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Erschwindelte Wahrheit

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Der Bieremst, der in Deutschland gemeinhin für Literatur gilt, muß einem rechtschaffen auf die Nerven gehen, wenn man, wie Mario Szenessy, mehrere Sprachen studiert und ^gelehrt hat und wenn man zu allem Überfluß aus Ungarn stammt. Und wenn man gar, wie Mario Szenessy, selber schreiben kann, dann macht man's besser.

So geschehen mit dem Roman „Lauter falsche Pässe“, von dem Herbert Rosenidorfer, zweifellos fachkundig, konstatiert, er sei „die Fälschung einer Fälschung“ und eben deshalb „gediegene Wahrheit“.

Was und wie da gefälscht wird und, außer vom Autor selbst, von wem noch: Das möge das interessierte Publikum selber nachlesen, ehe der Rezensent ihm den Jux vermasselt. Ein solcher ist dieses Buch bis zur letzten Seite, auch ohne jedwede tiefere Bedeutung, wiewohl auch diese herauslesbar ist. Schon die Methode ist wert, bedacht zu werden, zumal der Autor auch selber das tut. Nur die Phantasie, behauptet er, schaffe etwas Wirklichkeitsnahes: „denn die Erfahrung geht Arm in Arm mit dem Erwachen des lähmenden Gefühls, daß sie eine Allerwelts-erfahrung ist, banal und irrelevant, daß es gar nicht lohnt, ein einziges Wort über sie zu verlieren — wohingegen das aus der Phantasie Geschöpfte, Unbefleckte und Unabgegriffene oder doch zumindest von ihr Gesteuerte und Zusammengefügte noch die mehr oder weniger begründete Annaihme zu erwecken vermag, daß es im Erzählen um etwas Hörenswertes geht“. Wofür er dann einige sozusagen aus dem Leben gegriffene Beispiele bringt.

Den überzeugendsten Beweis für diese These aber liefert schon der Roman selbst; denn gerade die zum Exzeß getriebene Fiktion erweist sich als ein taugliches Transportmittel für unkonventionelle und oppositionelle Ansichten, etwa über das Wesen der Revolution: „Eine solche Explosion kann nicht von der ganzen Gesellschaft bewirkt werden, denn die Gesellschaft ist als Ganzes ein wahlgepflegtes Gehege des bewahrenden, standardisierenden, stabilisierenden, konservierenden, dem Zerfall entgegenwirkenden Prinzips — sie ist konservativ, sonst könnte sie gar nicht existieren, sonst wäre die Grundlage ihres Seins, nämlich die Ordnung, das Funktionieren der Wirtschaft, des Verkehrs, des Handels, ja das nackte Leben des Menschen gefährdet und in Frage gestellt. Wer ist aber der menschliche Träger dieser bewahrenden Kraft? Der Meinung des Marxismus nach die jeweils vermögenden Schichten, die Eigentümer der Produktionsmittel, die .herrschenden Klassen'. Dem kann ich in dieser pauschalen Weise nicht zustimmen; denn die große Masse der .Ausgebeuteten' ist ebenfalls konservativ und darauf bedacht, daß alles beim alten bleiben möge, daß man seiner Arbeit ohne nachzudenken, ohne innere Barrieren, ohne sich besondere Gedanken zu machen und ohne Überlegungen nachgehen könne, daß man sich mit sich selbst und mit seiner Umwelt nicht auseinanderzusetzen brauche, daß man sich selbst und seine Mitmenschen nicht in Frage stellen müsse, kurzum: daß die Welt, möge sie auch mit Mängeln und Unzulänglichkeiten behaftet sein, so bleibe, wie sie ist.“ Der Konservativismus, fährt Szenessy fort, sei eine Folge der Verkalkung, welche übrigens schon im dritten Lebensjahrzehnt beginne. Ab 25 wolle man die Gesellschaft vor dem Zerfall bewahren, und je größer die Zahl dieser ,alten' Menschen gegenüber den infolge ihrer Jugend noch Unternehmungswilligen ist, „um so seltener kommt es zu Explosionen, mögen diese nun in ihrer Zeit Revolutionen oder Konterrevolutionen genannt weiden“. In dem Maß des Geburtenüberschusses nun wird, nach Szenessy, die Entwicklung der Gesellschaft sich beschleunigen — und damit allerdings auch das Ende der Menschheit näher kommen. Der Revolutionär jedenfalls handle nicht, auch wenn er das felsenfest glaubt, aus subjektiven Gründen, von persönlichen Rachegelüsten bis zum politischen „Idealismus“, sondern als Marionette, als Funktionär im eigentlichen Wortsinn.

Das ist, wenn man will, belletristisch angewandter Hegel — wie auch, freilich mit pessimistischem Aspekt, in dem Exkurs über Sexus und Tod. „Die Enttabuisierung des Sexus in unserer Zeit wird durch die Tabuisierung des Endes beziehungsweise seiner für den Menschen augenfälligsten Form, des Todes ersetzt. Wir leben heute in einem Mittelalter mit umgekehrtem Vorzeichen.“ Die Tabuisierung des Sexus habe jahrtausendelang die Voraussetzung gebildet für den Fortschritt zur Wasserstoffbombe, zur globalen Vernichtung hin. Eben deshalb werde jetzt der Tod tabuisiert; und der Autor fragt: „Wer vermag heute die sozialen Auswirkungen der Tabuisierung des Todes abzusehen? Ist die Tabuisierung mitsamt der überhandnehmenden Enthemmung nicht nur ein weiterer Winkelzug der Materie, auf daß wir uns nur um so sicherer und bedenkenloser ins Ende stürzen? Ist es nicht ein Fingerzeig des Endes, daß man es überall ausklammert, verdrängt und sich weigert, ständig an den Tod zu denken?“

AH diese vom Fluß der Erzählung mitgeschwemmten Gedanken müssen nicht stimmen, und der Verfasser diskrediert sie scheinbar auch selber durch den saloppen Tonfall des Vortrags; indessen: Sie wirken um keine Spur weniger wahr als die Thesen, denen sie opponieren. Und endlich: ob wahr oder falsch: das spielt hier nur insoweit eine Rolle, als diese Alternative von diesem Roman ad absurdum geführt wird.

LAUTER FALSCHE PÄSSE oder Die Erinnerungen des Roman Skor-zeny. Roman von Mario Szenessy. 320 Seiten. Hoffmann und Campe, Hamburg.

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