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Kultur ohne Schema

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Aus Wien,kam unlängst, von der Lungauer Kulturvereinigung eingeladen, Oskar Bottoli angereist, der heute vielleicht bedeutendste Bildhauer Österreichs. In seinem Kombi transportierte er etliche kleine Bronzefiguren, ein Dutzend Bronzereliefs sowie Drucke und Zeichnungen, die er dann eigenhändig stellte und hängte. Zur Vernissage gab es weißen und roten Wein, aber keine der üblichen Phrasen. Stattdessen las aus eigenen Werken Ernst Kein, der neben H. C. Artmann einzige legitime Mundartdichter Wiens, der aber, im Gegensatz zu Artmann, kein sentimentaler Selbstdarsteller, sondern ein kühler Registrator ist. Er brachte erlauschte Zitate, die wie erfunden klangen, und erfundene, die sich so anhörten wie erlauschte: Wahrheit als Dichtung genauso wie Dichtung als Wahrheit.

Anschließend führte Bottoli durch die Ausstellung wie durch sein Atelier: nicht anonymen Besuchern, sondern wie Freunden am Beispiel erläuternd, was seine Intentionen sind und wie er sie realisiert. Kein Wunder, daß man dann sitzen blieb: zuerst im Ausstellungsraum und nachher in einer Wohnung. Erst nach Mitternacht strebten die letzten Interessenten heim.

Gerade diese Veranstaltung hat gezeigt, was lokal oder regional begrenzte Kulturvereine leisten können, was ihre durch nichts ersetzbare Funktion ist. Sie, diese Vereine, dürfen sich nicht einbilden, etwas bieten zu können, das Buch und Platte, TV und Radio vielmal perfektionierter liefern. Ihnen, und wirklich nur ihnen, obliegt es aber, persönliche Begegnungen zu vermitteln und in den Begegnungen jene Hemmungen abzubauen, die im Volk gegenüber der Kunst noch vorhanden sind.

Seit ihrer Gründung vor zwei Jahren hat nun gerade auch die Lungauer Kulturvereinigung sich bemüht, einen Gesprächsraum zwischen Künstler und Publikum abzugeben, anstatt die Künstler bloß zu präsentieren — „Friß oder stirb!“ — oder allenfalls die sattsam bekannten Diskussionen aufs Podium zu bringen, von denen das ebenso oft zitierte wie verachtete Volk schon aus terminologischen Gründen stets ausgeschlossen bleibt. Still und bescheiden hat man auch etwas getan, was andernorts, wenn es geschieht, gleich als Sensation hinausposaunt wird: Man bittet die Künstler auch in die Schule. Man bietet den Schülern damit erlebbare Germanistik, erlebbare Kunst- und Musikwissenschaft; und der Verfasser dieses Berichts kann aus eigener Erfahrung bestätigen, was etwa Jeannie Ebner, Rudolf Bayr oder Erich Landgrebe nachher gesagt haben: daß diese Schüler ein Publikum abgeben, wie man sich's besser nicht wünschen könnte.

Die Zusammenarbeit zwischen Kulturverein und Schule funktioniert so klaglos, weil die Vereinsaktivisten größtenteils aus dem Lehrkörper kommen, während Bezirk und Gemeinden gleichgültig abseits stehen; es reicht noch nicht einmal zur Terminabstimmung mit der Bürgermusik. Es wäre zwar weltfremd, bei jedem neu gewählten Politiker und bei jedem neu bestellten Beamten das Springen einer musischen Ader zu erwarten. Doch eben so weltfremd ist es, in der Kultur bloß ein wertloses Ornament, einen Schnörkel am Rand der Tatsachenwelt zu erblicken. Auch im Lungau könnte man von der Stadt Salzburg zumindest das eine lernen: daß Kultur sich in klingender Münze bezahlt macht.

In Salzburg selber freilich denkt man, erfreulicherweise, über die finanzielle Nützlichkeit hinaus und will sogar finanziell investieren: um dem Kulturbetrieb im Lungau ein eigenes Heim zu geben. Das könnte ein Neubau in Tamsweg sein, doch die Tamsweger selber plädieren uneigennützig für Mauterndorf, dessen

Schloß sowohl geographisch als auch emotional im Zentrum des Lungau liegt. Die technisch moderne und dennoch stilgerechte Revitalisierung des alten Bauwerks käme auch keineswegs teurer zu stehen als die Aufführung eines neuen. Wahrscheinlich könnte man sogar ein oder zwei Millionen einsparen, die man dazu verwenden sollte, die längst vorliegenden Verkehrskonzepte für den Lungau zu realisieren — denn wenn man rein technisch nicht an sie herankommt, ist die schönste Kultur für die Katz.

Doch auch im Provisorium bleibt die Lungauer Kulturvereinigung aktiv und plant in die Zukunft hinein: Der Germanist Heinz Politzer aus Berkeley (USA) hat grundsätzlich zugesagt, in Tamsweg einen Vortrag zu halten. György Sebestyen wird Autoren und Maler der Edition Roetzer vorstellen. Der Pianist Hans Kann wird für ein dreitägiges Musikseminar verpflichtet werden. Man führt Gespräche mit dem Theaterdirektor Herbert Wochinz, mit den Zeichnern Paul Flora und Kurt Mol-dovan, mit Elfriede Ott und mit Fatty George, mit dem Architektenpaar Wolfgang und Traudl Windbrechtinger. Großstädte haben sicherlich mehr, aber kaum Besseres zu bieten.

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