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ZWISCHEN DEN ZEILEN

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Neben dem Eckermann ist der Nachsommer" das wohl profundest kritische Buch unsres ganzen Schrifttums: das wohl einzige wahrheitlich pessimistische Sprachkunstwerk deutscher Zunge. Denn Stifters Roman zeigt uns nicht die wirkliche Welt als geheilte Welt; sondern bildet die heile Welt, die wir alle brauchen, um unsre wirkliche Welt nicht versehentlich für eine heile zu halten.

Je lauter ich unterm Schreiben denke, desto leiser mein Stil.

Ich möchte lieber, wenn's Gott gefällt, wie der Don Quixote sterben, anstatt wie Hamlet, wenngleich jene er-stere Art, als die gleichsam zivile, die schwerere ist, ver-* glichen mit der des Hamlet: als ein gefallener Held stirbt sich's leichter denn als ein entwaffneter.

Je klarer die Formulierung, desto näher liegend der Mißbrauch derselben als Formel. Wohl deshalb hat Heraklit zwar nicht recht eigentlich dunkel, aber, so möchte ich sagen, unhandlich geschrieben. .JLlles fließt", das ist ja erst spätere Manipulierung der schweren Gedanken zu leichterem Schul- und Hausgebrauch. ?ir ■SC.

Er hat sich nie widersprochen. — Er hat also nie gedacht.

Man mache die Probe aufs Exempel und tilge im Goethe sämtliche Widersprüche: es bliebe ein Häuflein bedruckten Papiers, ohne jeden Sinn, ohne Witz, ohne. Charme: die gähnende Langeweile.

Und auch die Menschen, die uns langweilen, sind in der Regel jerte, die frei sind von inneren Widersprüchen. Da stimmt zwar alles, jedoch — so fragt man sich nach einer halben Stunde —: wozu?

Den Schweigenden kann man mißverstehen, aber man kann ihm doch wenigstens nichts, das er nicht gesagt, in den Mund legen.

Nicht in der Buchhaltung, wohl aber in den Künsten, wie auch in den höheren Wissenschaften, muß man gelegentlich fünfe grad sein lassen. Ich habe ein Wort gewählt und bemerke, daß es die Sache nicht vollkommen deckt; und ich finde kein besseres Wort: dann muß ich imstande sein, nach einer Stunde vergeblichen Suchens das Unvollkommene bei seinem Zustande zu belassen und unbeschwert weiterzuschreiben — und siehe! von hinten her zeigt jene Unscharfe, die mich zuvor irritiert hat, sich plötzlich als notwendig für den Fortgang des Satzes: erst sie hat die Spannung erzeugt, in der nun die Funken fliegen.

Keynes, wenn er die Redensart „letzten Endes" zu hören bekam, pflegte zu unterbrechen: ,X>etzten Endes sind wir alle tot."

Dies als Anregung zu einem Lexikon unserer Phrasen; und wie ein solches zu machen wäre: als das natürliche Weiterdenken derselben.

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