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Ausfahrt nach innen

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Als 1953 der damals junge österreichische Schriftsteller Herbert Zand das Buch „Letzte Ausfahrt. Roman der Eingekesselten“ vorlegte, mochte man es, schon des Untertitels wegen, für eine jener Abrechnungen halten, die den im Kriege Besiegten so leicht von den Lippen fließen. Zu solcher Alibdliteratur gehört dieser Roman aber nicht einmal auf der Ebene des Tatsacheninhalts, wiewohl die Dinge des Krieges präziser und, wenn man will: realistischer gezeichnet sind als in jenen Literaturprodukten, die mit dem Appeal realistischer Authentizität für sich Reklame machten. Denn unser Autor baute auf diesem realen Grund erst sein eigentliches Gebäude: er hört zwar die Schmerzensschreie der Getroffenen, aber was ihn fasziniert und was er darstellen will, das sind die inneren Mechanismen des Geschehens:

Der eiskalt-abstrakte Oberstleutnant Erkner, ein Experimentator und Spieler von dämonischer Größe; die ebenso kalte, doch immer konkrete Ärztin Maja Vesalius, die ohne geschäftlich-geschäftiges Samaritertum ganz einfach menschlich ist; der hilflose Landser hinter seinem MG, und der im Grunde ebenso hilflose General in seinem Befehlsstand: sie alle schwanken zwischen Rebellion, stumpfem Heroismus und Selbstaufgabe, während der Kessel ihnen schon gar keine andere Chance mehr läßt als: die letzte Ausfahrt zu wagen — nach innen.

Innen nämlich, in der eigenen Brust, wird die Entscheidungsschlacht ausgetragen; nur hier, im Menschen selber, wird der Krieg begonnen, hier auch wird er gewonnen oder verloren. Und also bietet das Bild des Kessels sich uns allmählich als eine Grundsituation des Menschen, welche im Krieg, dieser Bruchstelle des Lebens, nur deutlicher und damit deutbar wird. Aber immer und überall sind solche Situationen zu bestehen — und wie sie menschenwürdig zu bestehen sind und wie der Mensch in solch einer Situation versagen kann: das wird hier, in diesem Röntgenbild des Krieges, exemplarisch erhellt.

Es wird erhellt von einem, der dazu wahrhaft legitimiert war: als Schwerkriegsbeschädigter, der seinem unheilbaren Leiden nicht bloß 25 Lebensjahre abgetrotzt, sondern auch eine Fülle von Erkenntnis ab gelistet hat. Schmerz ist Gestalt und Tod ist Sprache geworden: schon in diesem (jetzt neuaufgelegten) ersten Roman, und in einem zweiten Roman und in gut einem. Xkutzend.Ito- vellen und in einer nur zum kleinsten Teil publizierten Menge von Lyrik und in Stapeln auch auszugsweise noch niemals gedruckter Auf zeichnungen: in dem ganzen quantitativ wie qualitativ erstaunlichen Erbe, das Herbert Zand hinterließ, als er 1970 an den Folgen jener Kriegsverwundung starb.

Wolfgang Kraus, verdienstvoll nicht nur als Leiter der österreichischen Literaturgesellschaft, sondern hier mehr noch als Freund, hat die Hinterlassenschaft Zands gesichtet und so geordnet, daß sie jetzt (bis 1973) in fünf Bänden erscheinen kann: zugedacht einem Publikum, das der modischen Schnörkel sowieso schon überdrüssig zu werden begonnen hat.

LETZTE AUSFAHRT. Roman der Eingekesselten. Von Herbert Zand. Mit einem Nachwort von Wolfgang Kraus. 280 S-eiten. Europa-Verlag.

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