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Kein Reservat für Talmi-Kunst

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Die Lungauer Kulturvereinigung wird voraussichtlich bald eine Heimstätte haben: Die Vorplanung für das Kulturzentrum im Schloß Mauterndorf ist abgeschlossen und wird demnächst der Landesregierung zur Beschlußfassung vorgelegt. Die Revitalisierung dieses in Landesbesitz befindlichen Schlosses ist mit relativ hohen Kosten verbunden. Die Geldgeber — Land, Bund und Gemeinden — fragen sich mit Recht: Ist dieser Aufwand gerechtfertigt?

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Die Lungauer Kulturvereinigung wird voraussichtlich bald eine Heimstätte haben: Die Vorplanung für das Kulturzentrum im Schloß Mauterndorf ist abgeschlossen und wird demnächst der Landesregierung zur Beschlußfassung vorgelegt. Die Revitalisierung dieses in Landesbesitz befindlichen Schlosses ist mit relativ hohen Kosten verbunden. Die Geldgeber — Land, Bund und Gemeinden — fragen sich mit Recht: Ist dieser Aufwand gerechtfertigt?

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Der Lungau, vom politischen Mutterland Salzburg getrennt durch den Radstätter Tauern, vom benachbarten Kärnten durch den Katsch-berg, und auch im Osten, entlang der Mur, nur scheinbar offen, da die Enge von Ramingstein eher sperrt als aufschließt, ist bislang vom offiziellen Kulturbetrieb nur gestreift worden. Er galt zwar immer als Region hochentwickelter Volkskunst und als Reservat ursprünglichen Brauchtums, doch droht durch die an sich ertreuliche Zunahme des Fremdenverkehrs auf der anderen Seite eine Veräußerlichung und Kommerzialisierung des angestammten Kulturgutes.

Eine Möglichkeit, diesen Folgeerscheinungen entgegenzuwirken, ist die Konfrontation mit der Urbanen

Kunst, die geeignet ist, den Wert der heimischen Kultur erkennen zu lassen. Gerade diese Verbindung zwischen Volkskunst und urbaner Kunst hat sich die Lungauer Kulturvereinigung zum Ziel gesetzt, gerade dieses Anliegen hat vor drei Jahren einige Lehrer veranlaßt, eine Vereinigung zu gründen. Diese Zusammenarbeit mehrerer Personen mit gleicher Zielsetzung, aber verschiedenartigen Interessen und Kenntnissen ermöglicht Veranstaltungen, die den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werden. Man will sich durchaus nicht anbiedern mit Blut-und-Boden-Literatur oder Talmi-Volkskunst. Ganz im Gegenteil: Die Lungauer Kulturvereinigung versucht, Qualität zu bieten, und zwar jedem zugängliche und verständliche Qualität. Diese gibt es erwiesenermaßen in allen Sparten der Kultur. Sie wird nur zu oft durch PseudoModernität und lebensnah sich gebärdende Sozialromantik überdeckt und verdeckt.

Ein natürlicher Anknüpfungspunkt ist durch das Schulzentrum Tamsweg gegeben. Indem die Kulturvereinigung durch die Zusammenarbeit mit den Schulen die jungen Menschen' kulturell aktiviert, baut sie in ihnen das Trauma ab, den Großstädtern gegenüber benach-teüigt zu sein. Man bietet den Schülern erlebbare Germanistik und erlebbare Kunst- und Musikwissenschaft. Infolge der Intensität der Begegnung zwischen Künstlern und Wissenschaftlern einerseits und der Jugend anderseits wird schon in wenigen Jahren der Schüler aus dem

Lungau mit sehr viel mehr konkretem Kulturbewußtsein ins Studium oder in den Beruf treten als sein Kollege aus Wien, Graz oder Linz.

Die Lungauer Kulturvereinigung bemüht sich, neue Wege bei der Darbietung von Kunst in der Schule einzuschlagen. So wurde der bekannte Pianist Hans Kann nicht bloß für ein Konzert, sondern auch für ein mehrtägiges Musikseminar verpflichtet. In lockerem Plauderton führte er das interessierte junge Publikum in die Geschichte der Klaviermusik und der musikalischen Moderne ein. Der Erfolg dieses Seminars veranlaßte die Veranstalter, dieses Experiment auf einem anderen Gebiet der Kunst zu wiederholen. An mehreren Nachmittagen analysierte der Staatspreisträger Herbert Eisenreich einige seiner Geschichten und bot einen Einblick in den Schaffensprozeß eines Schriftstellers. Im Laufe seiner Ausführungen gab er dankbar aufgenommene Hinweise auf Handwerk und Technik des Schreibens, die jeder Schüler schon bei der nächsten Deutschschularbeit verwerten konnte. Insgesamt fanden innerhalb der nun dreijährigen Tätigkeit der Kulturvereinigung sieben musikalische und sieben literarische Veranstaltungen und zwei Theateraufführungen allein für die Schüler statt. Trotz der Unterstützung des Eltern Vereins sind diese Schulveranstaltungen für die Lungauer Kulturvereinigung eine finanzielle Belastung. Doch ist dies, nach Meinung der Veranstalter, eine notwendige und fruchtbringende Investition. Denn man ist sich bewußt, daß die heute zu kultureller Aktivität animierten Schüler die Kulturträger von morgen sind.

Ein Hauptanliegen der Lungauer Kulturvereinigung ist der Abbau von Hemmungen in der Bevölkerung des Lungaues gegenüber der Hochkunst. Ein erster Schritt wurde mit der Ausstellung der aus dem Lungau stammenden Malerdynastie Lederivasch gemacht. Die Ausstel-

lung, die anläßlich der Eröffnung der Tauernautobahn in St. Michael stattfand, bot eine Synthese: In den Bildern der Familie Lederwasch vereinigen sich Einflüsse aus der Hochkunst (etliche Mitglieder der Familie hatten an Zentren der europäischen Kunstszene studiert) mit der volkstümlichen Anschauung. So stellen diese Gemälde ein Bindeglied zwischen Volkskunst und Hochkunst dar.

Die Kreativität des Lungaus erschöpfte sich aber nicht mit dieser Familie. Auch heute gibt es eine erstaunlich hohe Zahl musisch begabter und schaffender Menschen, deren Tätigkeit meistens nur in ihrer nächsten Umgebung bekannt ist. Dieser geringe Bekanntheitsgrad ist sicherlich nicht eine Folge minderer Qualität, sondern ist zurückzuführen auf die Unsicherheit der Künstler in der Einschätzung ihrer Arbeit und auf ihre Bescheidenheit, nicht zuletzt aber auch auf die mangelnde Gelegenheit, sich einem breiteren Publikum vorzustellen. Deshalb plant die Lungauer Kulturvereinigung eine über mehrere Jahre sich hinziehende Veranstaltungsreihe mit

dem Arbeitstitel „Lungauer stellen sich vor“. In diesem Zusammenhang muß man unbedingt das Musische Heim Mauterndorf erwähnen, das seit Jahrzehnten wertvolle Arbeit auf diesem Gebiet leistet. Das hohe Niveau der Lungauer Volkschöre und Musikkapellen veranlaßte die Kulturvereinigung, auch diese in ihr Programm aufzunehmen.

Die Menschen, die über ihr Berufsziel hinaus kulturelle Ansprüche stellen, bietet das qualitätsvolle Angebot der LKV die Vorteile der Großstadt So nützt die Kulturvereinigung die zwar isolierte, aber geographisch zentrale Lage des Lungaus, um auch ein geistiger Mittelpunkt zu werden. Nachdem schon in den früheren Veranstaltungsjahren zum Beispiel das Salzburger Landestheater mit dem „Jungen Gelehrten“ Lessings und Herbert Lederer aus Wien mit einem von ihm ausgegrabenen, selbst Germanisten weithin unbekannten Stück Wilhelm Büschs, dem „Schmetterling“, hier aufgetreten waren, gastierten in jüngster Zeit unter anderem die Vereinigten Bühnen Graz mit Cocteau und die Burgenländische Landesbühne mit Steinbeck. Für die nächste Zukunft sind Gastspiele der Landesbühnen Salzburg, Graz, Klagenfurt und Eisenstadt vorgesehen. Man plant, im nächsten Veranstaltungsjahr, analog zu dem seit Jahren bestehenden Konzertabonnement, ein Thea-therabonnement aufzulegen.

Bei jährlich rund 25 Veranstaltungen nimmt die Musik einen breiten Raum ein. Das Angebot reicht vom Symphoniekonzert über Passionsmusik und Chorkonzert bis zum Liederabend und Jazzkonzert. So waren in dieser Saison unter anderem Waldemar Kmentt und Erik Werba (der Liederabend wurde in Zusammenarbeit mit dem Lions-Club Lungau durchgeführt), aber auch Fatty1 George mit dem Rudi-Wilfer-Trio zu Gast in Tamsweg.

Gerade bei den Dichterlesungen zeigt sich das Bemühen der Veranstalter, ein qualitativ hochwertiges und jedem verständliches Programm anzubieten. In der Marktbücherei Tamsweg lasen unter anderem Rudolf Bayr und Erich Landgrebe (Salzburg) und der israelische Lyriker Jehuda Amichai (Jerusalem). Im Gasthaus führte Herbert Rosendorfer (München) in sein erzählerisches Werk ein, im gemütlichen Stüberl des Schlosses Mauterndorf konnte man schon im Frühjahr 1974 H. C. Artmann hören.

Die Kombination mehrerer Kunstsparten in einer Veranstaltung hat besonderen Anklang gefunden. So wurde z. B. die Ausstellung des Wiener Bildhauers Oskar Bottoli durch eine Lesung seines Freundes Ernst Kein eröffnet; im Anschluß an das Gespräch mit dem Verlagsleiter der burgenländischen Edition Roet-zer über Probleme des Verlagswesens fand eine Lesung mit gleichzeitiger Ausstellung statt. Und als Pater Focke SJ über A. P. Gütersloh sprach, rezitierten Schüler aus dem Werk des Dichters — man will das Publikum nicht bloß zu Kon-

sumenten erziehen, sondern auch für aktive Teilnahme gewinnen.

Im letzten Veranstaltungsjahr wurden auch wissenschaftliche Vorträge in das Programm der Lungauer Kulturvereinigung aufgenommen. So sprach zum Beispiel Doktor Rainer Hubert über den Einfluß der Freimaurerei auf die Geschichte Österreichs; der Mitgestalter der Wiener Innenstadt, der aus Ramingstein stammende Architekt Wolfgang Windbrechtinger, macht in einem Vortrag deutlich, wie in allen ursprünglichen Kulturen Sozialstruktur und architektonische Struktur einander entsprechen; der Universitätsprofessor für Psychiatrie und Neurologie, Dr. Hans Sirotzka, wird im September seine sozialpsychiatrischen Erfahrungen im ländlichen Raum darlegen sowie in einer gesonderten Veranstaltung die Eltern, Lehrer und Schüler über Ursachen und Bewältigung von kindlichen Fehlhaltungen (z. B. Prüfungsangst) aufklären. Laut ORF: „Ein Programm also, das sich in jeder Großstadt absolut sehen lassen kann.“

Um das Programm besser als bisher an den Mann bringen zu können, bemüht ich die Lungauer Kulturvereinigung um verstärkte Zusammenarbeit mit den örtlichen Organisationen: vom Katholischen Bildungswerk über den Lions-Club bis zur Bauernkammer und dem ÖGB. Denn nur eine ständig wachsende Besucherzahl rechtfertigt die Subventionen der Landesregierung und den gewaltigen Arbeitsaufwand der freiwilligen Mitarbeiter bei der Vorbereitung und Abwicklung des umfang- und abwechslungsreichen Programms.

Das größte Problem der Lungauer Kulturvereinigung ist zur Zeit noch, daß sie über keine Veranstaltungsräume verfügt. Sie muß vazieren: Das Landestheater Salzburg spielte Millers „Alle meine Söhne“ im provisorisch adaptierten Kino Tamsweg; das Mozarteum-Duo Franke-Schil-hawsky musizierte im Kammersaal der Gewerblichen Wirtschaft (wofür der in St. Michael stationierte Flügel mühsam antransportiert werden mußte), Bachs „Johannes-Passion erklang in der Pfarrkirche; die Wiener Lyrikerin Ilse Tielsch-Felz-mann las im Extrazimmer eines Gasthauses, der Maler und Holzschneider Url aus dem benachbarten Stadl zeigte seine Werke in der Marktbücherei Tamsweg; Elfriede Ott sang und rezitierte im stimmungsvollen Pfarrsaal von Sankt Michael.

Damit die Lungauer Kulturvereinigung auf dem Vorhandenen aufbauen und das vor langer Zeit Begonnene pflegen und bereichem kann, ist die Schaffung eines Veranstaltungszentrums für den Lungau eine unumgängliche Notwendigkeit. Und dafür ist nach übereinstimmender Meinung aller Beteüig-ten das Schloß Mauterndorf besser geeignet als irgendein willkürlich in die gewachsene Landschaft gesetzter Neubau.

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