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Ein Prügelknabe der Geschichtsschreibung ?

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Heerführer werden mindestens des Krieges und politisierenden jahrzehntelang nicht nach ihren Phantasten. Man wird zwar dem Leistungen beurteilt, sondern einzig Autor unmöglich folgen können,

danach, ob sie den Krieg gewonnen oder verloren haben: Foch oder Mon'tgomery stehen auf dem Denkmalsockel, Conrad oder Manstein tragen mit an irgendeiner „Kriegsschuld“.

Geradezu als ein Synonym für die deutsche Niederlage von 1918 fungiert der General Erich Ludendorff. Dem verläßlichen Urteil Liddell Harts zufolge, hat er tatsächlich in der zweiten Kriegshälfte „nacht mehr die klare Zielstrebigkeit“ besessen wie zuvor im Osten; aber selbst Wallach, dieser entschiedene Kritiker der Schlleffen-Schule, läßt dem deutschen General mehr Gerechtigkeit widerfahren, als manche Deutsche das tun. Conrad, politisch ein Gegner Ludendorffs, hielt ihn und Tirpitz für die „genialsten“ der deutschen Militärs, wie auch Arz die „Genialität“ Ludendorffs konstatiert; und noch Manstein spricht von ihm als einem wirklich „bedeutenden militärischen Führer“.

Wenn nicht Moltke, Falkenhayn oder Hindenburg die schlechte Nachrede haben, sondern Ludendorff, dann aus Gründen, die Wöhr erst in den* späteren Aktivitäten des Letztgenannten zu suchen sind: allgemein in seinem politischen Engagement für Hitler, und speziell in seinen kriegstheoretischen Schriften. Diese enthalten zwar manch Richtiges im Detail, auch bringen sie mancherlei Zukunftweisendes, doch beantworten sie die entscheidende Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Krieg und der Politik ganz im Sinne eines militaristischen Totalitarismus; nicht zufällig finden sich etliche seiner Gedankengänge, kaum variert, im militärpolitischen Schrifttum der DDR.

Das Ludendorff-Bild zurechtzurücken unternimmt nun Hans Frentz, einer der letzten Überlebenden aus dem Stab von Hindenburg und Ludendorff im Osten („Ober-Ost“). Sein Buch „Der unbekannte Ludendorff“ handelt bewußt nur von dem Feldherm in seiner konkreten kriegerischen Tätigkeit, nicht aber auch von dem späteren Theoretiker wenn er behauptet, Ludendorff habe bei Tannenberg „die größte Schlacht der Weltgeschichte“ geschlagen; doch was er vom dienstlichen Alltag im Stabe Ober-Ost überliefert, das fügt dem bekannten Bild eine Reihe zum mindesten interessanter, ja überraschender Facetten hinzu.

Wahrhaft verblüffend wirkt die Mitteilung, daß Ludendorff in dem Befehlsbereich seines Stabes das kulturelle Leben gefördert hat, und zwar keineswegs in dem Sinne von Deutschtümelei; und daß er sogar eine beträchtliche Anzahl von Künstlern in diesem Stab gleichsam beherbergt hat: so Richard Dehmel, Herbert Eulenberg, Arnold Zweig, Karl Schmidt-Rottluff u. a. Sie brauchten nicht im Dreck zu liegen, sondern konnten in der „Künstlerecke von Kowno“ schreiben und malen, sie konnten Frontzeitungen redigieren und Feldbüchereien verwalten. Ludendorff pflog Umgang auch mit Künstlern jüdischer Herkunft, die zahlreichen Ostjuden im Befehlsbereich waren kulturell und versargungsmäßig nicht schlechter gestellt als dve Angehörigen anderer Volksgruppen —. auch von seinem späteren Antisemitismus war damals noch nichts zu merken.

In dem Sammelwerk „Makers of Modern Strategy“ von 1952 heißt es über Ludendorff: Sein „Beitrag zur Entwicklung der Militärtheorie ist der eines Generals, der einen Krieg verloren hatte“. Dieser wohl wahre Satz darf dahin erweitert werden, daß der ganze spätere Ludendorff ein Produkt der deutschen Niederlage war. So macht diese Apologie von Hans Frentz an dieser einen Figur die Tragik des ganzen deutschen Volkes offenbar: jene Tragik, aus der heraus es sich dann dem falschen Erlöser angeschlossen, ja unterworfen 'hat.

DER UNBEKANNTE LUDEN-DORFF. Der Feldherr in seiner Umwelt und Epoche. Von Hans Frentz. 318 Seiten, mit 9 Abbildungen, Li-

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