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Gegenbeispiel als Beispiel

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50 Jahre österreichisches Burgenland — das wollte auch literarisch gefeiert sein. Und was tat man im fernen Eisenstadt, dort bei den Tschuschen fast? Raffte man eitel zusammen, was guten Willens, doch eher kunstlos die Heimat pries? Befriedigte man den Ehrgeiz lokaler Dichter und Denker? Wurzelte man jetzt erst recht im oberflächlich entnazifizierten Blut und Boden?

Im Gegenteil: Eine schier allzu diskrete Redaktion versammelte in einem großformatigen Almanach von rund 150 Seiten solche Literatur, die unabhängig von Verfasser und Gegenstand in einem geistigen Bezug zum Burgenland steht. Nicht eine Geographie, sondern gewissermaßen ein Klima erwächst aus dem in sich sehr sorgsam gestimmten Ganzen, in dem dann sogar auch der Salzburger Georg Trakl organisch daheim ist — wie auch die aus Deutschland zugewanderte Erika Spann-Rheinsch, der aus Deutschland auf Besuch weilende Reinhold Schneider. Bei Lenau, Rilke, Doderer etwa versteht der Zusammenhang sich ja von selbst oder wird essayistisch verständlich gemacht.

Das Gemeinsame der hier ververeinigten Texte besteht, so paradox das fürs erste auch klingt, in den Differenzen und Differenzierungen: europäisches Schicksal und dörfliche Idylle, nationalistisches Gezänk und jüdisches Überwinden, wahres und falsches Deutschtum — hier sind sie artikuliert, die Gegensätze und Unterschiede, die dieses kleine Land so vielgesichtig, so rätselhaft, aber auch so fruchtbar machen, wie eben nur Grenzstreifen zwischen den Kulturen es sind: das Land um Triest oder das ganze Tirol oder Elsaß-Lothringen oder das Baltikum ... In solchen Zonen vollzieht sich Integration so selbstverständlich wie andernorts die Inzucht. Und daß nicht diese, sondern jene den Menschen voranbringt zum anderen Menschen und zu sich selbst: das bekundet dieses (mit Bildern des aus der Slowakei stammenden Anton Lehmden angereicherte) Lesebuch, das eben damit die ihm zugedachte Funktion, das Burgenland literarisch zu spiegeln, auf überraschende und deshalb doppelt beglückende Weise erfüllt.

BEGEGNUNG MIT DEM BURGENLAND I Das Grenzland in der Literatur. Herausgegeben vom Kulturreferat der burgenländischen Landesregierung. Redaktion Margit Pf lagner. 147 Seiten. Belvedere-Verlag Wilhelm Meissel, Wien 1971.

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