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Das Gotteshaus als Menschenwohnung

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Wenn der Mensch mit archälogogi-schem Spaten in seiner Vergangenheit wühlt, dann stößt er selbst dort, wo alle anderen Zeugnisse einstigen Lebens zu Staub zerbröselt sind, unweigerlich doch auf die noch kenntlichen Reste eines Gotteshauses. Und oftmals sind's nicht die Reste von einem einzigen, sondern von mehreren Tempeln und Kirchen, deren Fundamente da ineinander geschachtelt sind und übereinander ruhen, also Zeugnis gebend davon, wie einst die jeweils neue Religion in der älteren sich buchstäblich eingenistet hat und aus ihr herausgewachsen ist, bis sie selber zum Nährboden neuen geistlichen Aufbruchs wurde. In dem, was als Dokumentation des Sieges gemeint war, manifestiert sich die Kontinuität.

Und macht es denn wirklich so viel Unterschied, ob einer dem Pan ein Lämmchen opfert oder der Mariazel-ler-Mutter eine Kerze weiht? Denn nicht der Inhalt, sondern die Inbrunst des Glaubens verbindet den Menschen mit der Gottheit.

Wenn dennoch die Kirchen mehr als andere Bauwerke - von der Villa bis zur Fabrik, vom Bauernhof bis zum Kaufhaus - sich von einander unterscheiden, dann einfach deshalb, weil in ihrer baulichen Gestalt die geheime Sehnsucht des Menschen sich konkretisiert gemäß dem Bild, das er, der Mensch, sich jeweils von sich selber macht. Es ist, im tiefsten Grunde, das Bild, von dem er unbewußt annimmt, daß Gott es sich von ihm, dem Menschen, mache - nicht umgekehrt, wie Spinoza rational spekulierte: „Wenn die Dreiecke denken könnten, würden sie sich Gott gleichseitiges als Dreieck vorstellen.“ In der Pagode, in der Moschee, im Tempel, in der Kathedrale wird eine jeweils spezifische Form der Beziehung von Mensch zu Gott sowohl ausgedrückt als auch gleichsam gelehrt; und innerhalb jeder einzelnen Kult-Tradition verändert das Gotteshaus sich mit dem elementaren Bewußtsein von Leben und Tod und also von Gott. Wie unterschiedlich sind doch sowohl die Ängste als auch die Hoffnungen, die einmal in einer romanischen Basilika und dann in einer barocken Kapelle sich kundtun. Und wäre nicht etwa denkbar, daß eine ganz bestimmte Not einen Menschen nicht in die näheste, sondern in eine ganz bestimmte Kirche lenkt? Und daß jede Kirche ihn ganz

spezifisch getröstet entläßt? Daß also die Vielfalt von Kirchen innerhalb eines Glaubenskreises bei aller Gleichheit von Dogma, Gebot und Ritual dem Menschen doch vielerlei Wege, den jeweils eigenen, zu Gott eröffnet?

Und das Gotteshaus selbst verändert wiederum das Bewußtsein der in ihm Betenden: engt es ein auf die eigene Sündhaftigkeit, weitet es aus zum unendlichen Ja zur Schöpfung. So daß ernsthaft zu fragen wäre, ob die Reformen in einer Glaubensgemeinschaft wie gerade der christlichen wirklich, wie in den Geschichtsbüchern steht, auf diesem und jenem Konzil, durch diese und jene Enzyklika initiiert worden, oder ob sie, diese Reformen, nicht eigentlich auf dem Reißbrett der Architekten und in den Bauhütten der Maurer entstanden sind; und ob also nicht die Reform der Kirche mit der Reform ihrer Kirchen beginnen müßte.

Auf die von Johannes XXIII. geprägte Epoche des Katholizismus angewendet, würde dies für die Kirchen zumindest zweierlei Abkehr bedeuten: die Abkehr von falscher Feierlichkeit, und die Abkehr von falscher Askese (welche einander ja wechselseitig bedingen). In einem vielleicht gar nicht immer heiligen Eifer hat man nun zwar die Feierlichkeit zu eliminieren begonnen - Barock gilt als nachgerade schon unfein! -, doch ist man dabei in das andere, das puritanische Extrem gefallen: in die Askese des nackten Betons, die jene auch der düstersten Gotik als geradezu ketzerische Sinneslust erscheinen läßt. Wenn, angenommen, ein paar Jahrtausende nach der nächsten Sintflut die Archäologen wieder den Spaten ansetzen und dann nicht zufällig eine verrostete Atombombe oder einen erblindeten Farbfernsehapparat, sondern eine moderne Kirche freilegen, dann werden sie daraus folgern, daß die katholische Christenheit um das Jahr 2000, vielleicht von einem Super-Savona-rola fanatisiert, in einer Verfassung tiefster Tristesse, in einem Zustand fundamentaler Entferntheit von Welt und Leben sich befunden haben müsse. Und sie, diese späteren Archäologen, werden, streng wissenschaftlich, die Frage aufwerfen, warum man gerade damals nicht Kirchen der Freude gebaut hat.

Ja, also: warum denn eigentlich nicht?

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