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Die Abessinier

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Mein Onkel Alfred — er ist darin im Krieg geblieben, im eingeschlossenen Budapest —, der Onkel Alfred also stopfte sich selber die Zigaretten; und schenkte mir manchmal ein paar der Bilder, welche den Hülsen, als Anreiz zum Kaufe, beigelegt waren. Meistens zeigten sie Szenen aus der Geschichte, doch damals, zur Zeit des Abessinien-Krieges, Soldaten der beiden Seiten im Kampfe: die Italiener in ihrem Olivgrün, die regulären Truppen des Negus in Khaki und die Stammeskrieger im Burnus, mit Flinten und Lanzen erbärmlich bewaffnet gegen die Tanks und Maschinengewehre der fremden Eroberer.

Diese kleinfingergroßen, auf dünnen Karton gedruckten Figuren konnte man ausschneiden und auch auf stellen. Als ich genug von ihnen beisammen hatte, arrangierte ich auf dem Boden des Wohnzimmers richtige Schlachten — die zu der Wirklichkeit bloß in dem einen nicht stimmten, daß immer die Abessinier siegten.

Was ich da, in dem Kriegsspiel auf dem Linoleumboden, Tag für Tag praktizierte, das war nicht weniger als die symbolische Korrektur eines schreienden Unrechts, nicht weniger als die sym bolische Wiederherstellung des von den Italienern so grausam gebrochenen Friedens. Ich spielte zwar Krieg, aber eigentlich spielte ich ausgleichende Gerechtigkeit.

Keine zehn Jahre später stand ich im Felde. Ich habe, wo scharf geschossen wurde, nie einen Kameraden im Stich gelassen; darauf bin ich heute noch stolz. Und zugleich aber habe ich manchem Franzosen, auch diesem und jenem Tschechen und Polen, ein weniges helfen können: offenbar hatte ich jene Lektion in Gerechtigkeit gründlich gelernt gehabt: war von dem fälschlich verteufelten Spiel für das fälschlich vergötterte Leben genügend gerüstet, genügend geübt.

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