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Digital In Arbeit

„Jetzt sehe auch ich fern!“

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Es wird übers Fernsehen viel gesehimpft. Es verderbe die Augen, sagen die einen; die Jugend, sagen die andern. Hausfrauen klagen über die Kürzung ihres Wirtschaftsgeldes zugunsten der Raten für den Apparat, und die Zeitungen klagen darüber, daß ihnen das Inseratengeschäft verloren geht, während den Kinobesitzern die Leinwand zum Hungertuch wird, an dem sie vernehmbar nagen. Kulturbewußte Menschen mokieren sich über das Programm: zu viel Fußball, zu viel Löwinger, zu viel Quiz, zu viel Politik, zu viel Show, zu viel Mord und Totschlag, zu viel Reklame, und viel zu wenig Erbauung und Bekehrung. Ich will mich nicht unbeliebt machen und etwa behaupten, daß diese Vorwürfe ganz zu unrecht laut würden; ich glaube nur, daß all diese negativen Aspekte nicht ins Gewicht fallen gegen den einen positiven Aspekt, von dem ich im folgenden kurz handeln will, weit er im einschlägigen Schrifttum bis heute völlig unberücksichtigt geblieben ist.

Ganz feine Leute — und ihrer eigenen Meinung nach sind fast alle Leute ganz feine Leute —, ganz feine Leute also lehnen es strikte ab, sich immer nur bei andern ganz feinen Leuten anzufressen und anzusaufen; sie machen das manchmal auch bei sich daheim. Und um den andern ganz feinen Leuten zu zeigen, was für ganz feine Leute sie selber doch sind, laden sie ein paar andre ganz feine Leute dazu ein, sich gemeinsam mit ihnen anzufressen und anzusaufen; und das ist dann eine

Party. Die ganz feinen Leute können sich untereinander zwar nicht riechen, aber sie glauben, miteinander reden zu müssen, und deshalö reden sie dann über die Operhkrise, über eine Schlankheitsdiät, über die Bücher von Robert Jungk, über die Idee zu einem Faschingskostüm, über die Hotels auf Mallorca und sonst noch so Sachen, für die nicht einmal sie selber sich interessieren. Und wer grad nicht redet, der muß so tun, als höre er aufmerksam zu. Eine solche Energievergeudung — sei's durch Reden, sei's durch Zuhören — können sich aber selbst von den ganz feinen Leuten nur wenige leisten, denn die meisten der ganz feinen Leute sind am nächsten Morgen keine ganz feinen Leute mehr, sondern nur noch Bankdirektoren oder Fernlastfahrer oder Kohlenhändler oder Mechaniker oder Lehrer, mit einem Berg von Arbeit vor sich, den zu bewältigen sie nur hoffen dürfen, wenn sie geistig und körperlich fit sind. Gerade das aber sinS sie nicht, da sie den Tag zuvor nicht nur acht oder neun Stunden gearbeitet, sondern auch drei oder vier Stunden lang geredet und zugehört haben. Der Schaden, den die gesamte Volkswirtschaft und letzten Ende auch jeder einzelne dadurch erleidet, ist beträchtlich.

Hier aber kann der rechte Gebrauch des Fernsehens einen entscheidenden Wandel schaffen und hat das vereinzelt auch schon getan. Immer häufiger trifft man auf ganz feine Leute, die jetzt schon um sechs Uhr auf ihren Arbeitsplatz

eilen, bis zur Mittagspause schon mehr erledigt haben als früher be* Feierabend, und die überall, wo sie auftauchen, schon als Sieger dastehn im Konkurrenzkampf. Ich war beschämt, wenn ich solchen (noch dazu strahlenden) Heroen beruflicher Pflichterfüllung begegnet bin; beschämt und — ich kann's nicht leugnen — auch neidisch, denn von Natur aus bin ich so faul wie zehn Neger zusammen, während mein Status als Mitteleuropäer mich dazu zwingt, einen Haufen Geld zu verdienen; Geld aber verdient man, als Mann, nicht im Bett, und schon gar nicht im Bett um zehn Uhr vormittags. Ich hab's mit Traubenzucker versucht und mit kalten Duschen, mit autogenem Training und mit dem kategorischen Imperativ: es war alles für die Katz', und erst das Fernsehen — aber ich muß der Reihe nach erzählen!

Ich war, da ich natürlich auch zu den ganz feinen Leuten gehöre, von andern ganz feinen Leuten dazu eingeladen worden, mich mit ihnen anzufressen und anzusaufen. Ich kriegte, zu meinem Leidwesen, aber nur einen winzigen Kognak, dann wurde auch schon das Licht ab- und der Fernsehapparat eingeschaltet; ich hatte grad noch die Zeit gehabt, einen der anderen Gäste, der mir als ein Heros beruflicher Pflichterfüllung seit längerem schon bekannt war, kurz zu begrüßen; und just neben ihm kam ich an diesem Abend zu sitzen.

Es begann mit der Wetterkarte. Ich flüsterte meinem Nachbarn zu“: „Na, endlich wird es schön!“ Er nickte nur. Dann sah man den deutschen Bundeskanzler und einen Sta-

pellauf und ein paar vietnamesische Buddhisten und ein ausgebranntes Warenhaus und einen hundertneunzehnjährigen Bulgaren und dann eine Rotte prügelnder Polizisten, und unwillkürlich sagte ich: „Schrecklich!“ und schaute verstohlen zu meinem Nachbarn hinüber, der wieder nur nickte. Dann kam ein Stummfilm mit Buster Keaton, es war sehr zum Lachen, und nur mein Nachbar lachte nicht, und er nickte auch nicht mehr, denn inzwischen war er eingenickt. Mir aber fiel's wie Schuppen von den krampfhaft offen gehaltenen Augen...

Jetzt hab' auch ich einen Fernsehapparat. Und wenn ich um elf herum, wenn's in dem Kasten still und im Zimmer wieder hell wird, erwache, dann bin ich, um mit Morgenstern zu reden, „frisch wie ein junger Rüde“, denn der Schlaf vor Mitternacht ist bekanntlich der gesündeste. Und ich betrauere all die mit Opernkrise und Robert Jungk und Mallorca vertanen Stunden, und bedaure all die ganz feinen Leute, die sich weiterhin allabendlich mit Schlankheitsdiät und Faschingskostümen herumschlagen, anstatt sich durch die einmalige Anschaffung eines Fernsehapparates die ewige Nachtruhe zu erkaufen: sei's aus purem Egiosmus, sei's in dem stolzen Bewußtsein nationalökonomischer Pflichterfüllung, was ja aufs gleiche hinausläuft. Schlafen und schlafen lassen: das Fernsehen ermöglicht uns beides in einem, und wir sollten ihm's danken.

Die Frauen, übrigens, haben den von mir hier wissenschaftlich dargestellten Sachverhalt schon lange vor uns Männern instinktiv erfaßt: sie nennen den Pyjama, in den sie abends schlüpfen, nicht mehr Schlafanzug, sondern Fernsehanzug.

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