Schicksal der Karten berichten und bewirtete die beiden aufs beste. Auch schaffte er sogleich zwei tüchtige Burschen herbei. Nur riet er Peter, zuerst in das Gebirge zu gehn und erst im Herbst das Etschtal zu vermessen. Die an die reine Bergluft gewöhnten Nordtiroler ertrügen die Ausdünstungen der Talsümpfe in den Sommermonaten schledit und würden häufig von einem bösen Gallenfieber, der Landsquche, wie man diese Krankheit auch nach dem sogenannten Lande, dem Etschtale, nenne, befallen.

Sie gingen deshalb auch in die nördlichen Berge, aber doch nicht allzuweit hinauf, denn so wohl sich Peter jetzt auch im Mittelgebirge fühlte, in den höheren Lagen stellte sich sogleich wieder seine alte Atemnot ein. Sie verschwand auch freilich ebenso rasch in den Höhen unter 2000 Fuß. Blasius arbeitete ausgezeichnet, und Peter konnte bald auch an Tagen, da er sidi nicht ganz wohl fühlte, ruhig rasten. Er lag dann viel im Freien und blickte über die Hügel hin gegen die Rosengartengruppe und den Schiern und die fernen Kalkzinken und Türme, die da gespenstisch und doch verlockend aus den Wäldern und Almen aufwuchsen wie daheim die Kalk-kögele und noch unendlich herrlicher. Und an solchen Tagen war er auch wiederum mit sich zufrieden.

Anfang Juli jedoch, und da es seit Wochen nicht mehr geregnet hatte und immerhin zum Abschluß eines wohlgelungenen Kartenblattes ein Stück des Talgrundes fehlte, stiegen sie wiederum nach Bozen nieder und wanderten mit ihrem Gerät in den weiten Talgrund hinaus. Sie trafen auch, wie die Gehilfen vorausgesagt hatten, ziemlich trockene Wiesen an und kamen rasch voran. Nur als sie dann noch eine lange Linie zwischen Bozen und Leifers mit der Schnur zu vermessen hatten, gerieten sie in einen nicht gefährlichen, aber immerhin weitausgedehnten Sumpf. Sie hatten, da keine andere Arbeit für jenen Tag zu verrichten war, die Gehilfen beurlaubt und standen nun schon tief im Vormittag und, als sie bereits die Hälfte der Basislinie vermessen hatten, vor dem Hindernis. Überdies waren sie zeitig am Morgen aufgebrochen und schon für den späten Vormittag in ihrem Quartier angesagt.

Auch waren sie ohne Frühstück. Da sie aber den Umfang des Sumpfes nicht abschätzen konnten und überdies der Tag sehr heiß war, wateten sie ohne Bedenken in den Sumpf hinein und arbeiteten sich, so rasch dies eben ging, hindurch. Sie kamen aber erst gegen die Jausenzeit in ihr Quartier zurück. Von besonderen Dünsten oder gar etwelchen Gefahren hatten sie nichts gemerkt.! Nur sehr müde waren sie. Doch dies verwunderte sie weiter nicht.

Am gleichen Abend jedoch lag Blasius bereits im Fieber, starke Schmerzet “n der Seite stellten sich ein. und er brach unter schweren Krämpfen Galle. Peter wachte die ganze Nacht an seinem Lager. Als die Sonne aufging, lag auch er besinnungslos im Bett.

Als er dann wieder zu sich kam und die Burschen sich einstellten- schickte er sie nach Bozen zum Kaiserlichen Rai um Hilfe. Sie kamen auch mit einem Arzt zurück, der die

Krankheit der beiden sogleich als ein böses Landfieber erkannte und meinte, sie müßten sogleich ins Gebirg, wenn sie den nächsten Tag überhaupt noch erleben wollten. Im übrigen schalt er sie rechte Narren, die eben einen väterlichen Rat nicht zu schätzen wüßten.

Der Bauer, bei dem sie lagen, führte sie denn auch' am gleichen Tag zu einem Schwager, der oben zwischen Wäldern und Wiesen saß. Sie fühlten sich sogleich ein wenig leichter, doch das- Fieber hielt an, und wenn Peter sidi nun in schweren Vorwürfen erging, daß er den Blasius um seine Gesundheit gebracht habe, so dachte und redete Blasius nur von Innsbruck, und wie jetzt der kaiserliche Wagenzug wohl bereits über Innichen heraufkomme und daß Peter durch seine Schuld, durch seine, des Blasius, allein nun nicht rechtzeitig in Innsbruck eintreffen werde. Denn der Blasius war, und dies hatte auch der Arzt bestätigt, weit ernster erkrankt als Peter selbst.

Als am achten Tag sich der Hueberische einigermaßen erfangen hatte, drängte er sogleich heimzu. Er hieß den Bauern auch ein Gefährt besorgen, und Peter stimmte schließlich zu. In Bozen erreichten sie noch den Postwagen, doch er nahm sie nur bis Klausen mit, von welchem Orte ab die Plätte bereits vergeben waren. Sie sahen aber auch, als sie in jene Gegend kamen, daß der Hof noch erwartet wurde. Alle Häuser waren frisch getüncht und. mit Blumen und Reisig geschmückt, festlich gekleidete Leute standen auf den Gassen umher, auch Bauern, die aus den Tälern herbeigeeilt waren, und stellenweise fuhren sie durch e;n so didites Spalier von Kindern und fröhlichen Men'dien, daß sie sich selbst wie gar gewichtige Leute vorkamen. Sie scherzten viel darüber und waren guter Dinge.

Ein Weinfuhrmann nahm sie nach Brixen mit. Doch in der folgenden Na ht wurde Blasius wieder schlechter. Seine Füße schwollen an. und er erbrach wieder, obglejii sie doch seit Tagen kaum einen rechten Bissen zu sidi genommen hatten.

Die Schwester — sie glich jetzt ganz dem Anichvater — hatte kein freies Bett. Der Schwager war daheim, auch der älteste Sohn, und überdies hatte sich ein Bekannter des Schwagers für die Festtage angemeldet, denn alles Quartier war in jenen Tagen mit Neugierigen überfüllt. Der freundliche Schwager verschiffte ihnen jedoch bei einem befreundeten Wirr in der Sts-dt ein Zimmerchen gegen gutes Geld, und kaum lagen sie zu Bette, da zeigte ihnen auch schon der Jubel in den Gassen die Ankunft des kaiserlichen Zuges an. Blasius lag wieder im Fieber, Peter konnte sich leichter ans Fenster schleppen, und er sah die hundert Hofwagen vorbeirollen, auch die Kaiserin bemerkte er für einen Augenblick, da sie sich aus der Kutsche neigte und Kindern winkte.

„Auf was hab ich nicht in meinem Leben schon verzichten müssen“, sagte er dann zu Blasius. ,.aber schön war es gewesen, und auch der Pater hätte mich lieber bei sich gehabt, wenn er dann vor die Kaiserin hintritt.“

Mit einem venezianischen Fuhrmann fuhren sie dann, zwischen Seidenbaücn und Weinflaschen eingezwängt, die Brennerstraße hinan. Drei Tage mit starkem Fieber.

Das letzte Wegstück kamen sie schwer voran, denn die Straße war überfüllt von festlich gekleideten Bauern, die aus der Stadt kamen, von Schützen mit ihren Offizieren und Kindern. Es verwunderte sie, daß ihnen bereits so viele Leute aus der Stadt her begegneten, und knapp vor Innsbruck in einer Schenke erfuhren sie dann, daß der Kaiser Franz am Tag zuvor von einem Schlagflusse betroffen und auch sogleich gestorben war. Als sie endlich die Stadt erreichten, fanden sie auch überall nur schwarze Fahnen und eine Trauer auf den Gesichtern, die ihnen schier schwerer vorkam als ihre eigene Bestürzung.

Pater Weinhart erschrak aber noch mehr über den Zustand seiner beiden Freunde. Sie sollten nur ruhig heimkehren, sagte er, an einen Empfang sei nicht mehr zu denken, immerhin habe Peter sehr gefehlt und auch in seiner Abwesenheit Ehre über Ehre eingeheimst. Das Armarium nhvs'kum sei -vorn Morgen bis zum Abend schwarz von Leuten gewesen. Erzherzog Leopold,

der junge Bräutigam, Karl von Lothringen und endlich der verewigte Kaiser selbst hätten sich eingestellt, und alle nur wegen der Himmelskugel und Erdkugel und der Anichschen Instrumente. Nichts anderes hätten die Herren zu sehen verlangt als nur diese Weltwunder und den Bauern dazu. Es sei nur ein Glück gewesen, daß er wenigstens das Bild habe vorzeigen können. Mit dem Kaiser habe er dann audi über die Karten gesprochen und ihm in kurzen Worten das Mißgeschick auseinandergesetzt. Doch der selige Herr habe sich sehr lange und immer noch genauer erkundigt, dann die alten und die neuen Blätter vorlegen lassen, auch die Spergessdie Karte und schließlich sehr erbost ausgerufen, er werde alles 'zum besten ordnen und das schreiende Unrecht dreifältig vergelten. Und dies einen Tag vor seinem Tode!

„Was will dagegen meine geringe Krankheit bedeuten“, sagte Peter. Dann fuhren sie heim.

Blasius erfing sich daheim rasch, und im Oktober konnte er wieder auf den Acker gehn. Peter hingegen lag jetzt mit geschwollenen Beinen darnieder und oft in schrecklicher Atemnot.

Zuweilen las er in der ..Trutznachtigall“. Auch hatte er sich schon früher vom Professor ein Buch geliehn, das in knappen Sätzen die Geschichte der Welt enthielt, aller Erdteile und aller Völker; schließlich aber zog er jenes Büchlein vor, das von den Linsen und ihrer Anwendung handelte und ausführlich, darstellte, wie man sich selber ohne Zuhilfenahme eines geübten Mechanikers oder Glasschleifers ein richtiges Fernrohr bauen könnte. Am heitersten aber gab er sich, wenn dann in den Abendstunden wiederum der Blasius an seinem Lager saß und er ihn all das, was sie bereits auf dem Felde erprobt hatten, nun auch aus den Büchern lehrte und viel mehr dazu. Selbst bis zu den vornehmsten Sätzen der sphärischen Trigonometrie kamen sie in jenem Winter. Auf sein Zureden ging der Blasius später auch jeden Samstag nach Innsbruck und berid-.tete dann dem Freunde getreulich, was er mit dem Professor gearbeitet hatte, und was sich sonst Erfreuliches berichten ließ.

Einmal in der Woche kam auch der alte Kurat ins Haus und brachte jedesmal tröstlichen Zuspruch. Als aber zu Anfang Dezember die Mutter wieder schwer erkrankte, kam er fast täglich.

Im Frühjahr heiratete der Erhardt zum •zweitenmal, eine Wittib aus Ranggen. „Jetzt hätt er schon noch ein paar Monate zuwarten können“, sagte Peter, „bis die Leni keine Arbeit mehr mit mir hat.“ An den erschrockenen Augen der Sdiwester merkte er. daß sie ihn nur zu gut verstanden hatte. Und er vermied künftig alle ähnlichen Andeutungen. In jenen Tagen war die Mutter kaum mehr bei Sinnen.

Eines Tages redete nun Blasius dunkel von einer großen Geschichte, die er jedoch nicht verraten dürfe, und endlich rückte er doch heraus: Er sei nun zum Feldmesser ernannt, während der Krankheit des Peter selbstredend, und müsse im Frühjahr wieder nach dem Süden.

Das sei freilich eine ganz große und ganz freuliche Geschichte, sagte Peter, erfreuliche Geschichte, sagte Peter.

Aber eine noch größere und noch erfreulichere stehe bevor und sie betreffe Peter allein. Mehr verriet der Blasius nicht.

Am nächsten Vormittag jedoch, schon gegen Mittag, -stand plötzlich Herr von Weinhart in der Stube. Wenig später klopfte noch ein zweiter Herr. Es war aber kein anderer als der Graf Trapp, des Gubernators erster Sekretarius und Berater. Leni rannte im ganzen Hause umher, sie wußte sidi vor Freude nicht zu fassen.

Sie müßten doch einmal nadisehn, ob der Kranke nicht bald wieder auf den Beinen sei, sagte der P-fe?sor, er habe ohnedies seinen versprodienen Besuch schon allzulange hinausgeschoben. Dann betrachteten die beiden Herren die Bücher, die kunstvolle Uhr, die kleinen Ührlein, die Drehbank und alle Instrumente. Zwischendurch aber sagte Herr von Weinhart, sie hätten noch einen dritten Herrn mitgebracht, aber der sei jetzt bei der Anichmutter oben, den Medikus, den Herrn von Bruneck, den

aken guten Bekannten, mir wegen der

Mutter hätten sie ihn eingeladen.

Da brachte Peter kaum ein Wort des Dankes heraus.-Er wischte sich bloß zweimal über die- Augen. Indes kam auch der Medikus von oben her in die Stube. Die Mutter sei eben alt und vom Schlage derer, die mit ihren Krankheiten uralt würden. Eine augenblickliche Gefahr bestehe nicht, aber gesund werde sie wohl auch nicht1 mehr. Doch da er nun einmal da sei, wolle er doch auch gleich den weniger kranken Freund besuchen. Er befühlte dann die geschwollenen Beine, meinte, da sei nur ein wenig Wasser darin, doch das werde man mit einer guten Medizin leicht los. dann sei alles wieder beim alten. Überdies habe Herr von Weinhart eine noch bessere Medizin in der Tasche.

„Wir werden die alte Karte, die Anich-karte, nun stechen lassen und auch die Südtiroler Karte nach dem gleichen großen Maßstab anfertigen. Wien hat zugestimmt, im Auftrag der Kaiserin.“

..Eine größere Freude kann ich auch nicht mehr erleben“, sagte Peter und richtete sidi wieder in den Kissen auf.

„Es gibt aber eine noch größere“, sagte der Professor, und der Graf zog ein Schächtelchen aus der Tasche und stellte es auf die Tuchent. Als Peter es aber aulklappte, lag eine riesige silberne Medaille mit dem Bildnis der Kaiserin darin.

„Und daß man nicht rede, die Regierung kaufe sich mit einem Silberstück von allen Pflichten los“, setzte Herr von Weinhart rasch hinzu, „so hast du hier die Urkunde über eine lebenslange Pension von 200 Gulden für das Jahr. Wenn es auch nicht allzuviel ist. wer wollte einen Peter bezahlen! Das Vielfache verdient sich unser Jüngling ja doch hinzu mit seinen dreiundvierzig Jahren.“

Aber Peter betrachtete noch immer die Medaille. Ob sie von der Kaiserin selber gekommen sei. fragte er, und wer sie überbracht habe, das sei doch alles zuviel, für einen Bauern sei das Zuviel, wo doch die Karte allein genügt hätte! Dann aber fragte er plötzlich: ..Ist auch wegen der Leni eine Urkunde gekommen?“

Diese stehe in Aussicht, beeilte Mch der Professor, aber sie sei jetzt auch nicht nötig, wo die Leni ihren Bruder habe und nodi viele Jahre haben v/erde.

Peter nickte, dann dadite er lange nach, zwischen den Reden der anderen dachte er herum und endlich sagte er ernst: „Ein Bauer läßt sich nicht leicht überlisten. Das Sterben ist ja doch nichts Seltsames auf der Welt, das am wenigsten Seltsame denke ich, so wie die Luft oder das Wasser oder die Stern. Deshalb hab ich um die Leni gefragt, nur deshalb.“

Da wandte sich der Professor ab und trat rasch ans Fenster.

Am nämlichen Abend brachte der Kurat ihm und der Muner das Sakrament. Peter fühlte sich so leicht und frisch, als könne er fliegen, und als Blasius nun zum Abschied kam, wäre der Kranke gleich am liebsten mitgelaufen. Er möge ihn doch immer wissen lassen, wo er arbeite, trug er 'hn auf, oder -wenigstens in Bozen die Post hinterlegen. Er komme sicherlidi nach, werm nicht im Sommer, doch im Herbst. Sollten die anderen nur denken, was sie mochten, im Sterben gerate er bestimmt nicht dem Vater nach, sondern der Mutter.

(Schluß folgt)

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