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Mit der Pranke des Lowen

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„Hundert Jahre Einsamkeit“ hat, wie man so sagt, Furore gemacht: Die Krise des Romans sei überwunden, die große Epik wiedergekehrt, und was man halt sonst noch zu jubeln pflegt, wenn verschollen gewähnte Grundgesetze wieder in ihre Rechte treten. Gabriel Garcia Marquez avancierte, nachdem Curt Meyer-Clason ihn eingedeutscht hatte, zum Protagonisten der Kunst des zweckfreien, absichtslosen Erzählens.

Gewiß nicht zu Unrecht, wie auch der „Laubsturm“ beweist, der jetzt erst übersetzte Erstling des damals Neunzehnjährigen. Dem Werk haften Mängel an: Drei Menschen — ein alternder Mann, eine Frau in den besten Jahren und ein Knabe — erzählen ein und dieselbe Geschichte, genauer gesagt, kommentieren sie, diese awar dreifach beleuchtete, aber doch unidurchsichtige Geschichte des fremden Doktors, dieses Häufchens Abfall inmitten des Haufens Abfall, der von einer kurz blühenden und funktionierenden Dorfgemeinschaft übrig geblieben ist. Die Chance, durch die Sprecher dreier Generationen das Geschichtliche als das jeweils Geschehende und zugleich Weiterwirkende sichtbar zu machen, wird nicht in dem möglich erscheinenden Maße genützt, so daß mitunter sogar Konfusion entsteht bezüglich der jeweils waltenden Optik und Perspektive.

Ansonsten freilich gelang es dem Autor durch diese Methode, ein rundes Vierteljahnhundert in drei bis vier Lesestumden au raffen, ohne die Fabel zum bloßen Report zu verdünnen. Im Gegenteil: 190 weit bedruckte Buchseiten lassen vermuten, daß hier nur der typisch novellistische rote Faden gesponnen werde; tatsächlich aber knüpft der Verfasser auf engstem Raum jenen Teppich, den als Roman zu verbuchen wir spätestens seit Daderer übereingekommen sind.

Der Name des österreichischen Romanciers fällt nicht von ungefähr. Er nämlich hat vom Erzähler gefordert, daß er, statt Sinngebung zu versuchen, das Sinnlose bei seinem Zustand zu belassen habe: facta loquuntur, und der Autor halte gefälligst das Maul! Gemäß dieser Regel verfährt auch Gabriel Garcia Märquez, sogar schon in diesem Ju-gendiwerk mit dem symptomatischen Titel „Laubsturm“, welcher das Walten elementarer Mächte anzeigt. Nichts wird psychologisch erklärt, nichts soziologisch begründet; niemand wird beschuldigt, niemand verurteilt. Kein Hader mit dem Schicksal, schon gar nicht ein — wie das weithin Mode geworden ist — verdammendes Verdikt über die Gesellschaft (was auoh immer mit dieser Alibi-Vokabel gemeint sein mag). Was jeweils geschieht: es geschieht' unabhängig von dem, was wir darüber danken; unabhängig davon jedenfalls, ob es uns nun in den Kram unserer Wünsche, Absichten, Meinungen paßt oder nicht.

Diese wesentlich epische Haltung den Dingen gegenüber ist nicht in das Buch hineininterpretiert, sondern herausgelesen: „Als ich“, meditiert der alte Oberst, „Meme aufforderte, unser Haus zu verlassen und den Wag zu gehen, den sie für richtig hielt, und auoh später, obgleich Adelaida mir meine Schwächen und Fehler vorwarf, konnte ich mich auflehnen, meinen Willen durchsetzen (was ich stets getan hatte) und die Dinge auf meine Art ordnen. Doch etwas sagte mir, daß ich gegen den Lauf der Ereignisse machtlos war. Nicht ich regelte die Dinge in meinem Heim, sondern eine andere geheimnisvolle Macht, die den Lauf unseres Daseins ordnete und deren gefügiges, bedeutungsloses Werkzeug wir waren. Nunmehr schien alles der natürlichen und verketteten Erfüllung einer Prophezeiung zu gehorchen.“

Bequemer wäre natürlich gewesen, die United Fruit Company für den Verfall des Dorfes Macondo, den materiellen und den moralischen, zur Rechenschaft zu ziehen — wie bequem und, vor allem, wie „aktuell“, wenn auoh nur' in Gänsefüßchen. „Aktuell“ nur für diejenigen, denen mit der Dimension des Todes die einzige absolute Gewißheit abhanden gekommen ist: für die feigen Bastler einer heilen Welt. Dichtung aber war immer schon „reaktionär“, nämlich zeitlos aktuell: von den — wie Faulkner das nannte — ewigen Wahrheiten des Herzens handelnd. Da mag einer noch so gelehrt von

Kommunikationsschwierigkeiten schwätzen: von Einsamkeit weiß er deswegen noch lange nichts. Das Wirkliche, hier verstanden als das im Menschen Wirkende, machen uns nur die Dichter begreiflich, und zwar durch die Fülle der Bilder, in denen wir, auoh wenn sie zeitlich und örtlich Entferntes zu spiegeln scheinen, uns selber begegnen. Nur deshalb lesen wir ja heute noch Sophokles (aus dem unser Autor sein Motto gewählt hat), und nur deshalb wird man, vermutlich, auch später noch, bei völlig veränderter „gesellschaftspolitischer Relevanz“, Gabriel Garcia Märquez lesen. Denn Männer, die — wie hier der alte Oberst — gegen die feindliahe Umwelt zu ihrem Worte stehen, wird es auch dann noch geben, oder man wird sich zumindest nach ihnen sehnen, wird dem Vorbild zumindest im literarischen Abbild begegnen wollen.

LAUBSTURM. Roman von Gabriel Garcia Märquez. Aus dem Spanischen von Curt Meyer-Clason. Kiepenheuer & Witsch, Köln, öS 152.50, 190 Seiten.

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